NETZPLAGIATE
Das Internet als Fundgrube für schreibfaule Schüler und Studenten
"Keine Lust selbst zu arbeiten? Durchsuche doch einfach tausende fertige Hausaufgaben und Referate, Facharbeiten oder Biografien und drucke aus, was du brauchst." Mit dieser Aufforderung begrüßt die Website schoolunity.de den Surfer und steht damit fast paradigmatisch für einen historischen Wandel in der Textkultur: Das "Google-Copy-Paste-Syndrom" ist im Begriff, die einstigen Fähigkeiten der inspirierten Recherche, des genauen Lesens und des eigenständigen Schreibens in bestimmten Bereichen abzulösen. Haus-, Diplom- und Doktorarbeiten, ja sogar Kapitel von Habilitationsschriften werden gnadenlos kopiert, der Handel mit eigenen Arbeiten boomt. Textplagiate in den Sozial- und Kulturwissenschaften - seltener in den technischen und naturwissenschaftlichen Fächern - sind nur die Spitze des Eisbergs dieser Veränderung, die sich auch in anderen Formen des Text-Recyclings zunehmend zeigt, in den Schulen etwa oder im Journalismus. Bundesdeutsche Anbieter wie hausarbeiten.de (mit derzeit rund 70.000 Arbeiten online) geben zwar vor, den Netzplagiarismus nicht zu dulden. Tatsächlich sind sie erste Fundgrube für Schüler und Studierende, die nicht selbst schreiben wollen.
Die Universitäten haben im Falle plagiierter Abschlussarbeiten die Möglichkeit, akademische Grade im Nachhinein abzuerkennen. Die Westfälische Wilhelms-Universität Münster droht bei Plagiatsverstößen sogar mit einer Strafe von bis zu 50.000 Euro.
Insgesamt liegen dem Autor dieses Artikels 45 Plagiatsfälle in der deutschsprachigen Wissenschaft und im Journalismus (seit 1981) vor. Die eigenen wissenschaftlichen Arbeiten wurden bereits vier Mal plagiiert. Der Siegeszug des Internets als neue - und schließlich dominante - Wissensquelle schlägt sich in einer deutlichen Zunahme der Plagiatsfälle nieder. Inzwischen wurde eigens Plagiatserkennungssoftware entwickelt, um Fälle von Textdiebstahl maschinell zu identifizieren. Beispiele dafür sind auf internationaler Ebene Turnitin oder Mydropbox und in Deutschland Docoloc oder Textguard. Allerdings ist die derzeit beste "Software" immer noch das Hirn des Lehrenden: Denn, so meint auch die Berliner Informatikerin und Plagiatsexpertin Debora Weber-Wulff, das Plagiatsproblem sei nicht allein mit Software zu lösen. Eine Forschergruppe des Grazer Informatikers Hermann Maurer hat die Plagiatserkennungsrate von zwei führenden Anbietern am Markt empirisch getestet und festgestellt, dass die Defizite groß sind.
Für die "Generation Google", die eben mal eine Biografie aus der Wikipedia herauskopiert, haben die Vorstellungen von "Autorschaft", "Urheberrecht" und "Original" offenbar weitgehend ausgedient. RSS-Feeds, Blogs, Wikis und nun auch noch eine Art YouTube für Texte (scribd.com) verändern die Textkultur aus dem Gutenberg-Zeitalter gleichsam über Nacht. Die Auswirkungen auf die Wissensproduktion werden fundamental sein. Es gibt eine Reihe warnenden Stimmen, etwa die von Andrew Keen mit seinem schonungslosen und polemischen Buch "The Cult of the Amateur. How today's Internet is Killing Our Culture". Sie sollten in die Diskussionen um E- und Microlearning und weitere Digitalisierungsprojekte dringend mit einbezogen werden.
Der Autor veröffentlichte 2007 das Buch "Das Google-Copy-Paste-Syndrom" und arbeitet als Medienwissenschaftler in Salzburg und Dresden.