Hessen
Schwarz-Gelb und Rot-Grün konkurrieren um die Wählergunst. Die Linke könnte das Zünglein an der Waage sein.
Vier Wochen vor der Landtagswahl polarisieren die politischen Lager in Hessen so stark wie schon lange nicht mehr. Regierungschef Roland Koch (CDU) sieht seine bei der Wahl 2003 errungene absolute Mehrheit schwinden und macht gegen einen vermeintlich drohenden Linksblock aus SPD, Grünen und Linkspartei mobil. Die Sozialdemokraten hingegen setzen mit ihrer Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti auf ein linkes Profil, um nach neun Jahren in der Opposition wieder an die Macht zu kommen.
"Am 27.Januar entscheidet sich, ob Hessen nach links geht oder ein Land der Mitte bleibt", erklärt der Ministerpräsident. Dabei verhehlt Koch nicht, dass der "Linksruck" der hessischen SPD ihm durchaus gelegen kommt.
Koch entwirft ein Szenario, in dem sich Sozialdemokraten, Ökos und "richtig stinknormale Kommunisten" verbünden, um Hessen durch eine zu lasche Sicherheitspolitik, "Zwangseinheitsschulen" und den Bau von 1.200 Windrädern in den Untergang zu treiben. "Natürlich wirkt die Perspektive, dass irgendwann die Kommunisten in Wiesbaden regieren könnten, elektrisierend auf Befürworter der Mitte", meint der Regierungschef.
Satte 48,8 Prozent hatten die hessischen Christdemokraten vor fünf Jahren geholt -trotz Spendenaffäre und trotz eines Landesvaters mit konstant schlechten Sympathiewerten. Die SPD hatte mit 29,1 Prozent einen historischen Tiefstand in ihrem einstigen Stammland erreicht. Dass Koch erneut die absolute Mehrheit gewinnen wird, scheint jedoch äußerst unwahrscheinlich. Um die 40 Prozent laviert seine Partei im Moment. Nach einer Umfrage, die das Meinungsforschungsinstitut Forsa im Dezember durchgeführt hat, könnte es für eine Neuauflage der bürgerlichen Regierung aus CDU und Liberalen, die Hessen bereits von 1999 bis 2003 regiert hat, jedoch reichen.
Die SPD käme auf 30 Prozent und dies, obwohl nur 42 Prozent der Befragten mit der jetzigen Landesregierung einverstanden sind. Vor allem die Schulpolitik schlägt negativ zu Buche: 59 Prozent der Wähler sind weniger oder gar nicht zufrieden mit der Arbeit von Kultusministerin Karin Wolff, nur 20 Prozent zufrieden. Sogar in der eigenen Klientel stößt Wolffs Schulpolitik auf Ablehnung. Nur 28 Prozent der CDU-Anhänger sind mit ihr zufrieden.
Dennoch trauen gerade mal 14 Prozent der befragten Wähler der SPD zu, die Probleme des Landes lösen zu können. 53 Prozent halten die CDU in diesem Punkt für kompetenter. Bei einer Direktwahl käme Koch auf 42 Prozent und seine Herausforderin Ypsilanti auf 30 Prozent. Die 50-jährige Ex-Stewardess, die in der parteiinternen Entscheidung um die Spitzenkandidatur nur knapp vorne lag, soll als menschlicher und politischer Kontrast die hessische SPD wieder zum Erfolg führen.
"Frau gegen Mann, sozial gegen neoliberal, ökologisch gegen unökologisch, unkonventionell gegen konventionell, glaubwürdig statt verschlagen, offen statt hinterhältig, engagiert statt machtbesessen, menschlich statt technokratisch", so skizziert die Tochter eines Opel-Arbeiters in einem Strategiepapier ihr Profil. "Die Zeit ist reif für eine sozialdemokratische Ministerpräsidentin", findet die Spitzenkandidatin. Für Ypsilanti ist soziale Gerechtigkeit ein "Gesellschaftskonzept". So zieht die SPD gegen Sozialabbau, ideologische Bildungsblockaden und Atomstrom und für erneuerbare Energien, Mindestlöhne und gemeinsamen Unterricht bis zum zehnten Schuljahr in den Wahlkampf. "Ich will keine Reformen mehr, vor denen die Menschen Angst haben", sagt Ypsilanti. 15 energiepolitische Maßnahmen will die SPD im Falle eines Wahlsiegs auf den Weg bringen, um den Ausstieg aus der Atomenergie zu realisieren und erneuerbare Energien zu fördern. "Die Energiewende ist die größte wirtschaftliche Chance, die wir haben", glaubt Ypsilanti. Als Flaggschiff ihrer neuen Wirtschaftspolitik hat sie den SPD-Bundestagsabgeordneten und Träger des Alternativen Nobelpreises, Hermann Scheer, in ihr Schattenkabinett berufen.
Nach neun Jahren konservativer Landespolitik möchte die SPD das Land umkrempeln. Besonders deutlich wird dies in der Schulpolitik, die in Ypsilantis "Kompetenzteam" mit dem Finnlandspezialisten Rainer Domisch prominent besetzt ist. 26,6 Millionen Euro wollen die Sozialdemokraten für ein "Haus der Bildung" in die Hand nehmen, in dem Kinder bis zum zehnten Schuljahr in kleineren Klassen gemeinsam lernen sollen - in "Ganztagsschulen mit pädagogischem Konzept", wie Ypsilanti betont. Das Abitur nach zwölf Jahren möchte die SPD-Frontfrau ebenso wieder abschaffen wie die umstrittenen Studiengebühren.
Auch wenn die CDU ihre Konzepte für "unausgegoren, naiv und unverantwortlich" hält und die SPD als "heillos zerstritten" bezeichnet: Mit dem Schulthema treffen die Sozialdemokraten auf Kochs wunden Punkt. Mit dem Anspruch, Hessen zum "Bildungsland Nr. 1" zu machen, war er 1999 angetreten und hatte die Schulreformen auf der Prioritätenliste auch in seiner zweiten Legislaturperiode ganz nach oben gesetzt. Punkt für Punkt hatte Kultusministerin Wolff das Programm abgearbeitet, zentrale Abschlüsse und das Turboabitur "G 8" auf den Weg gebracht und den Unterrichtsausfall bekämpft.
Nun sieht sich die stellvertretende Regierungschefin einer breiten Front aus entnervten Eltern, Schülern und Lehrern gegenüber. "Erreicht hat Frau Wolff, dass Bildung zum größten Problem in unserem Land geworden ist", so der Grünen-Politiker Mathias Wagner. "Sie ist mit ihrer Politik auf ganzer Linie gescheitert." Maßnahmen wie die so genannte Unterrichtsgarantie Plus, die Externen den Vertretungsunterricht an Schulen ermöglicht, bringen sogar den eher konservativen Philologenverband gegen die Schulministerin auf. Eltern registrieren entsetzt die Überforderung ihrer Kinder durch die nicht ausreichend vorbereitete Schulzeitverkürzung. Und die 20 Millionen Euro teure neue Verwaltungssoftware LUSD brachte im Sommer eine Schülerdatenbank nach der anderen zum Absturz: "Dank Karin Wolff", so der Grünen-Fraktionschef Tarek Al Wazir, "wird keine Schulsekretärin bei der Landtagswahl CDU wählen."
Pannen, Kritik und mäßige Umfragewerte scheinen den Regierungschef derzeit nicht aus der Ruhe zu bringen. "Meine Lebensplanung ist, die starke Rolle beizubehalten, die ich mir als Ministerpräsident erarbeitet habe", sagt Koch unbeirrt. Als Zielmarke hat er sich die gleiche Stimmenzahl wie vor fünf Jahren gesetzt - 1,3 Millionen Wähler.
In der kommenden Legislaturperiode will Koch 2.500 neue Stellen im Schulbereich und 500 bei der Polizei schaffen, bis zum Beginn des nächsten Jahrzehnts die Neuverschuldung auf Null bringen. Zudem verspricht der Ministerpräsident 100.000 neue Arbeitsplätze im Land. Die SPD verharre wahrscheinlich im 30-Prozent-Ghetto, so Koch, weil sie einen "verblendeten oppositionellen Tunnelblick" auf das Land habe.
Vom Abschneiden der SPD hängt auch die künftige Rolle der hessischen Grünen ab. Die Forsa-Umfrage sieht die Partei bei elf Prozent. 10,1 waren es im Jahr 2003. "Wir haben in der Opposition bewiesen, dass wir bei der letzten Landtagswahl zu Recht ein zweistelliges Ergebnis bekommen haben", so Parteichef Al Wazir. Ohne die SPD, weiß auch der 36-jährige Politologe, ist angesichts der ideologischen Gräben zwischen CDU und Ökopartei eine Rückkehr an die Macht ausgeschlossen: "Wir wollen eine rot-grüne Koalition mit starken Grünen und damit einen realen Politikwechsel."
Neben ihren Kernthemen Umwelt, Bildung, Familie und Integration wird die Partei vor allem im Rhein-Main-Gebiet versuchen, mit dem Thema Flughafenausbau zu punkten. Seit Jahren kämpfen die Grünen gegen die umstrittene Nord-West-Landebahn, für die das Wirtschaftsministerium gerade die Planfeststellung genehmigt hat. Auch wenn sie in diesem Punkt mit der Linkspartei übereinstimmen, kann Al Wazir weder einen Linksblock erkennen noch hält er den Einzug der Linkspartei in den Landtag für realistisch. Und selbst wenn: "Ich sehe nicht, wie ein rot-rot-grünes Bündnis in der Realität funktionieren soll - angesichts des Programmes, des Politikstils und der Anti-SPD-Haltung der Linkspartei." Dennoch gilt Die Linke als nicht zu unterschätzende Kraft. In Hessen tritt die Partei als einzigem westlichen Flächenland flächendeckend an. Die Umfragen sehen sie zwischen vier und sechs Prozent. Der Spitzenkandidat der hessischen Liberalen, Jörg-Uwe Hahn, erwartet eine Richtungsentscheidung. "Entweder Hessen wird nach dem 27. Januar bürgerlich oder rot-rot-grün regiert", sagt er.
Die FDP, die in Umfragen neun Prozent erreichte, hat sich ein zweistelliges Ergebnis vorgenommen. Fünf Jahre hat die Partei eher halbherzig Opposition gegen die CDU gemacht, die für sie als einziger Koalitionspartner in Frage kommt. Als gelbe Spikes am schwarzen Fußballschuh verkaufen sich die hessischen Liberalen im Wahlkampf und denken bereits laut darüber nach, welche Ministerposten sie besetzen könnten. Eine Koalition mit der SPD und eine Ampelkoalition hat der Landesvorstand ausgeschlossen. Klar sei jedoch, so Hahn, dass die Hessenwahl eine Signalwirkung für die ganze Republik haben könnte: "Wenn in Hessen Rot-Rot-Grün gewinnt, dann wird die Große Koalition in Berlin das Jahr nicht überleben." Jutta Witte z