RECHERCHE
Ob World Wide Web, Expertengespräch oder Lexikon - wer zuverlässig informiert werden will, sollte sich auf eine Quelle allein nicht verlassen
Es gilt, eine sensationelle Ankündigung zu prüfen. Ein irisches Unternehmen hat einen wissenschaftlichen Durchbruch ersten Ranges angekündigt: Man habe eine Maschine entwickelt, die mehr Energie erzeugt, als man ihr zuführt - eine Energiequelle, die viele Menschheitsprobleme auf einen Schlag lösen könnte. Ein Perpetuum mobile.
Kann das stimmen? Waren da nicht fundamentale Gesetze der Physik, die so etwas unmöglich machen? Wie kommt man am schnellsten zu einer schlüssigen Antwort: mit Hilfe des Internets oder mit den klassischen Recherchemethoden - per Nachschlagewerk und am Telefon?
Zunächst hilft ein Blick ins 20-bändige Lexikon ein bisschen weiter. Ein Perpetuum mobile, ist da zu lesen, sei eine Maschine "die ohne Energiezufuhr Arbeit verrichtet", und das sei mit dem "Energiesatz" nicht vereinbar. Außerdem steht da: "Seit I. Newton und G. W. Leibniz ist die Unmöglichkeit eines P.m. erwiesen."
Das wiederum erstaunt. Wissenschaftstheoretisch betrachtet ist auch die Newtonsche Mechanik nur eine Theorie, und die beweist nichts - sie muss sich immer wieder neuen Überprüfungen stellen. Stellt das Lexikon hier einfach Behauptungen auf?
Ein Anruf soll Klärung bringen. Über die Deutsche Physikalische Gesellschaft findet man leicht einen Experten, der alles über das Thema weiß. Er sieht die Pläne der irischen Energie-Erschaffer zwar mit großer Skepsis, sagt aber auch, man müsse "offen sein, falls jemand etwas wirklich Neues erfunden hat: Vor 150 Jahren hätte man gesagt, Fernsehen und Flugzeuge sind Utopien, und das Perpetuum mobile ist machbar."
Der Experte ist eine sprudelnde Quelle: Er berichtet über die gescheiterten Versuche der vergangenen Jahrhunderte, die antriebslose Bewegungsmaschine zu konstruieren. Er beschreibt Grundprinzipien, auf denen die unterschiedlichen Ansätze aufbauen - Auftrieb, Temperaturaustausch und verschiedene Arten von Rädern mit mechanischen Anhängseln. Zum Schluss des Gesprächs berichtet der Experte von einem Trick, einem mit Magneten bestückten Plexiglas-Rad: Einer der Magneten war in Wahrheit ein Elektromagnet, der periodisch heimlich eingeschaltet wurde und so das Rad antrieb. Das ähnelt verdächtig dem, was die irischen Weltretter vorschlagen.
Das dritte Recherchewerkzeug, die Zeitungsdatenbank, wirft zum Thema "Perpetuum mobile" eine verwirrende Vielfalt von Treffern aus - für den Firmennamen des irischen Unternehmens dagegen keinen einzigen.
Nun muss das Internet ran. Der Firmenname "Steorn" liefert eine ganze Reihe von Suchmaschinen-Treffern, einige davon auch Zeitungsartikel, vorwiegend aus irischen und britischen Publikationen. Ein Reporter des "Guardian" hat schon einmal eine Demonstration der angeblichen Wundertechnik zu sehen bekommen - die ihn skeptisch zurückließ. Das Unternehmen gab im vergangenen Jahr eine sündteure Anzeige im "Economist" auf, um internationale Spitzenforscher einzuladen, das eigene System zu begutachten. Auch die Unternehmenswebseite selbst enthält einiges an Information, etwa eine Aufstellung der Unternehmensfinanzen. Anderes ist von Steorn nicht zu bekommen, denn die angegebene Telefonnummer führt in eine Warteschleife ohne Ausgang, entsprechende E-Mails werden nicht beantwortet.
Umso aufschlussreicher ist der Wikipedia-Eintrag zu dem Unternehmen. In der englischsprachigen Ausgabe findet sich eine detaillierte Zusammenstellung aller öffentlich verfügbaren Informationen - die natürlich mit Vorsicht zu genießen ist, weil an dem Internet-Lexikon bekanntlich jeder mitschreiben kann. Weil das Netzlexikon sich aber die neue Hürde gesetzt hat, möglichst alle Angaben auch mit Quellen zu belegen, ist der Eintrag eine erstklassige Grundlage: Er enthält beispielsweise Links zu einem Faksimile der Steorn-Anzeige im "Economist", zu öffentlich verfügbaren Patentschriften des Unternehmens, zu einer Vielzahl entsprechender Zeitungsartikel und zu einem siebenminütigen Fernsehinterview, das der Firmenchef einem britischen Sender gegeben hat.
Noch umfassender sind die Informationen zum Thema Perpetuum mobile: Alles, was der Experte am Telefon beschrieben hat, findet sich mit wenigen Klicks, samt Abbildungen und ausführlichen Erklärungen für das zwangsläufige Scheitern der Apparate - aus der Feder von Physikern.
Fazit: Das Internet ist in punkto Informationstiefe und vor allem Schnelligkeit schwer zu schlagen. Wie verlässlich die dort gefundenen Informationen sind, ist allerdings zuweilen schwer einzuschätzen. Ein Expertengespräch zur Verifikation ist im Zweifel unverzichtbar - der Blick ins Lexikon dagegen erübrigt sich inzwischen beinahe: Die dort gesammelten Informationen sind erstens sehr knapp - und zweitens, wie das Beispiel zeigt, auch nicht immer hundertprozentig verlässlich.