Frankfurt wird Bundeshauptstadt. Der Oberbürgermeister der Stadt am Main, Walter Kolb, ist sich seiner Sache sicher: "Liebe deutsche Mitlandsleute, liebe Frankfurter Mitbürger, die Stadt Frankfurt hat die Nachricht, dass sie zur vorläufigen Bundeshauptstadt gewählt wurde, keineswegs mit irgendeinem Gefühl des Triumphes gegenüber anderen deutschen Städten, die ebenfalls zur Wahl standen, aufgenommen. Sie gibt vielmehr ihrer Freude Ausdruck, dass der parlamentarische Rat in Bonn nach rein praktischen und sachlichen Gesichtspunkten entschieden hat." Aufgezeichnet am 9. Mai 1949 in einem Studio des Hessischen Rundfunks, lag Kolbs Rede für den Folgetag sendefertig in der Schublade.
Welche Stadt Sitz des Deutschen Bundestages werden sollte, gehörte 1948/49 zu den Fragen, über die der Parlamentarische Rat beriet - in Bonn. Der Stadt am Rhein rechnete niemand große Chancen aus im Wettstreit mit Frankfurt, der Stadt, die bereits 100 Jahre zuvor mit der Paulskirche Sitz des ersten frei gewählten gesamtdeutschen Parlaments gewesen war.
Dass diese historische Karte stechen würde, davon war Walter Kolb schon 1947 überzeugt, als er Frankfurt als Hauptstadt ins Gespräch brachte. Auf die Hauptstadt-Entscheidung des Parlamentarischen Rates zu warten, kam Kolb gar nicht in den Sinn. Er schuf Tatsachen. Die wiederaufgebaute Paulskirche zum Sitzungsort umzubauen, lehnte der Magistrat der Stadt aus Platzgründen ab. Kolb hat eine andere Idee. 1948 beauftragte er im festen Glauben an die besseren Argumente Frankfurts den damaligen Frankfurter Stadtbaudirektor damit, einen Entwurf vorzulegen, wie man die Pädagogische Akademie an der Bertramswiese im Frankfurter Nordend zum Sitz des Bundestages umbauen könnte. Die Vorgaben: eine schnelle Bauabwicklung und geringe Kosten, damit der Sitzungssaal den Abgeordneten schnell zur Verfügung steht. Allerdings verlangte die Stadt einen Plan B: Sollte die Entscheidung gegen Frankfurt fallen, müsste das Gebäude anders genutzt werden können.
Gesagt, getan. Nach dem architektonischen Vorbild der Paulskirche entstand ein gläserner, von vier Treppentürmen eingefasster Rundbau, der die Transparenz der jungen Demokratie symbolisieren sollte. Alles war bereit für die ersten Bundestagsabgeordneten, die im August 1949 gewählt wurden. Selbst als der Parlamentarische Rat sich am 10. Mai 1949 mit 33 zu 29 Stimmen gegen Frankfurt und für Bonn aussprach und Kolbs tags zuvor aufgezeichnete Rede hinfällig wurde, blieb er hartnäckig. Und die Ministerpräsidenten, die im Juli 1949 festlegten, dass die Entscheidung über den künftigen Sitz des Parlaments den Parlamentariern überlassen werden sollte, gaben ihm Auftrieb. Im August schrieb Kolb jedem der 402 gewählten Abgeordneten einen Glückwunschbrief, dem er die Informationsbroschüre "Wohnraum für die Bundesorgane in Frankfurt" beifügte. Vergebens. Am 3. November 1949 fällten die Parlamentarier ihre Entscheidung: 200 waren gegen, nur 176 waren für Frankfurt.
In Frankfurt zahlte sich nun aus, dass es zuvor kaum vernehmbare Zweifler gegeben hatte, die eine andere mögliche Nutzung des Gebäudes vor dem Bau zur Bedingung gemacht hatten. Bereits acht Monate nach der Abstimmungsniederlage im Bundestag unterschrieb der Intendant des Hessischen Rundfunks (HR), Eberhard Beckmann, am 15. Juli 1950 den Kaufvertrag für den Parlamentsrundbau und die angrenzenden Gebäude. In den Rundbau, der bis heute in seiner äußeren Form erhalten ist, wurden nachträglich vier Etagen eingebaut, auf denen seit den 1950er Jahren Hörfunk- und Fernsehstudios ihren Platz haben. Die als Plenarsaal-Lobby geplante "Goldhalle" sieht dagegen auch nach 60 Jahren unverändert aus. Durch das von 16 Goldsäulen getragene Foyer mit Marmorboden gehen heute Mitarbeiter des HR und Besucher, die erstaunt sind, wenn sie hören, wen das Gebäude ursprünglich beherbergen sollte.