Sieger und Verlierer
Die wechselhafte Geschichte der internationalen Finanzmetropolen
Bis ins frühe 19. Jahrhundert hinein lag die wichtigste Metropole des Kapitals - in Amsterdam. Als Nummer eins erfüllte sie die zwei zentralen Funktionen eines Finanzplatzes vorbildlich, die Finanzierung des internationalen Handels und die Vergabe von Krediten an ausländische Staaten. Auf beiden Gebieten waren die britischen Regierungen und Kaufleute damals von Amsterdam abhängig. Erst als die Handelsrivalität zwischen beiden Ländern zugunsten Britanniens entschieden worden war, schlug die Stunde für die neue Metropole London.
England hatte zuvor den Warenaustausch mit seinen Kolonien rasant steigern können. Britische Händler und Industrielle wurden bei der Finanzierung ihrer Exporte in die Vereinigten Staaten zunehmend unabhängiger, und der Seekrieg zwischen den beiden Ländern hatte die niederländischen Schiffe aus der Ostsee vertrieben. Die Ostseestaaten lieferten nun ihr lebenswichtiges Getreide und Holz hauptsächlich in den industriellen Norden Britanniens. Die industrielle Revolution brauchte Rohstoffe. Das Einkommen je Einwohner war 1860 auf der Insel doppelt so hoch wie auf dem europäischen Kontinent.
Der Aufstieg Londons basiert aber nicht allein auf der Realwirtschaft. Es war auch ein voll funktionsfähiges Finanzzentrum entstanden, beflügelt vom Geldüberfluss, der über London in die Industrieregionen des Nordens transferiert wurde. Mit der Gründung der privaten Bank von England, nach der schottischen die zweite Notenbank der Welt, ließ das Königreich seine (Kriegs-) Schulden verwalten, und die Möglichkeit des Staates, Anleihen aufzunehmen, hatte sich entscheidend erweitert. Die "Finanzrevolution", schreibt der Genfer Wirtschaftshistoriker Youssef Cassis in seiner "Geschichte der internationalen Finanzzentren", ließ einen echten Kapitalmarkt entstehen. Versicherungen, Broker und diverse Dienstleister rundeten die Metropole London ab. Damals ein Novum, heute selbst für kleinere Finanzzentren selbstverständlich.
Nun ist ein "Ranking" der Finanz-Metropolen nach Größe an sich kaum von Belang, aber es entwickelt damals wie heute eine Eigendynamik. Die Nummer eins zieht quasi automatisch weiteres Geschäft an. "Die Existenz einer Rangordnung der internationalen Finanzplätze war den Zeitgenossen eindeutig gegenwärtig", rechtfertigt Cassis den geradezu sportiven Ansatz seines neuen Buches: welches Finanzzentrum ist größer, höher, springt weiter als andere?
Doch geht es in einer globalisierten Welt wirklich noch um schiere Größe vor Ort? Sind nicht internationale Netze für die Versorgung von Wirtschaft, Staat und Gesellschaft mit Kredit und Kapital in einer multipolaren Welt zweckmäßiger? Cassis zweifelt wie die Politik daran. Und so haben die wechselnden Bundesregierungen seit dem Finanzmarktförderungsgesetz von 1990 bis zum geplanten Risikobegrenzungsgesetz den Finanzplatz Deutschland laufend dereguliert und liberalisiert, vor allem, um die Metropole Frankfurt wenigstens vor dem Abstieg aus der ersten Liga zu bewahren.
Frankfurt spielte in Deutschland bis ins ausgehende 19. Jahrhundert schon einmal eine Hauptrolle. Ausgangspunkt für die Entwicklung waren die Handelsmessen seit dem 13. Jahrhundert und die günstige geografische Lage. Hier kreuzten sich die Handelsrouten, die Italien mit Nordosteuropa verbanden. Neben dem Warenhandel waren es - wie in London - Staatsobligationen, die Frankfurt beflügelten. Die Privatbank Bethmann hatte 1776 eine erste österreichische Staatsanleihe zu 4 Prozent auf den Märkten platziert. Es waren nicht allein günstige objektive Umstände, sondern auch das Entrepreneurship, das schumpetersche Unternehmertum, welches Städte nach oben spülte oder - fehlte es - zu regionalen Spielern absinken ließ, wie etwa Hamburg, das trotz Welthafens und Börse seit 1556 seine nationale Rolle als Finanzzentrum einbüßte.
Frankfurts Stern sank erst durch den deutschen Einigungsprozess nach dem Krieg gegen Frankreich 1870/71. Nun zog die neue Hauptstadt Berlin die Geldakteure an. Üblicherweise sind es die Hauptstädte und damit die Nähe zur Politik, welche Finanzzentren beherbergen, wie London oder Paris. Frankfurt am Main profitierte nach 1945 von der Gründung der Bundesbank in der vermeintlich neuen Hauptstadt. Hinzu kam der Umzug der Deutschen, Dresdner und Commerzbank von der Spree an den Main sowie die Gründung der staatlichen Kreditanstalt für Wiederaufbau , welche die Marshallplan-Gelder verwaltete und die Industriepolitik für das "Wirtschaftswunder" vorantrieb. Das nur mittelgroße Frankfurt stieg wieder zur nationalen Finanzmetropole auf - nun der jungen Bundesrepublik.
Letztlich leitet Cassis den Aufstieg der Metropolen einleuchtend vom Aufstieg der Realwirtschaft ab. Das kann aber weder die aktuelle Stellung Zürichs, noch Londons erklären. Andere Fragen stellt Cassis nicht oder beantwortet sie unbefriedigend. Welche Rolle spielten Entrepreneurship á la Schumpeter oder soziale Netze? So waren die New Yorker Bankiers Europäer, häufig gehörten sie einer jüdischen Gemeinde an, und verfügten über ausgezeichnete Kontakte in ihre Herkunftsländer, nach Deutschland, Frankreich, England. Fragen, die auch Ökonomen selten stellen, allerdings die amerikanisch geprägte Wirtschaftssoziologie, wie sie am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung eigenständig interpretiert wird, und wie sie Saskia Sassen in ihrem Buch "Metropolen des Weltmarktes" beantwortet.
Metropolen des Kapitals. Die Geschichte der internationalen Finanzzentren 1780 - 2005.
Murmann Verlag, Hamburg 2007; 504 S., 68 ¤