VOLKSZÄHLUNG
Europa will seine Bürger zählen, aber über das Wie wird noch gestritten
Wilde Ehe? Bildungsgrad? Monatsgehalt? Dies alles seien private Dinge, die den Staat nichts angehen - meint zumindest der Sozial- und Beschäftigungsausschuss im Europaparlament. Einen entsprechenden Fragekatalog, den die EU-Kommission den Mitgliedstaaten für die 2011 anstehende europaweite Volkszählung vorschlagen will, lehnte der Ausschuss ab. Auch für die Debatte in der Dezember-Tagung werden heftige Diskussionen erwartet.
Vor allem grüne und liberale EU-Abgeordnete hatten in der jüngsten Ausschusssitzung gegen eine Liste privater Angaben mobil gemacht, deren Abfrage in der Volkszählung erlaubt sein soll. In der Debatte über die zulässigen Details der Datenerhebung hatten britische Abgeordnete sich zuvor darüber empört, dass die erlaubten Fragen auch auf das Intimleben der Bürger zielen würden. In der englischen Übersetzung des Kommissionsvorschlags war vom Datum der ersten und letzten "consensual union" von Frauen die Rede, wörtlich übersetzt so viel wie "einvernehmliche Vereinigung". Die Kommission wies die Anschuldigung zurück. Es handele sich um einen Übersetzungsfehler, gemeint gewesen sei das Zusammenleben unverheirateter Paare, nicht das Sexualverhalten der Europäerinnen. "Nichteheliche Lebensgemeinschaften" heißt es denn auch in der deutschen Version des Textes. Ein Sprecher der EU-Statistikbehörde Eurostat sagte im Ausschuss, "consensual union" sei nur ein anderer Begriff für eine nichteheliche Partnerschaft.
Doch die Aufregung im Ausschuss war so groß, dass die zuständige Berichterstatterin Ona Jukneviciene (Liberale) aus Litauen kurzerhand den gesamten Fragekatalog zu den freiwilligen persönlichen Angaben im Rahmen der Volkszählung strich. Für die deutsche Abgeordnete Elisabeth Schroedter (Grüne) ein echter Erfolg: "Oberstes Gebot muss der Schutz der Privatsphäre sein." Zwar sei das Ziel der geplanten Regelung richtig, da EU-Gelder für ärmere Regionen nur anhand aktueller Daten gerecht verteilt werden könnten. "Persönliche Daten haben aber weder den Staat noch die EU zu interessieren", so Schroedter. Ihre Fraktion werde daher bei der Abstimmung im Dezember Druck machen, die Frageliste zum Privatleben der Bürger zu kippen. Ob Konservative und Sozialdemokraten im Plenum die Änderungen am Kommissionsplan mittragen werden, gilt jedoch als fraglich.
Die EU-weite Volkszählung soll alle zehn Jahre wiederholt werden. Die jüngste Erhebung in Westdeutschland fand 1987 statt, die DDR zählte 1981. Gesamtdeutschland ist bislang ungezählt. Derzeit wird die Einwohnerzahl Deutschlands mit 82,3 Millionen angegeben, davon rund 7,3 Millionen Ausländer. Statistiker gehen davon aus, dass die tatsächliche Zahl der Einwohner etwa 1,3 Millionen niedriger ist, weil Menschen an mehreren Orten gleichzeitig gemeldet sind oder ins Ausland ziehen, ohne sich abzumelden.