Stasi-Unterlagen
In einem Pilotprojekt werden zerrissene Akten automatisch virtuell rekonstruiert
Es ist eine Aufgabe, die auch in mehreren Menschenleben nicht bewältigen wäre: In insgesamt 16.250 Säcken lagern in der Stasi-Unterlagenbehörde schätzungsweise 45 Millionen zerrissene Dokumente. Ihr Inhalt könnte viele Menschenleben beeinflussen - denn die Schnipsel sind die Überreste der Stasi-Akten, die zwischen Herbst 1989 und Januar 1990 im ehemaligen Ministerium für Staatssicherheit vernichtet wurden.
Zunächst hatten die Stasi-Mitarbeiter die Akten noch durch Reißwölfe gejagt, doch als die versagten, hatten sie die Dokumente per Hand zerrissen. Die Mitarbeiter der Stasi-Unterlagenbehörde vermuten, dass in den Papierfetzen noch so manches Geheimnis schlummert - in den Befehlen der Stasi-Führung zur Aktenvernichtung war die Beseitigung von belastendem Material und Unterlagen zu inoffiziellen Mitarbeitern angeordnet worden.
Doch das Zusammensetzen der Schnipsel ist ein Mammutprojekt: "Um sie von Hand zusammenzufügen, wären 30 Menschen 600 bis 800 Jahre lang beschäftigt", erklärt Bertram Nickolay, Abteilungsleiter am Fraunhofer Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik. Gemeinsam mit seinen Kollegen hat er ein Verfahren entwickelt, mit dem die Schnipsel automatisch virtuell rekonstruiert werden können. Dafür werden sie zunächst gescant und digitalisiert, danach beginnt das System zu puzzeln. "Anhand von Merkmalen wie Schriftfarbe, Schriftgröße oder Form sucht der Computer nach Übereinstimmungen. Hat er passende Teile gefunden, werden sie zu einem größeren Dokument zusammengefasst", so Nickolay. Zehn Jahre hat das Institut an dem Verfahren geforscht, 2003 stellte es einen ersten Prototypen vor. Nun beginnt eine zweijährige Pilotphase, für die der Bundestag 6,3 Millionen Euro bewilligt hat.
"Zunächst werden Hard- und Software weiterentwickelt", erklärt Ilona Schäkel, Sprecherin der Stasi-Unterlagenbehörde. "Wir rechnen damit, dass uns in etwa anderthalb Jahren erste rekonstruierte Seiten vorliegen." Bis zum Ende des Projekts sollen die Schnipsel aus 400 Säcken zusammengesetzt werden. "Wenn es dann weitergehen würde, könnten die 600 Millionen Schnipsel in fünf bis sieben Jahren wieder zusammengesetzt sein", zeigt sich Nickolay optimistisch. Ilona Schäkel freut sich über diese guten Ausichten. Doch zunächst bleibt sie gelassen: "Für uns heißt es jetzt erstmal weiterpuzzeln wie bisher."