NOVELLE
Wissenschaftler kritisieren das neue Gesetz
Im Juli hat der Bundestag die zweite Stufe der Urheberrechtsreform beschlossen - und sich zwischen alle Stühle gesetzt: Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) lobte zwar, dass "wir das Urheberrecht fit fürs digitale Zeitalter machen". Wissenschaftler jedoch wittern einen "Rückschritt" durch die neuen Regelungen. Der freie Umgang mit Wissen, für viele in der Zunft unter dem Stichwort "Open Access" und der kostenfreien Vorpublikation von Fachbeiträgen im Netz längst Grundlage ihrer täglichen Arbeit, bleibe dem Gesetzgeber ein Fremdwort, bemängeln Forscher. Allein eine befürchtete Rechtsunsicherheit für freie Software und "Open Content"-Sammlungen wie die Wikipedia sei beseitigt worden.
So stellt die Novelle klar, dass der Urheber sein Werk kostenlos zur Verfügung stellen kann, indem er jedem ohne Schriftform ein einfaches Nutzungsrecht einräumt. Andererseits werden die Möglichkeiten für Vervielfältigungen zum Eigengebrauch aus Tauschbörsen beschränkt. Künftig gilt: Wenn für den Nutzer einer Online-Tauschbörse "offensichtlich" ist, dass es sich bei einem Text, Film oder Musikstück um ein illegales Angebot handelt, darf er keine Kopie ziehen. Verbraucherschützer fragen sich, wie ein Laie vor dem Download einer Datei nun deren Rechtsmäßigkeit prüfen soll.
Auch das Bündnis "Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft" sieht die "schlimmsten Befürchtungen bestätigt": Schwarz-Rot habe das selbst erklärte Ziel, ein "bildungs- und wissenschaftsfreundliches Urheberrecht" zu schaffen, verfehlt. Stein des Anstoßes: Bibliotheken, Museen oder Archive dürfen - bis auf "Belastungsspitzen" - nur ein Exemplar von Werken aus ihrem Bestand an elektronischen Leseplätzen zugänglich machen. Praktiker hatten angestrebt, digitale Kopien an allen Bildungseinrichtungen campusweit verfügbar zu machen. Nun müssten Mitarbeiter aus entlegenen Niederlassungen in die Bibliothekszentrale fahren, um ein Buch am Monitor zu lesen.
Ebenfalls kann man sich künftig kaum noch digitale Kopien von Fachliteratur schicken lassen. Bibliotheken erhalten jetzt zwar die Erlaubnis, Aufsätze als "grafische", also nicht automatisch durchsuchbare Dateien zu versenden - aber nur, wenn Verlage den Zugang zu den Informationen nicht selbst "zu angemessenen Bedingungen" ermöglichen. Meist haben die Wissenschaftsverlage bereits entsprechende Angebote zu Online-Bestellungen einzelner Artikel eingerichtet: Für sie verlangen sie nach Angaben von Bibliothekaren pro Stück 30 Euro und mehr.
Der Bildungsausschuss des Bundestags plädiert nun für eine möglichst rasche Aufnahme der Arbeiten "an einem dritten Korb". Dabei gelte es zu prüfen, "wie das Prinzip eines freien und für die Nutzer im Regelfall kostenlosen Zugangs zu mit öffentlichen Mitteln produziertem Wissen auch in Deutschland festgeschrieben werden kann". Nachbesserungsbedarf haben die Bildungspolitiker etwa bei der Wiedergabe digitaler Bücher an Terminals ausgemacht. Und auch das wissenschaftliche Veröffentlichungsprozedere soll vereinfacht werden: Heute müssen meist staatlich geförderte Forscher für Publikationen in Fachzeitschriften oft Druckzuschüsse bezahlen. Die Bibliotheken abonnieren die Magazine dann für viel Geld. Beim Open-Access-Prinzip stellen die Wissenschaftler ihre Artikel dagegen gleich frei zugänglich ins Netz, bevor die Selektion der Verleger erfolgt.
Der CDU-Rechtsexperte Günter Krings sprach jüngst von einer "Freibier-Mentalität in der Wissenschaft". Auf dem Weg zu einem dritten Korb gibt es also noch hinreichend Gesprächsstoff.
Der Autor arbeitet als freier Journalist in Berlin.