Vor einigen Jahren kursierte eine Rundmail unter Studenten der "Generation Praktikum", in der man aufgefordert wurde, auf der Bundestags-Homepage eine Petition für die faire Bezahlung von Praktika zu unterschreiben. Manchen kam die Idee, durch einen Mausklick eine reale Petition zu unterstützen, so unglaublich vor, dass sie die Rundmail für einen Scherz oder eine Fälschung hielten.
Dabei war sie durchaus seriös. Schon seit 2005 kann man in Deutschland Petitionen auch über das Internet einreichen. Zunächst waren es nur öffentliche, seit 2008 können auch Einzelpetitionen über ein Online-Formular losgeschickt werden, erklärt Erwin Ludwig, stellvertretender Leiter des Petitionsausschuss-Sekretariats (im Bild ganz rechts). Bei Letzteren geht es um persönliche Anliegen, beispielsweise wenn sich jemand von seiner Krankenkasse oder der Arbeitsagentur ungerecht behandelt fühlt. Auf die Homepage kommen hingegen nur Anliegen "von allgemeinem Interesse". Wenn jemand seine eigene Petition so einschätzt, prüfen Jost Martin (2. v. re.) und Dagmar Schrinner (2. v. li.) vom Ausschuss-Sekretariat und das zuständige Fachreferat, ob die angestrebte Änderung wirklich für viele Menschen relevant ist. Erst dann erscheint die Petition auf https://epetitionen.bundestag.de. Etwa 850 solcher Petitionen wurden seit dem Start der e-Petitionen zugelassen, mehr als 1 Million Bürger unterschrieben diese. Vor der Einführung der elektronischen Petitionen gab es zwar auch schon Sammelpetitionen mit Unterschriftenlisten und Massenpetitionen, bei denen säckeweise Postkarten mit dem gleichen Anliegen eingesandt wurden. Doch Online-Unterzeichnung und öffentliche Diskussionen sind neu. Auch ältere Menschen lassen sich durch e-Petitionen keineswegs abschrecken, sagt Christian Friedrich (ganz links), der für die technische Betreuung zuständig ist: "Es sind alle Altersgruppen vertreten".
Etwa 70 Petitionen stehen aktuell zur Diskussion, sechs Wochen lang kann jeder Internetnutzer sie digital unterschreiben oder seine Meinung zum Thema kundtun. Am meisten Unterstützung erfährt momentan ein Antrag, in dem eine längere Anrechnung der Kindererziehung auf die Rentenhöhe gefordert wird. 410 Unterstützer hat die Petentin Daniela Ernstberger bislang gefunden, in zwei Tagen läuft die sogenannte "Mitzeichnungsfrist" ab. Danach sammelt ein Fachreferat alle Informationen rund um die Petition: Wie viele Unterstützer hat das Anliegen gefunden? Wie intensiv wurde es im Forum diskutiert? Wie steht das betroffene Ministerium dazu? Wie könnte eine mögliche Entscheidung aussehen? Wenn sich mehr als 50.000 Bürger hinter den Petenten stellen, kann dieser sein Anliegen außerdem in einer öffentlichen Sitzung des Petitionsausschusses persönlich vortragen. Auch das ist neu. Vier solcher öffentlichen Anhörungen gab es im vergangenen Jahr, gesprochen wurde über Gesundheitspolitik, Lärmschutz und das Schicksal der Heimkinder. In Schottland, woher der deutsche Petitionsausschuss das elektronische System zunächst übernahm, werden auch die Bürger-Diskussionen zusammengefasst; eine solche Auswertung gibt es in Deutschland bislang nicht.
Am lebhaftesten wird momentan eine Petition diskutiert, die ein bedingungsloses Grundeinkommen fordert. In 152 Beiträgen gibt es sowohl Zustimmung als auch Ablehnung, manche halten die vorgeschlagene Höhe von 1.500 Euro zu hoch, andere fänden einen Mindestlohn sinnvoller. Die "Diskussionsbeiträge sind ganz überwiegend sachlich und argumentativ gehalten" stellt eine aktuelle Studie des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) fest. Nur einmal musste ein Forum vorzeitig geschlossen werden, berichtet Jost Martin, weil die "Zahl der unsachlichen Beiträge und persönlichen Beleidigungen" zu hoch wurde. Doch das blieb eine Ausnahme. Dreieinhalb Jahre nach dem Start der e-Petitionen ist Dagmar Schrinner deshalb überzeugt: "Für den Bürger gibt es jetzt mehr Möglichkeiten, sich zu beteiligen."