DDR
Eine Studie über das Ministerium für Staatssicherheit und die Medien in Ost- und Westdeutschland
Einen stürmischen Herbst erlebte der Mitteldeutsche Rundfunk im Jahr 2000. Wegen seiner nachsichtigen Stasi-Überprüfungen war der Sender in die Schlagzeilen geraten. Viele Monate lang enthüllten verschiedene Medien die Vergangenheit inoffizieller Stasi-Mitarbeiter, die im Dienst des Senders standen. Das Spottwort vom MDR-Stasi-Stadl machte die Runde. Die erfolgreichste ARD-Anstalt, wie sich der Sender gerne pries, hatte ein massives Glaubwürdigkeitsproblem, das auf den gesamten öffentlich-rechtlichen Rundfunk ausstrahlte. Dadurch angestoßen, vergab die ARD den Auftrag an den Forschungsverbund SED-Staat der Freien Universität Berlin, den Einfluss des MfS auf den Rundfunk in der DDR sowie in der Bundesrepublik zu untersuchen. Juristische Querelen verzögerten zunächst die Veröffentlichung. Nun liegen die Forschungsergebnisse über die Tätigkeit der Stasi im Rundfunk beider deutscher Staaten vor.
Zu den wesentlichen Kennzeichen totalitärer Herrschaftssysteme gehört ein Medienmonopol. Zwar hatte die SED in der DDR die Zügel der Informationspolitik fest in der Hand. Doch ein wirkliches Informationsmonopol ergab sich daraus nicht. Denn in fast allen Bezirken konnten Westsender empfangen werden. Da die SED-Führung in der ständigen Präsenz der westdeutschen Fernseh- und Radiosender eine Bedrohung der von ihr angestrebten ideologischen Hegemonie sah, bekämpfte sie diese als "Propaganda- und ,Diversionszentralen' der Bundesregierung".
Dieses Zerrbild enthält einen wahren Kern. Die Autoren sprechen denn auch von einer paralysierenden Wirkung, die von der ständigen Präsenz der Westsender für die DDR ausgegangen sei. Die SED setzte alles daran, diese Quelle der Destabilisierung unter ihre Kontrolle zu bekommen.
Zu diesem Zweck sammelte das MfS mit Hilfe von IM Informationen in Westsendern, wie das Beispiel Ortrud und Karl-Heinz Reinsch vom Saarländischen Rundfunk zeigt. Offiziell schrieb sie Hörspiele, während er an einer Programmstrukturreform arbeitete. Daneben berichtete das Agentenduo über Intendantensitzungen und übermittelte Gebäudepläne. Ergänzend erarbeitete die Stasi durch Telefonkontrolle Informationen über die ARD und ihr leitendes und programmprägendes Personal. Wenn Mitarbeiter des RIAS und des Senders Freies Berlin mit der ARD telefonierten, hörte die Stasi immer mit.
Trotz dieser außerordentlichen Bemühungen - und das ist eines der wichtigsten Ergebnisse der Studie - ist es dem MfS nicht gelungen, Entscheidungen auf der ARD-Leitungsebene oder in einem der dazugehörenden Sender zu beeinflussen. Zudem war der Einsatz inoffizieller Mitarbeiter geringer als zunächst vermutet. Politisch vergebens waren diese Strategien des SED-Staates allerdings nicht. SED, MfS und anderen Organisationen sei es immer wieder möglich gewesen, "auf politische Kampagnen in der Bundesrepublik Einfluss auszuüben".
Günstig für eine Weichzeichnung der Diktatur war das politische Klima in Zeiten der Entspannungspolitik, dem sich manche westdeutsche Journalisten nicht entziehen konnten oder wollten. So schilderte die ehemalige Chefredakteurin des Hessischen Rundfunks und heutige Bundestagsabgeordnete Luc Jochimsen (Die Linke), die DDR als wahres Frauenparadies. Die Interviewpartner waren - ohne Wissen der Journalistin - von SED und Stasi hinsichtlich ihrer ideologischen Zuverlässigkeit ausgesucht. Besser war es jedoch, wenn der, der einen Film drehte, der DDR auch als IM verbunden war wie Heinz Stuckmann, Deckname "Dietrich". Er bejubelte für die WDR-Fernsehserie "Deutscher Alltag" ausgiebig die Vorzüge des DDR-Wohnungsbaus. Nach wie vor brisant ist ein Fall aus dem ZDF, dessen Aktenbelege den Forschern ungeplant in die Hände fielen: Dietmar Schumann, der schon als DDR-Journalist in der Sowjetunion, Ungarn und Österreich unterwegs war. Unter dem Decknamen "Basket" führte die Hauptverwaltung Aufklärung des MfS den Moskauer Korrespondenten. Der soll über Gespräche mit dem ZDF-Kollegen Dirk Sager berichtet haben, außerdem über die Politiker Hans-Jochen Vogel und Richard von Weizsäcker. Nach Darstellung der Forscher gehen 37 Informationen auf "Basket" zurück. Schumann bestritt inzwischen, wissentlich für das MfS tätig gewesen zu sein.
Ausführlich beschreiben die Autoren Behinderungen und Kontrollen, denen die ARD-Korrespondenten in der DDR ausgesetzt waren. Einen weiteren Schwerpunkt bildet die Untersuchung der Überwachung der elektronischen Medien in der DDR, die offenkundig besonders eng gestrickt waren. Danach hat es sowohl durch das Leitungspersonal als auch in den Redaktionen selbst eine offizielle als auch inoffizielle Zusammenarbeit mit der zuständigen Abteilung des MfS gegeben. Nach Einschätzung der Autoren wirkt dieses Erbe noch nach.
Die Lösung aus MfS-Verstrickung und Parteizugehörigkeit habe sich für die Sendeanstalten der neuen Bundesländer und ihre Mitarbeiter als "ein schwieriger, langwieriger und oft schmerzhafter Prozess" erwiesen. Abgeschlossen ist er nicht. Für die Diskussion dieses Kapitels der Mediengeschichte liefert dieses Werk eine wichtige Grundlage über eine der Kerninstitutionen der Demokratie, in der die Vergangenheit teilweise noch nachwirkt. Mit ihrer Studie haben die Verfasser einen sehr verdienstvollen Beitrag zur Erhellung der SED-Medienpolitik geliefert.
Jochen Staadt, Tobias Voigt, Stefan Wolle: Operation Fernsehen.
Vandenhoeck & Ruprecht Verlag; Göttingen 2008; 447 S., 29,90 ¤