Geschichte
Der Musikjournalist Jon Savage über die Erfindung der Teenager - und deren Rebellion
Sie tobten und brüllten. Sie warfen Scheiben ein, zündeten Autos an, lieferten sich Straßenschlachten mit der Polizei. "Jugendkrawalle in Griechenland", "Aufstand einer verlorenen Generation" oder "Mai im Dezember" lauteten die Schlagzeilen. Ein Polizist hatte in Athen einen 15-Jährigen Gymnasiasten erschossen. Und die Jugend von Athen bis Thessoloniki explodierte. Ausnahmezustand. Der Aufstand der Teenies war längst mehr als ein Zornesgeheul wegen des getöteten Freundes. Er stand symptomatisch für die Unzufriedenheit der gesamten Bevölkerung, mündete gar in einen Generalstreik. Die Bildungsmisere im Land, die weit verbreitete Korruption, die Jugendarbeitslosigkeit, das ist die Realität jugendlichen Alltags in Griechenland. Das Gefühl, dass sich die Verantwortlichen einen Dreck darum scheren, schwelte schon lange bei den Jungen.
Kaum ein Buch hilft derzeit besser, das tiefsitzende Fremdheitsgefühl der griechischen Jugendlichen zu verstehen, als Jon Savages "Teenage. Die Erfindung der Jugend". Mit kulturhistorisch präzisem Blick analysiert er Jugendgeneration um Jugendgeneration zwischen 1875 und 1945, von den Anhängern der Dekadenz, über die Pfadfinderjungs von Robert Baden Powell bis hin zur Hitlerjugend, der Weißen Rose und den US-Popcorn-Teenies. Oder anders: vom ersten Gesetz, das "jugendliche Straftäter" unter 21 berücksichtigt und somit klar eine eigene Lebensphase definiert zwischen Kindheit und Erwachsensein, hin zur "Teen-Age Bill of Rights", das das "New York Times Magazine" 1945 veröffentlichte. Der Anfang- und Endpunkt seiner Geschichte könnte nicht schlauer gewählt sein.
Eines wird im Bogen der Jahrzehnte ganz offensichtlich: Jugendliche, die sich für ihre Zukunft einsetzen, gibt es, seit es Jugend gibt. Mal geradewegs gewalttätig, mal eher aufmüpfig: Immer waren es Ablösungsprozesse von der Vergangenheit, die Umwälzungen, auch Neuerungen hervorbrachten. Und sehr häufig verwiesen die Forderungen des nassforschen Nachwuchses auf Probleme, die in der Gesellschaft längst zu brodeln begonnen hatten. Die Jugend als Avantgarde.
Jon Savage ist von Haus aus Musikjournalist, schrieb ein Buch über "The Kinks", drehte Filme über die "Sex Pistols": Dass er Spezialist ist in Sachen Punk, Rock und Popkultur im Allgemeinen ist auch bei "Teenage" nicht zu übersehen. Wir mächtig die Identifikationskraft von Musik und damit einem bestimmten Style ist, ist der finale Ergebnis seiner Zeitreise. Savage erzählt stets auf den Fluchtpunkt seiner Argumentation hin: So endet er mit dem Aufkommen des Wortes "Teenager" Mitte der 1940er Jahre in den USA - und damit mit der Erfindung der Jugend als Teil der Massenkonsumkultur: "Es handelte sich von Anfang an um einen Marketingbegriff, mit dem Werbeleute und Produzenten auf die Kaufkraft Heranwachsender Bezug nahmen", schreibt Savage. Passend dazu erschien im gleichen Jahr auch erstmals "Seventeen", ein popcornbuntes Mädchenmagazin, das noch heute so sehr für die Sehnsüchte amerikanischer Mädchen steht, dass die Gewinnerin von "America's Next Top Model" aufs Cover darf. Savage widmet dem Heft konsequenterweise sein vorletztes Kapitel.
Die Werbeindustrie entdeckt die Jugend: Gerade dieses argumentative Ziel lässt hervorstechen, wie stark alle Generationen, die Savage beschreibt, in dieser Phase vom Haben und Nichthaben geprägt waren, vom Wollen und Wünschen. Sie mögen sich in den USA schulschwänzend, unbeaufsichtigt, arbeitslos im Kino herumgetrieben haben wie vor dem Ersten Weltkrieg oder aus der Zeit gefallen wie während des Zweiten, so seltsam fernen Kriegs. Sie haben sich instrumentalisiert gefühlt wie die britischen Jugendlichen, auf Unterstützung des Imperiums gedrillt von Baden-Powell bis zum Kampf gegen Hitler. Das brodelnde Unverständnis zwischen der Eltern- und Kindergeneration ist kennzeichnend für dieses Alter, egal wann, egal wo. Die Eigenwahrnehmung als Generation jedoch, so Savage, entwickelte sich erst im 20. Jahrhundert. So suchen sie sich immer wieder Identifikationsfiguren: sie heißen Peter Pan, Sophie Scholl, Anne Frank, oder eben Alexandros Grigoropoulos, wie der erschossene Athener Juwelierssohn. Sie alle stehen für die Träume.
Daher stört auch die weitgehende Konzentration des Buches auf den angelsächsischen Raum wenig, die für die klare Linie der Untersuchung notwendig ist. Im Gegenteil wird diese Beschränkung immer wieder erhellend, etwa wenn Savage die geografische Reichweite von Erscheinungen wie des Dandytums oder der Swing-Kultur durchdekliniert und Gegenbewegungen aufzeigt. Dazu gehört auch, dass er wiederholt die jeweilige Jugend vor dem Hintergrund der Jugendprägung ihrer Eltern erklärt. Sieben Teile sind es, chronologisch aufgebaut, Alltagsgeschichte diesseits und jenseits des Atlantiks. Das Nebeneinander der unterschiedlichen Jugendrealitäten hat an mancher Stelle eine geradezu unheimliche Kraft: Im siebten Teil reihen sich so hintereinander ein Kapitel über die Weiße Rose und Anne Frank, eines über die Zeitschrift "Seventeen" und abschließend "Die Stunde Null. Der Triumph des Teenagers".
Jon Savage bekommt das Himmelhochjauchzen und Zutodebetrübt jener absurden Jugendjahre in einem Satz zu fassen: "In der Woche in der die Bill of Rights der Teenager veröffentlicht wurde, kam Anne Frank in das Konzentrationslager Bergen-Belsen, wo sie weder Namen, Kleidung noch ausreichend zu essen bekam - ihr blieben weder Jugend noch Hoffnung."
Teenage. Die Erfindung der Jugend (1875-1945).
Campus Verlag, Frankfurt/M. 2008; 525 S., 29,90 ¤