Der Föderalismus passt bei Volker Wissing in kein Regal mehr. Bis an die Decke stapeln sich im Berliner Büro des Bundestagsabgeordneten die Aktenordner, viele von ihnen zur "Föderalismuskommission II". "Das liegt hinter mir", sagt der Liberale, der die FDP in dem Gremium vertreten hat, "das war ein hartes Stück Arbeit".
Es scheint nicht so, als ob sich Wissing, Abgeordneter der FDP aus Landau in der Pfalz, nach dieser Kommission zurücksehne. "Wir haben nicht alles abgearbeitet", zieht der Fraktionssprecher für die Föderalismusreform Bilanz. Über lange Zeit habe man in der Kommission planlos agiert, und die Vorsitzenden seien nicht sehr strukturiert gewesen. Überhaupt Struktur: Dieses Wort fällt bei ihm oft.
Viele nennen Wissing einen Musterjuristen. Zwar gibt es im Parlament viele Rechtswissenschaftler, jede Menge Anwälte. Wissing aber war schon mit 26 Jahren Richter, ging zur Staatsanwaltschaft und verfolgte stets ein Ziel: Den Eingang und Ausgang von Akten im Gleichgewicht zu halten. Struktur zu wahren. Später wechselte er als Referent des Mainzer Justizministers Herbert Mertin in die Politik.
Wenn er einen Raum betritt, fällt er weniger auf als andere. Sacht schreitet er, kein physisches Alphatier, das Raum greift. Doch die graublauen Augen funkeln umso lebendiger, und Wissing, 39, lächelt Präsenz herbei. Monologe hört man bei ihm selten, stattdessen kurze, freie Rede. Seine Zusammenfassung zum Wechsel von der Justiz zur Politik: "In der Politik wird zuwenig zugehört und zuviel geredet." Was will er dann dort? Vielleicht sind es die vielen Aktenordner, die ihn reizen. Die Ordner zur Föderalismuskommission könnten bald raus, dafür wird der Finanzausschuss mehr Platz beanspruchen. Wissing ist zu Beginn der neuen Legislatur zum Vorsitzenden gewählt worden. "Ich wechselte in die Politik, weil ich näher an die Gesetze heran wollte, an ihre Entstehung. Und mich reizte die Verantwortung."
Verantwortung ist das zweithäufigste Wort in Gesprächen mit ihm. Selbst wenn er vom Orgelspielen schwärmt, seiner Passion, redet Wissing von den Zuhörern im Rücken, für die er im Gottesdienst spiele; und dann landet er zügig wieder bei seinem ersten Lieblingswort und der Exaktheit, die Fugen beim Spiel einfordern. "Den Beruf Kirchenmusiker wollte ich aber nicht ergreifen. Ich war immer unzufrieden mit mir, weil ich so hohe Ansprüche an mich formuliert hatte." Doch eines sei Juristerei und Orgelspiel gemein: Beides sei auf Disziplin getrimmt, sagt Wissing.
Die Verantwortung ist in der neuen Legislatur gestiegen, und Dank dem schwarz-gelben Wahlsieg Ende September ist Wissing nun auch bei der Gesetzgebung näher dran, besonders beim liberalen Dauerbrenner Abgaben: "Wir werden die Steuersenkung jetzt durchziehen, weil es geht", sagt er etwas trotzig.
Das klingt nach exekutierendem Macher, aber Wissing bleibt ganz der Legislative verhaftet. "Wir sind eingekesselt", skizziert er die Lage der Koalition. "Einerseits haben wir endlich die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse, und andererseits eine unerfreuliche Wirtschaftslage." Das sei sehr unangenehm. "Aber genau diese Unannehmlichkeit wollte ich für die Bundesregierung als Parlamentarier erreichen." Nun müsse man eben im Hier und Jetzt effizienter werden.
Ärgern kann er sich. Wenn Wissing über fehlenden Wettbewerb zwischen den Bundesländern spricht, ziehen sich plötzlich zwei Furchen um den Mundwinkel. "Der Finanzausgleich schädigt Deutschland", sagt er. "Denn mangelnde Effizienz wird im Ausgleich nivelliert, das muss sich ändern."
Etwas hat sich schon geändert. In der Opposition hat er zahllose Fragen an die Bundesregierung gerichtet, Anträge in den Bundestag eingebracht. "Das Fragerecht ist das Schwert der Opposition", sagt der Jurist. Er wird künftig wohl weniger davon Gebrauch machen - in den kommenden vier Jahren. Bei einer Senkung der Einkommensteuern steht er im Wort. Da muss er jetzt ran als Vorsitzender des Finanzausschusses. Und dann lächelt er über diese unangenehme Lage.