Gedruckte Nachschlagewerke
Standhaft gegen die Bedrohung aus dem Netz
Im Jahr 2001 wurde es ins Leben gerufen, seither hat sich das Online-Lexikon Wikipedia zu einer der meistzitierten Quellen weltweit entwickelt: Die deutsche Ausgabe umfasst derzeit rund 600.000 Einträge und sie wächst täglich weiter. Dagegen nimmt sich die 30-bändige "Brockhaus Enzyklopädie" mit ihren 300.000 Stichwörtern geradezu schmächtig aus.
Die Konkurrenz aus dem Netz spüren die Verlage gedruckter Lexika deutlich. "Die Bedrohung durch Wikipedia ist groß", gab Rolf Müller, Langenscheidt-Verlagsleiter, auf der Frankfurter Buchmesse 2006 zu. Ganz neu ist sie nicht: "Schon Ende der 90er-Jahre gab es die Prognose, das gedruckte Lexikon sei tot", sagt Christoph Hünermann, Geschäftsführer des Wissen Media Verlags, einer Bertelsmann-Tochter. Davon, dass sich diese Prognose erfüllt hätte, kann heute höchstens im Ansatz die Rede sein. "Nach einer deutlichen Absatzsteigerung zu Anfang dieses Jahrzehnts stagnieren unsere Auflagen, aber auf hohem Niveau", sagt Hünermann. Ähnliches äußert Klaus Holoch, Sprecher des Brockhaus-Verlags: "Wir spüren die Online-Welt, aber das klassische Lexikongeschäft ist nur schwach rückläufig."
Von Panik zu sprechen, wäre also vermessen. "Wissen wird immer gebraucht, aber das Nutzungsverhalten ändert sich", sagt Hünermann. Er sieht durch das Internet vor allem den Verkauf von Großwerken gefährdet, aber weiterhin gute Chancen für einbändige Lexika. Nach Angaben von Klaus Holoch lief allerdings erst vor kurzem der Verkauf eines 20-bändigen Themenlexikons des Brockhaus-Verlags in Kooperation mit der Zeitschrift "Geo" sehr erfolgreich.
Einig sind sich Hünermann und Holoch darin, dass der Einfluss des Internets steigen und die Bedeutung so genannter Communities zunehmen wird. Diese agieren nicht nur als Konsumenten eines Online-Angebots, sondern beteiligen sich, wie bei Wikipedia, durch so genannten User Generated Content auch an dessen Entstehung und Aktualisierung.
Auch Brockhaus und Wissen Media haben inzwischen Inhalte ins Netz gestellt, auf welche die Nutzer Einfluss nehmen können. Brockhaus beispielsweise hat 150.000 Stichwörter aus "Meyers großem Taschenlexikon" allgemein zugänglich gemacht. Sie können kostenlos abgerufen und kommentiert werden. Außerdem gibt es die Möglichkeit, neue Artikel zur Aufnahme vorzuschlagen. "Wir wollen damit herausfinden, wie die Online-Community tickt", sagt Klaus Holoch.
Wissen Media fordert über sein Portal "wissen.de" dazu auf, zum "Chronik-Reporter" zu werden und Beiträge für den Jahresrückblick 2007 zu verfassen. Die Beiträge erscheinen nach einer redaktionellen Prüfung online und eventuell auch gedruckt. Christoph Hünermann möchte "den Lesern einen inhaltlichen Mehrwert bieten". Außerdem verspricht er sich eine stärkere Kundenbindung: "Wenn ich mir die Mühe mache und einen Text schreibe, dann bin ich auch an dem Buch interessiert, in dem er erscheint." Schließlich diene das Projekt der Marktforschung: "Dadurch können wir feststellen, für welche Themen sich die Nutzer interessieren."
Sowohl Brockhaus als auch Wissen Media planen weitere Projekte. "Vor allem junge Zielgruppen nutzen zunehmend multimediale Inhalte, weshalb es in zehn bis 15 Jahren einen gravierenden Wandel geben wird", sagt Hünermann. Deshalb müsse man künftig noch stärker über Crossmedia-Produkte nachdenken. Viele Verlage bieten als Ergänzung zu ihren Druckwerken längst CDs oder DVDs mit Filmen, Tonbeiträgen, interaktiven Grafiken und Hyperlinks als Querverweisen an. Daneben gibt es rein digitale Lexika: Microsoft hat mit seiner "Encarta" eine DVD auf dem Markt, deren Einträge online aktualisiert werden können. Ein Konkurrenzprodukt ist der "Brockhaus multimedial", für den sich jährliche Online-Updates abonnieren lassen. Auch die "Brockhaus Enzyklopädie" steht als digitaler und online zugänglicher Datensatz zur Verfügung. "Es wird viele Parallel- und Hybridangebote, aber auch immer mehr reine Online-Produkte geben, zum Beispiel Referatstrainer für Schüler", prophezeit Klaus Holoch. Brockhaus habe inzwischen eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die speziell für Jugendliche Online-Angebote entwickeln soll.
Der Autor ist freier Mitarbeiter im Wissenschaftsressort der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung".