Er liebt Thüringer Klöße und Rostbratwürste. Auf dem Kaminsims des Empfangssalons seiner Residenz steht ein kleiner lindgrüner Spielzeug-Trabbi. Über die Großbild-Fernsehleinwand flimmern die Streiks in Deutschlands öffentlichem Dienst. Auf dem orientalisch gedrechselten Tisch stehen Datteln, gefüllte Weinblätter und Kubbah, ein aus Reis, Mais und Kartoffeln angefertigtes flaches Brot, das mit Rindergehacktem gefüllt und gebacken eine der Hauptspezialitäten Iraks ist. Vor den riesigen Spiegeln stehen wuchtige Porzellanvasen. Die Armlehnen der Sessel sind golden angepinselt, die Sofas mit üppigen Stoffmustern verziert. Früher wohnten hier Gäste von Saddams Sohn Udai. Heute dient das Haus den neuen Machthabern Iraks. Der Hausherr zieht sich noch schnell eine Jacke über. Auch in Bagdad wird es bei tagsüber schon sommerlichen Temperaturen nach Sonnenuntergang noch ziemlich kühl. Rosch Schaways kommt gerade von einer der unzähligen Zusammenkünfte bei dem amerikanischen Botschafter. Seit Wochen lädt Zalmay Khalilzad unermüdlich politisch Verantwortliche zu sich, um den Regierungsbildungsprozess zu beschleunigen. Rosch Schaways ist Vizepremier der irakischen Übergangsregierung , einer der beiden Stellvertreter von Ministerpräsident Ibrahim Dschafari.
"Die Bildung der Regierung braucht eine Zweidrittelmehrheit zur Wahl des Präsidenten, Parlamentspräsidenten und Premiers", versucht Schaways die zähen Verhandlungen zu erklären. Zwischen zwei Gruppen kommt diese Mehrheit nicht zustande. "Wir brauchen dafür mindestens drei Gruppen." Das Wahlergebnis biete hierfür drei Möglichkeiten, rechnet er vor: "Kurden, Schiiten und die sunnitischen Parteien oder Schiiten, Kurden und die Irak-Liste um Expremier Ijad Allawi oder Schiiten, die Irak-Liste und Sunniten." Die wichtige Frage sei aber nicht das Zahlenspiel, sondern die Gemeinsamkeiten, die diese Gruppen aufwiesen. Und da seien sich Schiiten und Kurden eben näher als alle anderen. Besonders in der jetzigen Situation, wo die Konfrontation zwischen Sunniten und Schiiten immer stärker wird und auch die Einbindung Allawis in die neue Regierung bei den Schiiten auf erheblichen Widerstand stößt. Allerdings hat Schaways schon mehrmals die schmerzhafte Erfahrung machen müssen, dass sich Allianzen sehr schnell verschieben können. "Was die Schiiten mit uns Kurden verbindet, ist der Wille zu einem föderalen Staat", führt er als Kernpunkt an. Deshalb geht er davon aus, dass auch der Grundstein für die neue Regierung die Zusammenarbeit zwischen Kurden und Schiiten sein wird.
Der stattliche Mann mit dem kurzen, grauen Haar und der leisen Stimme wurde 1947 im kurdischen Suleimanija geboren und kam in den 70er-Jahren in die thüringische Provinz nach Ilmenau. "Die haben mich dahin abgeschoben", schmunzelt er über den ihm zugewiesenen Studienort. An der Technischen Universität studierte er Elektrotechnik, promovierte und traf die Liebe seines Lebens, mit der er auch heute noch verheiratet ist und drei Kinder hat. Politisch engagierte sich der aufstrebende Kurde als Leiter eines kurdischen Studentenverbandes in Berlin, trat in die Kurdische Demokratische Partei (KDP) von Mazud Barzani ein, wurde 1996 für drei Jahre Ministerpräsident der kurdischen Teilregierung in der Nordprovinz Erbil und schließlich 1999 Präsident der Kurdischen Nationalversammlung im nordirakischen Autonomiegebiet.
Seine für orientalische Verhältnisse ungewöhnlich ruhige Art hat ihn oft zum Vermittler berufen. So versuchte er bereits 1991 nach dem zweiten Golfkrieg um Kuwait zwischen den Kurden und dem verhassten Regime in Bagdad zu verhandeln, um ein Blutbad zu verhindern. US-Präsident George Bush senior hatte Kurden und Schiiten zum Aufstand gegen Saddam Hussein ermuntert, dann aber keine Truppen zur Unterstützung geschickt. Schaways Vermittlungsversuch war vergeblich. Tausende Kurden wurden umgebracht, hunderttausende von ihnen flohen in Todesangst in die Berge.
Die jetzige Situation im Irak zeige, dass eine erfolgreiche Regierung alle Komponenten der irakischen Bevölkerung spiegeln müsse, wirbt der amtierende Vizepremier für sein Ziel, eine "große Koalition zwischen Euphrat und Tigris" zu etablieren. Um dies zu erreichen, werde derzeit erst einmal in Gruppen diskutiert, um die Hauptziele und Richtlinien auszuloten. Schaways liegt mit seinem Bestreben ganz auf der Linie der Amerikaner, die ebenso eine Regierung der Nationalen Einheit anstreben. Wie schwierig dies zu bewerkstelligen ist, zeigen die bereits mehrfach gescheiterten Verhandlungsrunden. Schon bei der Bildung der noch amtierenden, dritten Übergangsregierung im Frühjahr vergangenen Jahres wurde versucht, ein Konsenskabinett zusammenzustellen. Die Kurden plädierten für die Einbindung Ijad Allawis. Ohne Erfolg. Allerdings lagen damals die Mehrheitsverhältnisse anders. Kurden und Schiiten konnten allein regieren. "Jetzt müssen wir Allawi oder die Sunniten dazu nehmen."
Die blutigen Auseinandersetzungen zwischen Schiiten und Sunniten aber zeigen, dass eine Einigung noch nicht in Sicht ist. "Die Meinungen, wie man Terrorismus bekämpfen soll, sind zu unterschiedlich", erklärt Schaways. "Die einen wollen hierfür einen ,Debaathifizierungsprozess' und meinen, das Problem lösen zu können, wenn man ehemalige Baath-Parteimitglieder bekämpft. Andere wiederum meinen, nur über wirtschaftliche Maßnahmen - einen ökonomischen Aufschwung - den Terroristen den Nährboden entziehen zu können. Wieder andere wollen durch Integration der Rebellen den Terrorismus eindämmen." Ausschlaggebend für die Regierungsbildung jedoch sei die Haltung zum Terrorismus. "Es darf keine Gruppe an der Regierung teilnehmen, die Terroristen unterstützt."
Genau dies aber werfen die Schiiten einigen Vertretern der sunnitischen Parteien vor. Im Gegenzug spricht die Islamische Partei Iraks - die größte Sunnitenpartei - von staatlich gefördertem Terrorismus und macht den schiitischen Innenminister und seine Badr-Miliz für die brutalen Morde an Sunniten in jüngster Zeit verantwortlich. Unüberbrückbare Gegensätze, wie es scheint. Doch Rosch Schaways ist optimistisch: "Es wird keinen Bürgerkrieg im Irak geben", sagt er bestimmt. Für sich selbst strebt er den Posten des Vizepremiers auch in der nächsten, auf vier Jahre angelegten Regierung an. Ansonsten wolle er zu seiner Familie nach Berlin zurückkehren.