FINANZKRISE
Kanzlerin und Koalition wollen Zuversicht verbreiten. Die Opposition sucht Schuldige
Die Börsen zeigten sich wenig beeindruckt: Staatsgarantien für Sparguthaben in weiten Teilen Europas, eine konzertierte Zinssenkung führender Notenbanken, doch der Sog nach unten war vergangene Woche nicht zu bremsen. Im Bundestag besann man sich am 7. Oktober auf die Grundlagen der Geldwirtschaft und damit auf die Erkenntnis, dass "Vertrauen" die wichtigste Währung ist.
Als Mutmacherin gab Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in ihrer Regierungserklärung die Richtung vor. "Das Ziel ist, Vertrauen zurückzugeben, Vertrauen zu stärken; denn Vertrauen ist die Währung, in der gezahlt wird", sagte sie. Und: Deutschland ist stark, die soziale Marktwirtschaft das beste Wirtschafts- und Sozialmodell, das es gibt.
Vorausgegangen war der hektische Versuch, das Liquiditätsproblem beim Münchner Immobilienfinanzierer und Dax-Unternehmen Hypo Real Estate (HRE) in den Griff zu bekommen. Als Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) am 30. September vor dem Haushaltsausschuss des Bundestages die Eckpunkte eines gemeinsam mit den Banken geschnürten Rettungspakets verkündete, ahnte er noch nicht, dass er exakt eine Woche später im gleichen Gremium wieder über die HRE-Rettung berichten musste.
Der erste Versuch war gescheitert, nachdem Prüfer der Deutschen Bank bei der irischen HRE-Tochter Depfa-Bank in Dublin einen weiteren Fehlbedarf von 20 Milliarden Euro diagnostiziert hatten. Dies kostete den HRE-Vorstand das Amt und zwang die Bundesbank, zusätzliche Liquidität bereitzustellen, während es bei der ursprünglichen Ausfallbürgschaft des Bundes von 35 Milliarden Euro blieb.
Im Haushalts- und auch im Finanzausschuss wurde die Rettungsaktion nicht grundsätzlich in Frage gestellt, allerdings betrieb vor allem die Opposition Ursachenforschung und beklagte beträchtliche Mängel bei der deutschen Bankenaufsicht.
Oppositionsführer Guido Westerwelle (FDP) forderte in der Aussprache zur Regierungserklärung daher auch, die Aufsicht zu vereinheitlichen und am besten allein auf die Deutsche Bundesbank zu übertragen. Derzeit teilen sich die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) und die Bundesbank die Überwachung des Bankensektors. Dass kritisch hinterfragt werden muss, ob die Bankenaufsicht ihren Aufgaben gerecht geworden ist, hatte selbst die Kanzlerin eingeräumt. SPD-Fraktionsvize Joachim Poß wertete die Attacken Westerwelles als Ablenkung. Mit den Investmentbanken sei die "ganze neoliberale Ideologie des Marktradikalismus" zusammengebrochen. Nur ein wirtschaftlich starker Staat könne den Bürgern Sicherheit bieten, so Poß. Sein Fraktionskollege Reinhard Schultz schob konkrete Forderungen nach. So sollten sich alle Risiken und alle ökonomischen Aktivitäten einer Bank künftig in der Bilanz niederschlagen müssen. Alle Engagements der Geldinstitute sollten schließlich mit einem Mindestanteil an Eigenkapital unterlegt sein.
"Wirtschaft ist keine moralfreie Zone", sagte Norbert Röttgen (CDU) und folgerte daraus, dass die "soziale Ordnung der Marktwirtschaft", die zu den geistigen Grundlagen der Unionsfraktion gehöre, international durchgesetzt werden müsse. Die "Rückkehr der Politik in die Gestaltung der Globalisierung" ist für Röttgen eine große Aufgabe. "Wir müssen systemische Krisen mit einem umfassenderen System beantworten", fügte der haushaltspolitische Sprecher der Union, Steffen Kampeter, hinzu. Er griff damit Überlegungen Peer Steinbrücks auf, über das Krisenmanagement im Einzelfall hinauszudenken. Diese Überlegungen, vage "Plan B" genannt, betreffen sowohl die Bankenaufsicht als auch die Bilanzierungsregelungen, die Rolle des Bundesbankpräsidenten und die Einlagensicherung.
Oskar Lafontaine warf der Regierung vor, sie habe das von Frankreich geforderte konzertierte Vorgehen der europäischen Staaten verhindert. Der Fraktionsvorsitzende der Linken sprach sich für eine expansive Fiskalpolitik, für Lohnzuwächse, die sich an Produktivität und Preissteigerungen orientieren, und für möglichst höhere Hartz-IV-Sätze aus, um gegen die Krise anzusteuern. Grünen-Fraktionschef Fritz Kuhn sagte, die Bürger akzeptierten es nicht, wenn Gewinne privat blieben, Risiken und Verluste aber der Allgemeinheit "aufgedrückt" würden. Der HRE sei durch die Bürgschaft staatliches Geld in Aussicht gestellt worden, ohne dass der Staat mitzureden habe. Das Bankenkonsortium, Teil des Rettungsplans für die HRE, übernahm in der Person des Deutsche-Bank-Managers Axel Wieandt inzwischen die Vorstandsspitze bei der HRE.