Industrie-imperium
Eine wissenschaftliche Darstellung über den Aufstieg des Flick-Konzerns und seines Gründers
Flick - kaum ein Konzernname hat einen negativeren Klang. Der Grund für das miserable Image des einstigen Wirtschaftsgiganten ist ein bis dato beispielloser Parteispendenskandal, der in den 80er-Jahren die Bundesrepublik erschütterte. Der Flick-Konzern hatte im Januar 1975 Daimler-Benz-Aktien in Höhe von mehr als 1,9 Milliarden Mark verkauft und für die Wiederanlage Steuerbefreiungsanträge gestellt. Die meisten waren genehmigt worden. 1981 wurde dann bekannt, dass Flick-Manager zwischen 1969 und 1980 an Minister, Politiker und Parteien hohe Summen gezahlt hatten - am Finanzamt vorbei. Natürlich stand der Verdacht im Raum, dass die Spenden im Zusammenhang mit der Steuerbefreiung standen. "Pflege der Bonner Landschaft" nannte der Flick-Manager von Brauchitsch die Zahlungen. Dass eine enge Verbindung von Politik und Unternehmen bei Flick Tradition war, zeigt die äußerst detaillierte Studie von Kim Christian Priemel. Der Autor, Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Europauniversität Viadrina Frankfurt (Oder), schildert auf 864 Seiten das wirtschaftliche Auf und Ab des Friedrich Flick.
Flicks Aufstieg war rasant. Als 32-Jähriger trat der Sohn eines Landwirts 1915 in den Vorstand der Siegerländer Charlottenhütte ein. Die deutsche Kriegswirtschaft brauchte dringend Stahl in riesigen Mengen - der Profit war enorm. Gleichzeitig verdiente Flick mit einer Schrotthandelsgesellschaft ein Vermögen. Mit diesem Geld kaufte er die Aktienmehrheit der Hütte. Aus dem Manager wurde ein Großaktionär. Während der Kaiser den Krieg verlor, blieb Flick siegreich. In den 20er-Jahren erwarb er mit einer Reihe ebenso spektakulärer wie verwinkelter Manöver großen industriellen Besitz außerhalb seines Siegener Stammlandes. Er wurde Mehrheitseigner der Vereinigten Stahlwerke und sicherte sich mit Hilfe staatlicher Kreditmittel bedeutende Betriebe in Oberschlesien. Bereits in dieser Phase wusste Flick, wie man Politik und Verwaltung für die eigenen Interessen einspannt. Seine Methoden reichten von "massivem Lobbying über Informationsmanipulation bis zu regelrechter Erpressung", schreibt Priemel.
Ende der 30er-Jahre war Flick auf dem Höhepunkt seiner Macht. Er kontrollierte ein Industrieimperium, das die Hälfte der deutschen Roheisen- und 44 Prozent der Rohstahlerzeugung erbrachte.
Drei Jahre später profitierte Flick von der "Machtergreifung" der Nazis. Das Regime brauchte Waffen für die neue Wehrmacht. Der Flickkonzern stieg groß ins Rüstungsgeschäft ein. Die "Arisierung", die Enteignung jüdischer Unternehmen, nutzte Friedrich Flick, um für wenig Geld seine Firmen-Konglomerat zu vergrößern. "Ohne die nationalsozialistische Arisierungspolitik wären diese Akquisitionen (…) kaum finanzierbar" gewesen, lautet Priemels Urteil. Flick nutzte die rassistische Ausgrenzungspolitik für das Wachstum seines Unternehmens. Er empfahl sich dem Regime als Ausführungsorgan der "Eindeutschung" jüdischer Firmen.
Genauso erkannte Flick seine Chance, als die von ihm mitbewaffnete Wehrmacht ihre Eroberungskriege begann: Er sicherte sich Produktionsanlagen in besetzten Ostgebieten. Bedenkenlos beutete der Flick-Konzern die Menschen der eroberten Regionen aus. Ausnahmslos alle Unternehmen des Konzerns gingen zur massenhaften Beschäftigung von Zwangsarbeitern über. Sie stellten nirgendwo weniger als ein Drittel der Belegschaft. Es ist kein Fall belegt, dass ein Flick-Manager Zwangsarbeit ablehnte. "Weder wurden Bedenken irgendeiner Art geäußert, noch Versuche unternommen, das Los der buchstäblich zu Tode geschundenen Menschen zu verbessern", konstatiert Priemel. Vielmehr schätzten viele Werksleiter Ostarbeiter, sowjetische Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge. Priemel betont allerdings: Der Flick-Konzern behandelte seine Zwangsarbeiter so wie es die meisten anderen industriellen Großunternehmen auch - nicht schlechter, aber auch nicht besser.
Mit dem Reich brach 1945 auch das Flick-Imperium zusammen. In der sowjetisch besetzten Zone wurden Fabriken demontiert und Betriebe verstaatlicht und der einstige Konzernlenker selbst musste mit anderen Großindustriellen auf der Anklagebank des alliierten Gerichtshofs in Nürnberg Platz nehmen. Er kam mit wenigen Jahren Haft davon. In den 50er-Jahren baute Flick seinen Konzern wieder auf. Die Alliierten wollten sein Imperium zerstören und zwangen ihn, im Sinne ihrer Entflechtungspolitik Montan-Unternehmen zu verkaufen. Ironischerweise kaufte er sich von diesen Erlösen ein neues Konglomerat aus Wirtschatswunder-Firmen zusammen. Unter anderem erwarb er große Anteile an Daimler-Benz, Krauss-Maffei und Buderus.
Kim Christian Priemel zeichnet das Bild eines Unternehmers, der ausschließlich an Gewinnmaximierung orientiert war. Das ist nicht außergewöhnlich. Außergewöhnlich ist der Opportunismus, mit dem Flick die politischen Gegebenheiten seiner Zeit dazu nutzte, sein Imperium auszubauen: Sei es durch die Aneignung jüdischer Unternehmen während der Nazi-Herrschaft oder durch Parteispenden in der Bundesrepublik. Priemel hat eine überzeugende Arbeit vorgelegt: wissenschaftlich genau und sinnvoll strukturiert. Seine Dissertation analysiert nicht nur den Werdegang eines maßgeblichen deutschen Unternehmens, sondern sie vermittelt auch einen Eindruck wie bedenklich eng Deutschlands Politik und Wirtschaft im vergangenen Jahrhundert verzahnt waren.
Flick. Eine Konzerngeschichte vom Kaiserreich bis zur Bundesrepublik.
Wallstein Verlag, Göttingen 2007; 864 S., 48 ¤