Untersuchungsausschuss
Weitere Details zeigen Eigenmächtigkeiten in Pullach
Der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses Siegfried Kauder (CDU) und der Grüne Hans-Christian Ströbele fühlen sich an ein "Tollhaus" erinnert, der Liberale Hellmut Königshaus mokiert sich über einen "Komödienstadel". Im Visier haben die Parlamentarier das Innenleben des BND, das offenbar von Eigenmächtigkeiten einzelner Abteilungen und Mitarbeiter, von Machtkämpfen und Intrigen geprägt zu sein scheint. Jedenfalls in den 90er Jahren, als die fraktionsübergreifend als rechtswidrig eingestufte Ausforschung von Journalisten ihren Anfang nahm und im Mai 2006 durch einen vom früheren Bundesrichter Gerhard Schäfer für das Parlamentarische Kontrollgremium (PKG) erstellten Bericht ans Tageslicht kam.
Doch die Vernehmung der Zeugen, zu denen dieses Mal auch BND-Präsident Ernst Uhrlau und seine drei Vorgänger gehören, erlaubt nicht nur eine interessante Rückschau auf durchwachsene Ereignisse in der Vergangenheit. Die Abgeordneten zielen mit ihren Fragen bereits auf Konsequenzen in ihrem Abschlussbericht: Wie kann garantiert werden, dass sich solche Auswüchse wie die Ausspähung von Medienschaffenden nicht wiederholen?
Königshaus weist darauf hin, dass trotz aller Beteuerungen und Dienstvorschriften sogar noch in den Monaten nach dem Schäfer-Bericht bei der Überwachung eines afghanischen Ministers die E-Mails einer deutschen Reporterin als "Beifang" vom BND erfasst worden sei.
Der Ausschuss kümmert sich in erster Linie um die auch von Uhrlau als "unverhältnismäßig" und "rechtswidrig" eingestufte Observation des Publizisten Schmidt-Eenboom. Diesmal schildert zudem Andreas Förster seine Erfahrungen: Der Reporter der "Berliner Zeitung" erfuhr durch Schäfers Recherchen, dass der Auslandsgeheimdienst bis 2005 mehrere Jahre lang Erkenntnisse über seine berufliche Tätigkeit und selbst sein privates Umfeld gesammelt und dabei auch einen Journalisten als V-Mann auf ihn angesetzt hat. In diesen beiden wie in anderen Fällen rechtfertigt der BND Maßnahmen gegen Medienleute mit der Notwendigkeit, interne Lecks ausfindig zu machen.
Richtig elektrisiert wird der Ausschuss vom Auftritt Konrad Porzners, in Pullach Präsident bis 1996. Dessen Aussagen sind für Ströbele eine "echte Sensation". Aus Sicht Norman Paechs (Die Linke) wird das Bild von den Vorgängen um Schmidt-Eenboom durch Porzners brisante Erklärungen "auf den Kopf gestellt". SPD-Obmann Michael Hartmann sieht angesichts widersprüchlicher Aussagen Porzners und anderer Zeugen eine "neue Sachlage".
Bislang stand Porzner im Ruf, im Kern der Verantwortliche für Schmidt-Eenbooms Observation zu sein. 1993 veröffentlichte der Autor ein kritisches Buch über den BND und stützte sich dabei auch auf Informationen aus Pullach.
Um diese Lecks zu recherchieren, so Porzner, habe er im Herbst jenes Jahres Untersuchungen in den eigenen Reihen, aber auch die Maßnahme gegen den Publizisten angeordnet. Wegen Erfolglosigkeit habe er diese Aktion schon wenige Monate später gestoppt. Nun findet sich im Schäfer-Bericht der Hinweis auf einen BND-Vermerk, wonach Porzner im November 1995 bei einer Sitzung die Wiederaufnahme der Ausspähung Schmidt-Eenbooms verfügt habe. Ströbele verweist darauf, dass Bernd Schmidbauer als damaliger Staatsminister im Kanzleramt und der bis 1998 für die Eigensicherung in Pullach zuständige Abteilungsleiter Volker Foertsch dies im Untersuchungsausschuss als Zeugen bestätigt hätten.
Doch Porzner versichert, er habe die erneute Ausforschung Schmidt-Eenbooms, die mit Unterbrechungen bis 2003 dauern sollte, bei dem genannten Treffen im November 1995 nicht angeordnet: "Daran ist kein Wort wahr." Er finde es "sonderbar", dass zwei Monate später der Geheimschutzbeauftragte des BND eine solche Niederschrift über diese Sitzung angefertigt habe. Hätte er schon während seiner Amtszeit von diesem Vermerk erfahren, "dann hätte ich die Staatsanwaltschaft eingeschaltet". Schmidt-Eenbooms Observation sei wohl "hinter Ihrem Rücken erfolgt", resümiert der CSU-Abgeordnete Stephan Mayer.
Ob vielleicht Schmidbauer am Präsidenten vorbei über Foertsch direkt in den BND hineinregiert und eventuell auch die Fortsetzung von Schmidt-Eenbooms Überwachung verfügt habe, will Königshaus wissen. Damals habe er einen solchen Verdacht nicht gehegt, antwortet Porzner feinsinnig. An der Sitzung im November 1995 hätten Schmidbauer und Foertsch teilgenommen.
Porzners Nachfolger Hansjörg Geiger beschreibt Foertsch als "besonders starke Persönlichkeit" in Pullach, er sei "nicht irgendein Abteilungsleiter" gewesen. Es habe ihn schon gestört, "bei Besuchen im Kanzleramt plötzlich Foertsch zu begegnen". Ob denn durch diese Sonderbeziehung seine Dienstaufsicht im BND "amputiert" worden sei, will Kauder von Geiger wissen. Antwort: "Dem kann ich nicht völlig widersprechen."
Foertsch unterhielt eine Vielzahl intensiver Beziehungen zu Medienschaffenden, allein mit einem unter dem Decknamen "Jerez" firmierenden Journalisten gab es laut Hartmann fast 60 Kontakte. Der SPD-Obmann fragt sich, was das alles mit Eigensicherung zu tun haben soll. Im Schäfer-Bericht heißt es, die BND-Aktivitäten hätten wohl vor allem der Erlangung von Kenntnissen über die Medienszene dienen sollen. Allerdings werfen manche Schilderungen Foertschs auch ein schlechtes Licht auf einige Journalisten: So habe er in zwei Fällen in Gesprächen mit Journalisten die Veröffentlichung kritischer Artikel über den BND verhindern können. Und manche hätten bereitwillig über die Arbeit von Kollegen berichtet, was für die Suche nach undichten Stellen in Pullach nützlich gewesen sei.
Aber ist all dies nicht längst Vergangenheit? Uhrlau wie Innen-Staatssekretär August Hanning (BND-Präsident von 1998 bis 2005) betonen, ihrerseits jeweils dekretiert zu haben, welche "roten Linien" gegenüber Journalisten nicht überschritten werden dürften. Auch bei Maßnahmen zur Eigensicherung könne nicht in die Pressefreiheit eingegriffen werden, so Hanning. Uhrlau sagt, es sei sichergestellt, dass gegenüber Medienleuten nicht mehr nachrichtendienstlich vorgegangen werde. Doch auch unter Hanning kam es zur Ausspähung von Journalisten. In einem Interview hat der heutige Staatssekretär einmal erklärt, für solche Dinge seien "wild gewordene" einzelne Beamte verantwortlich. Jetzt sagt er es so: "Vorgesetzte können nicht hinter jedem Mitarbeiter stehen." Unter Uhrlau wurde die E-Mail-Korrespondenz einer Journalistin mit einem Kabuler Minister sozusagen nebenbei mit erfasst. Union und SPD lehnen es ab, diese Affäre zu behandeln, weil sie unter die Auslandsaufklärung falle. FDP, Linke und Grüne wollen gerichtlich durchsetzen, dass dieses Thema auf die Tagesordnung kommt. Das Urteil des BGH steht noch aus.