Koalitionsverhandlungen
Über ein Sondervermögen für die Sozialkassen wird später entschieden
Allem Anfang wohnt ein Zauber inne. Das haben auch die Haushaltspolitiker der künftigen Regierungskoalition von CDU, CSU und FDP so gesehen und unverdrossen zu Beginn der Koalitionsverhandlungen eine Bestandsaufnahme der Kassenlage vorgenommen: Die Schulden wurden taxiert, die Differenz zwischen den Ausgaben und Einnahmen abgeschätzt.
Und schon war beim Blick in die Schuldenlöcher der Zauber schnell verflogen. Es erwies sich als schwierig, Spielräume zu finden, um die versprochenen Steuersenkungen zu realisieren. Eine Möglichkeiten dafür ist, die im kommenden Jahr drohenden Milliardenausfälle bei der Bundesagentur für Arbeit und der gesetzlichen Krankenversicherung in einem eigenen Nebenhaushalt zu etatisieren. Der Bund würde dann zusätzlich rund 20 Milliarden Euro an Krediten aufnehmen, die in einem "Zukunftsfonds" (Bundeskanzlerin Angela Merkel, CDU) verbucht würden, um die zu erwartenden Fehlbeträge der Bundesagentur für Arbeit und der Krankenkassen zu decken. Da dann diese Mittel nicht aus dem Bundeshaushalt sondern aus dem Fonds kämen, würden die Schulden im Bundesetat entsprechend geringer ausfallen. Die Schuldenbremse würde umgangen und die Gestaltungsspielräume größer.
Bei den Koalitionsverhandlungen war geprüft worden, eine solche Fondslösung noch für dieses Jahr im Rahmen eines Nachtragsetats zu realisieren. Darauf verzichteten Union und FDP aber am 22. Oktober. Jetzt soll bei der Aufstellung des Bundeshaushalts 2010 geprüft werden, ob es einen "Zukunftsfonds" gibt.
Solche sogenannten Sondervermögen, die auch Neben- oder Schattenhaushalt genannt werden, hat der Bund schon oft zur Finanzierung für Sonderaufgaben verwendet. So sind alleine im aktuellen Bundeshaushalt mehr als 20 Sondervermögen aufgeführt. Dazu zählt etwa die Mittelstands- oder Familienförderung, die Finanzierung von Altlasten oder wie zuletzt die Fonds zur Bankenrettung und zur Finanzierung der Konjunkturpakete gegen die Krise. Viele Sondervermögen wurden in der Vergangenheit wieder in die Bundesschuld eingegliedert. Dazu zählt der Erblastentilgungsfonds und das Bundeseisenbahnvermögen. Außerdem kamen der Fonds "Deutsche Einheit" hinzu und das aus dem Marshall-Programm nach dem Zweiten Weltkrieg hervorgegangene Sondervermögen für den Wiederaufbau Deutschlands.
Auf wenig Gegenliebe stößt jetzt schon bei den Oppositionsfraktionen das für kommendes Jahr weiterhin angedachte Sondervermögen für die Sozialkassen. Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion, Joachim Poß, kritisierte, dass das "Gespann Merkel-Westerwelle" jetzt schon da angelangt sei, wo Kohl und Waigel vor elf Jahren hätten aufgeben müssen. "Steuergeschenke an Unternehmen und Besserverdienende sollen auf Pump finanziert werden - und die daraus resultierenden Schulden werden in Schattenhaushalten versteckt", sagte er. Die Schuldenbremse, die den "schwarz-gelben Lautsprechern" noch vor ein paar Monate gar nicht streng genug hätte sein können, würden nunmehr offenbar nur als Hindernis betrachtet, dass es möglichst leicht zu umgehen gelte. Die Bürgerinnen und Bürger sollten über die Kosten der von der neuen Koalition ausgeteilten Geschenke getäuscht werden.
Auch der wirtschaftspolitische Sprecher der Fraktion Die Linke, Herbert Schui, kritisierte, dass die Regierung das geplante Sondervermögen für die Sozialkassen nutzen wolle, um Freiräume für die versprochenen Steuergeschenke an Unternehmen und Besserverdienende zu schaffen. "Hier wird getrickst, um die Schuldenbremse auszubremsen", sagte Schui. Das Problem dabei sei aber nicht das Austricksen, wie die Sozialdemokraten meinten, sondern die Schuldenbremse selbst. Es sei höchste Zeit, sie abzuschaffen, denn die Schuldenbremse heiße Sozialabbau.
Für Alexander Bonde, haushaltspolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, wird mit einem solchen Fonds die "unselige großkoalitionäre Tradition fortgesetzt", im Haushalt die Risiken zu vertuschen. "Statt Klarheit und Wahrheit heißt es auch bei schwarz-gelb tricksen und täuschen", sagte er. Es müsse im Bundeshaushalt über das nächste Jahr klar aufgezeigt werden, wie die Milliardendefizite bei den Sozialversicherungen ohne sozialen Kahlschlag gegenfinanziert werden können.
Ganz anders sehen dies die Sprecher der neuen Koalition. Für Steffen Kampeter, den derzeitigen haushaltspolitischen Sprecher der Union, geht es nicht um "Verschleierung". Es gehe im Gegenteil um Transparenz und die Folgen der Finanzkrise für die sozialen Sicherungssysteme. "Wir wollen nicht die Schuldenbremse umgehen, sondern wir wollen klar und deutlich machen, welche Haushaltspositionen der Finanzkrise und welche politischen Entscheidungen geschuldet sind", betonte er. Nach dem man den Unternehmen mit der Finanzmarkt-Stabilisierung geholfen habe, werde mit dem möglichen Fonds der breiten Bevölkerung geholfen. Ziel sei es, den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung bei drei Prozent zu deckeln. Hermann Otto Solms (FDP) erklärte, es handele sich um einen "Nebenhaushalt", der mehr statt weniger Transparenz ermögliche. Damit könne jeder erkennen, was die Krisenfolgen seien und was normales Haushaltsgeschehen. Auch sein Fraktionskollege Otto Fricke (FDP) verteidigt den Sonderfonds. "Das Sondervermögen ist unter konjunkturpolitischen Gesichtspunkten alternativlos", sagte er. Ohne müssten die Beitragssätze steigen. Das könne keiner wollen.