Organisation
Wie Unternehmen versuchen, das intellektuelle Kapital der Mitarbeiter optimal zu nutzen
Da wird "genetworkt" und "gechangt", es geht um intellektuelles Kapital, Wissenscontrolling, Wissenstransfer, intelligente Suchmaschinen - wenn es um Wissensmanagement geht, regnet es Schlagworte. In diversen Unternehmen steht das Thema seit einigen Jahren hoch im Kurs. Dahinter steckt die Vorstellung, das Wissen, das in einem Unternehmen - also in den Köpfen der Mitarbeiter - vorhanden ist, strukturiert und breit verfügbar machen zu können. Notwendig sei Wissensmanagement wegen der Globalisierung, der rasanten technologischen Entwicklung und stetig steigender Anforderungen, auf die Firmen flexibler reagieren müssten, heißt es.
Eine Ressource, die noch nicht zu 100 Prozent ausgeschöpft zu sein scheint, ist der Mitarbeiter. Was er kann, lässt sich an seinem Tun ablesen. Doch was er weiß, ist letztlich sein Geheimnis. Wissensmanagement soll ihm dies entlocken. Über das Wie machen sich Forschungseinrichtungen und vor allem Beraterfirmen viele Gedanken.
Der Geschäftsführer eines mittelständischen Maschinenbauers (2.000 Beschäftigte) im mittleren Neckarraum antwortete auf die Frage, ob seine Firma sich mit Wissensmanagement befasse: "Womit? Für so etwas haben wir keine Zeit. Wir müssen unser tägliches Geschäft bewältigen." Selbstverständlich achtet die Firma darauf, dass ihre Entwicklungsingenieure sich austauschen, dass Projekte sinnvoll dokumentiert werden, dass per Intranet Informationen diejenigen erreichen, die sie benötigen. Aber für den Mittelständler ist das kein Wissensmanagement, sondern logisches Vorgehen, damit die Firma erfolgreich arbeiten kann.
In dem global agierenden Wirtschaftsprüfunternehmen Price Waterhouse Coopers (PWC) beschäftigt man sich dagegen seit acht Jahren aktiv mit Wissensmanagement. "Unsere 8.100 Beschäftigten in Deutschland sind ja vor allem Kopfarbeiter", sagt Lutz Roschker. Er ist Partner bei PWC, leitet in Frankfurt am Main die Abteilung Corporate Development und ist damit für Wissensmanagement zuständig. Ein Begriff, der seiner Ansicht nach im Grunde Unsinn ist: "Wissen kann man nicht managen. Wir managen Menschen." In seiner fünfköpfigen Stabsstelle entwickelt er Strategien, wie "Inhalte und Informationen an die richtigen Stellen kommen." Grundsätzlich besteht das Problem, dass Beschäftigte ihr Wissen nicht unbedingt gerne breit streuen. Dahinter steckt die Furcht, Herrschaftswissen zu verlieren oder sich zu blamieren. So hat eines der ersten Projekte, in dem man mit Hilfe des Wissens der Mitarbeiter eine Bibliothek aufbauen wollte, nicht geklappt. Zum einen veraltete das in der entstandenen Datenbank gesammelte Wissen schnell. Zum anderen beteiligten sich viele Beschäftigte nicht an der Wissenssammelei. Offenbar beschlich sie das Gefühl, ausgesaugt zu werden.
Für Roschker ist es notwendig, die Unternehmenskultur weiterzuentwickeln. "Wenn ich befürchten muss, dass mein Wissen von einem Kollegen genutzt wird, um sich zu profilieren, wird es nicht funktionieren." Seiner Einschätzung nach hat sich in dieser Hinsicht schon einiges geändert. "Jüngere Leute, die mit Blogs und Wikis (einfache Content Management Systeme, A. d. R.) groß geworden sind, tauschen sich viel selbstverständlicher aus."
Diese durch die neuen Medien geprägt Verhaltensänderung will PWC nutzen. So plane man derzeit ein Projekt mit Pilot-Wikis. Dort sollen Fachleute bestimmte Themen besprechen. Als Beispiel nennt Roschker Nachhaltigkeitsberichte: "Diese werden für Firmen und damit auch für uns immer wichtiger. Mitarbeiter sollen in den Wikis austauschen, welche Kundenprobleme es dabei geben kann und wie sie gelöst werden." Neben dem für PWC nützlichen Ergebnis - Schulung der Mitarbeiter und dadurch bessere Berichte für den Kunden - erfüllen Wikis einen weiteren Zweck. "Das sind Kommunikationsformen, die junge Leute kennen und die sie von einer modernen Firma erwarten."
Als Ansporn, sich an den neuen Kommunikationsformen zu beteiligen, dienen in der Regel die Erfahrung, dass man immer etwas zurückbekommt, wenn man selbst Informationen weitergibt, und das Karrierestreben. Denn die Beteiligung wird von Firmenleitungen positiv bewertet. Letztlich allerdings entscheiden die Umsatzzahlen. Wenn die stimmen, dürfte es kaum eine große Rolle spielen, ob sich der betreffende Leistungsträger an Wikis, Blogs oder sonstigen Austauschforen beteiligt hat. Doch Roschker ist überzeugt, dass PWC sich mit seiner Form des Wissensmanagements auf dem richtigen Weg befindet. "Wir müssen ein Umdenken erreichen. Das lässt sich in einem Unternehmen nicht von heute auf morgen verwirklichen."
So schätzt auch Wolfgang Sturz die Situation ein. Unter dem Dach seiner Sturzgruppe GmbH in Reutlingen berät er Firmen in punkto Wissensmanagement. Dahinter stehen eigene Erfahrungen. In seinem Kerngeschäft - Übersetzungen und Dokumentationen - hatte Sturz Mitte der 90er-Jahre erlebt, "dass das Wissen im Urlaub war und uns anderen zehn das Wissen des urlaubenden Kollegen fehlte." Die Folge: Es wurde eine systematische Ablage eingeführt (Leitzordner), ein Mailsystem folgte, das zentrale Zugriffe auf Themen erlaubt, anstatt jede Mail jedem Kollegen zu schicken, und der Austausch unter den Mitarbeitern wurde gefördert. Früher wurde das als Büroorganisation und Personalführung bezeichnet. Sturz grinst und sagt: "Wir haben es Wissensmanagement genannt." Er räumt ein: "Im Grunde sind das banale Geschichten, die aber immer noch Baustellen sind."
Seiner Überzeugung nach haben viele Chefs noch nicht realisiert, "dass in den vergangenen Jahren eine Umkehrung der Wissenshierarchie stattgefunden hat. Früher wusste der Meister quasi alles. Heute wissen viele Mitarbeiter mehr als ihre Chefs. Der ist im Grunde für die Strategie zuständig, aber er muss nicht alles wissen." Noch nie seien Informationen derartig frei verfügbar gewesen wie heute, meint Sturz. "Die Qualifikation besteht nicht mehr darin, Informationen zu sammeln, sondern zu wissen, was ich damit anfangen kann." Die Geschwindigkeit, mit der sich Technologie und auch Gesellschaft verändern, lasse "weniger Zeit zum Nachdenken". Eine Kultur, mit dem Informations-Overkill umzugehen, habe sich aber noch nicht entwickelt. Eben die soll sich im Rahmen von Wissensmanagement herauskristallisieren, damit die Firma floriert.
Skeptisch sieht Dietmar Born von Born und Partner derartige Management-Strategien. Der Berliner ist ebenfalls Berater, allerdings der Ansicht, dass die klassischen Instrumente Unternehmen nicht wirklich nützen. Sein Ansatz: Der Mensch muss als Ganzes gesehen werden, mit all seinen Fähigkeiten, zu denen auch Gefühle zählen. Born: "Klassisches Wissensmanagement ist aber im Grunde nur die x-te Kostensenkungsanalyse. Da wird versucht, aus dem Kostenfaktor Mensch so viel wie möglich herauszuholen. Dabei geht es nicht darum, dass der Mensch sein Potenzial entfalten kann, sondern es geht ums ,Habenwollen'." Er verweist auf die jüngste Gallup-Studie, nach der gerade noch 13 Prozent der Beschäftigten sich in hohem Grad mit ihrem Unternehmen identifizieren. Der Rest macht mit oder hat sich innerlich verabschiedet. Für Born eine Folge falscher Unternehmensführung, die auf Dauer nicht funktionieren kann. Born: "Jedes Unternehmen wird von bestimmten Denkhaltungen geprägt und die kommen von der Führungsspitze." Wenn dort das Denken stimmt, folge der Rest automatisch. Um ein Unternehmen erfolgreich zu führen, müssen seine Stärken und Werte erkannt werden. Born: "Profit allein ist jedoch kein Wert, für den ein Mitarbeiter auf Dauer seine Gaben entfaltet."
Fasst man Wissensmanagement über das bloße Absaugen von Informationen hinaus, würde es auch in einem von Dietmar Born beschriebenen Ideal-Unternehmen funktionieren. Denn im Grunde beinhaltet Wissensmanagement Organisation, Personalführung, Dokumentation, Schulung und anderes Altbekannte. Neu ist allein die Nutzung der so genannten Neuen Medien. Deren sinnvoller Einsatz muss genau geprüft werden. Dabei hilft wie meist im Leben vor allem der Einsatz des gesunden Menschenverstandes. Oder, wie Manager es gerne ausdrücken: "A fool with a tool is still a fool" (ein Dummkopf mit Hilfsprogramm ist immer noch ein Dummkopf).
Die Autorin arbeitet als freie Journalistin in Esslingen.