Der Wehrbeauftragte Reinhold Robbe nutzte die Bundestagsdebatte am Donnerstag, 23. April 2009, über den 50. Wehrbericht zu einer sehr grundsätzlichen der Frage: Wie ist es um die Bundeswehr in ihrem Jubiläumsjahr bestellt? Wird sie 60 Jahre nach ihrer Gründung den Ansprüchen des Prinzips der Inneren Führung ebenso gerecht wie den Anforderungen einer "Armee im Einsatz", zu der sich die deutschen Streitkräfte entwickelt haben? Die Antwort darauf fällt zwiespältig aus: Das Prinzip der Inneren Führung habe sich bewährt, doch in punkto Organisation und Ausrüstung gebe es nach wie vor Mängel, so Robbe. Auch das Vertrauen in Führung sei unter den Soldaten gesunken. Solche Probleme müssten unbedingt ernst genommen und offen diskutiert werden. "Das ist eine Voraussetzung für die erfolgreiche Transformation zu einer modernen Armee."
Mängel an Gebäuden, Ungerechtigkeiten bei der Besoldung und eine teilweise familienunfreundliche Personalpolitik behinderten aber diese Entwicklung, so schreibt Reinhold Robbe (SPD) in seinem vierten Jahresbericht, der sich auf das Jahr 2008 bezieht ( 16/12200). Der Wehrbeauftragte lobte zwar das vor zwei Jahren beschlossene Sanierungsprogramm, kritisierte aber, dass sich dennoch viele Kasernen noch immer in einem schlechten baulichen Zustand befänden. Zudem fehlten Pendlerwohnungen.
Defizite sah er auch im Bereich der Vereinbarkeit von Familie und Bundeswehrdienst: Es mangele an Betreuungsplätzen für Kinder. Auch bei der Teilzeit- und Telearbeit bleibe das Angebot weit hinter der Nachfrage zurück. "Das macht den Dienst in der Bundeswehr nicht attraktiver", monierte Robbe.
Wie unattraktiv bereits jetzt die Arbeitsbedingungen für Sanitätsärzte geworden seien, belege die Abwanderung von rund 100 Medizinern, die "ihren Dienst quittiert" hätten. "Weiche Faktoren" müsse man stärker beachten, wenn die Bundeswehr "im Kampf um die besten Köpfe im Rennen" bleiben wolle.
Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) reagierte auf vom Wehrbeauftragten vorgetragenen Missstände: Die Bundesregierung investiere bereits in die technische Ausstattung, mit dem Ziel die Bundeswehr "leistungsfähig und modern" halten. Er verwies unter anderem auf die Anschaffung von 700 neuen geschützten Fahrzeugen für den Auslandseinsatz. Um die sozialen Rahmenbedingungen zu verbessern sei das "Sanierungsprogramm West" aufgelegt worden, außerdem habe man die Besoldung in Ost und West angeglichen. Im Hinblick auf den Bedarf von Pendlerwohnungen kündigte Jung an, ein Modellprojekt zu starten. Den Ausbau von Betreuungsmöglichkeiten versprach der Bundesverteidigungsminister zudem "voranzutreiben".
Allerdings benötige die Bundeswehr mehr gesellschaftliche Unterstützung, gerade für ihre Auslandseinsätze: Ob in Afghanistan, auf dem Balkan oder am Horn von Afrika - 7.200 Soldaten verrichteten ihre Arbeit in Gefahr für Leib und Leben, so Jung. "Dafür haben sie eine breite Unterstützung verdient."
Elke Hoff (FDP) bedauerte, dass die Mängelliste, die der Wehrbeauftragte Jahr für Jahr vorlege, nicht kürzer werde. Gerade die zunehmenden Eingaben von Soldaten, die das Verhalten der militärischen Führung betreffen, seien äußerst problematisch. "Es sollte uns alarmieren, dass sich die Engagiertesten zurückziehen", sagte die Verteidigungsexpertin der Liberalen. Dabei brauche die Bundeswehr gerade die, die sich einbringen - und auch Kritik äußern.
Hoff bemängelte in diesem Zusammenhang auch, dass sich eine vom Bundesverteidigungsminister eingesetzte Arbeitsgruppe erst nach der Bundeswahl mit den Problemen der Streitkräfte - insbesondere mit dem Ärztemangel - befassen wolle. "Die Lage ist zu akut, um sie in dieser Legislaturperiode noch auszusitzen", so die Abgeordnete. Die Abwanderung der Mediziner müsse sofort gestoppt werden.
Hakki Keskin (Die Linke) sieht die Ursache vieler der Schwierigkeiten mit denen die Bundeswehr nun zu kämpfen habe, in "finanziellen Engpässen" begründet. Der Politiker kritisierte, dass "die Bundesregierung den Schwerpunkt auf Auslandseinsätze" gelegt habe. Daher fehle - trotz eines aufgestockten Verteidigungsetats - nun Geld für die Bundeswehr im Inland.
Die Umwandlung der Streitkräfte in eine "Armee im Einsatz" bezeichnete Keskin auch in anderer Hinsicht als Hauptproblem. Immer mehr Soldaten zögen gerade den Einsatz in Afghanistan in Zweifel. Die steigende Anzahl von Toten und Verletzten habe zudem in der Bevölkerung zu einer mehrheitlichen Ablehnung von Auslandseinsätzen geführt. "61 Prozent glauben nicht daran, dass Frieden mit militärischen Mitteln zu schaffen ist", sagte Keskin. "Kümmern wir uns besser um die Inlandsaufgaben."
Auch Winfried Nachtwei (Bündnis 90/Die Grünen) sprach die zunehmende Gefährdung von deutschen Soldaten durch Auslandseinsätze an. Nie zuvor wie im Berichtsjahr 2008 habe es so viele Opfer gegeben. Umso verständlicher sei es, dass die Soldaten "verstärkt nach dem Sinn, der materiellen Ausstattung und Annerkennung für die Einsätze fragten".
Die "organisierte Langsamkeit" bei der Sanierung von Unterkünften und sanitärer Ausstattung nannte der Verteidigungsexperte der Grünen "einen Hohn". Auf die Forderung des Bundesverteidigungsministers, die Truppe brauche mehr gesellschaftliche Unterstützung, entgegnete Nachtwei: "Das kann man nicht durch Appelle und Symbole erreichen, das geht nur durch Dialog zwischen Zivilgesellschaft und Militär". Schädlich für das Ansehen sei es aber mit Sicherheit, wenn der Wehrbeauftragte wiederholt über rechtsextreme Vorfälle in der Truppe berichten müsse.