SPD
Daniel Friedrich Sturm hat ein farbiges Porträt der Sozialdemokraten vor den Bundestagswahlen verfasst
Das Fragezeichen auf dem Buchtitel ist ziemlich klein geraten. Und die große Frage, wohin die SPD denn nun geht, wird nicht beantwortet. Immerhin gibt der Autor Einblicke, die eine Beurteilung des Zustands der Partei ermöglichen. Bei der Präsentation des Buchs hat Sigmar Gabriel gesagt, es sei der Entwurf "eines Röntgenbildes" der SPD und dabei wohl nicht bedacht, dass es für eine Momentaufnahme niemals Entwürfe gibt.
Daniel Friedrich Sturm ist einer von wenigen Journalisten in der Bundeshauptstadt, die das Innenleben der SPD nicht nur kennen, sondern es auch lebendig beschreiben können. Sturm ist Korrespondent für "Die Welt", die "Berliner Morgenpost" und die "Welt am Sonntag". Wie der 36-Jährige es schaffte, neben seiner täglichen Arbeit als Politikredakteur in ziemlich kurzer Zeit ein so dickes Sachbuch zu verfassen, ist erstaunlich. Umso mehr, wenn man weiß, dass erst 2006 seine Doktorarbeit über "Die Sozialdemokratie und die Vereinigung Deutschlands 1989/90" als Buch unter dem Titel "Uneinig in die Einheit" erschienen ist.
Nun hat er griffig und zugleich gründlich zusammengefasst, wie er die SPD aktuell erlebt. Sturm reiht in seinem Buch, das 1998 mit dem Antritt der rot-grünen Koalition in Bonn beginnt und mit dem Platzen eines rot-grün-roten Bündnisses in Hessen 2008 endet, Momentaufnahmen aus einer turbulenten Phase der SPD aneinander. Dass bei dieser Methode des Beschreibens nicht abschließend bewertbarer Ereignisse kein Geschichtsbuch mit bleibendem Erkenntnisgewinn herauskommt, sondern eine eher kurzlebige Langreportage, ist kein Wunder.
Ein oberflächlicher Blick auf die jüngste SPD-Geschichte: Willy Brandt war fast 23 Jahre lang, von 1964 bis 1987, SPD-Vorsitzender. In den 22 Jahren seit seinem Rücktritt gab es neun Vorsitzende, und in den elf Jahren seit der rot-grünen Bundesregierung wechselte der Parteivorsitz sechsmal. Vorsitzende waren Hans-Jochen Vogel, Björn Engholm, Rudolf Scharping, Oskar Lafontaine, Gerhard Schröder, Franz Müntefering, Matthias Platzeck, Kurt Beck und wieder Müntefering. Allein diese Liste belegt, wie konfus die SPD ist und warum sie seit zehn Jahren ein wirres Bild abgibt.
So aufregende Sprünge machen es nicht allzu schwer, einen farbigen Bericht abzuliefern. Sturm tut das mit journalistischem Geschick und in ebenso rasantem Tempo, wie die jähen Wendungen der SPD verliefen. Häufig ist allerdings nicht ganz klar, ob er dabei einem gängigen Schema erliegt und dem Zeitgeist folgt oder ob er selbst neue Stereotypen schafft. So gibt er wieder, Lafontaine sei es gelungen, "weite Teile der Partei für sich einzunehmen, (...) er verkörperte die Seele der Partei". So schreibt er, Müntefering "umgab eine Aura der Undurchsichtigkeit" und "galt im Machtgefüge der SPD als ‚neutraler Zentrist'". So urteilt er, Schröders "Prinzip der Prinzipienlosigkeit trug zu seinem Erfolg erheblich bei", doch sei Schröder "bei aller Sprunghaftigkeit der Pragmatiker, der Reformer, der Modernisierer" gewesen. War das nicht alles so oder ähnlich schon zu lesen? Originelle, überzeugende Analyse und Deutung stecken jedenfalls nicht dahinter.
Eine günstige Voraussetzung für ein einigermaßen faires Buch über die SPD ist, dass der Autor ihr nicht feindselig gegenübersteht. Sturm scheint neben seinem Insiderwissen bei aller Distanz eine Art Grundverständnis zu haben, das ihm Offenheit und Schonungslosigkeit erlaubt. Besonders für Schröder und für dessen Agenda 2010 schimmert häufig Sympathie durch, ebenso wie für den aktuellen SPD-Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier, dem Sturm bescheinigt, dass er sich "mit den Reformen weit ausführlicher befasst" habe als Schröder und damit "brillierte". Doch er benennt auch Schwächen: "Ein (...) Grundfehler Schröders bestand darin, dass er sich nicht einmal mehr um Mehrheiten bemühte. Musste er nicht regelrecht für die Agenda - und um die Gunst von Partei, Parlament und Volk - werben? Schröder dachte gar nicht daran (...) Er reichte der SPD nicht einmal symbolisch die Hand, er vermittelte ihr nicht einmal das Gefühl, dass es auf ihre Unterstützung ankäme." Und Sturm verhehlt nicht, dass er Beck als unglücklichen Betriebsunfall einstuft, während er Platzeck wenigstens zugute hält, mit dem "vorsorgenden Sozialstaat" ein strategisches Konzept vorgelegt zu haben.
Seine Beobachtungen führen Sturm zu der These, dass bei den deutschen Sozialdemokraten der Hang zur Opposition stark ausgeprägt sei. Sogar als Regierungspartei erweckten viele den Eindruck, als ob sie lieber nicht regieren wollten. Stolz auf selbst erarbeitete Leistungen sei der SPD weitgehend fremd. Und oft genug habe sie ihre erfolgreichen Politiker wie Helmut Schmidt oder Gerhard Schröder als "gewissenlose Modernisierer, Reformer, Technokraten oder Macher" abgewertet. Diese unter Journalisten und Parteienforschern verbreiteten Ansichten und Behauptungen werden von Sturm aufge- frischt, aber weder gründlich geprüft noch schlüssig bewiesen.
Am Ende seines alles in allem fakten- und anekdotenreichen Buchs kann Sturm es sich nicht verkneifen, das zu tun, was Journalisten am liebsten tun, wenn sie unter sich sind: zu spekulieren. Auf zwölf Seiten breitet er drei Szenarien für die Jahre 2009 bis 2013 aus - je nachdem, wie die Bundestagswahl in diesem Herbst ausgeht. Es sind denkbare Varianten, die in kleinen Zirkeln in Berlin, den sogenannten "politischen Kreisen", alle schon durchgespielt worden sind. Zwei von ihnen sind für die Sozialdemokratie apokalyptisch, und die dritte ist auch nur bedingt rosig. Wohin also geht die SPD?
Szenario 1: Die Große Koalition unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) wird fortgesetzt, Steinmeier bleibt Vizekanzler und Außenminister. Groll und Unmut in der SPD nehmen zu. Der Gärungsprozess führt spätestens binnen drei Jahren zur vorzeitigen Auflösung dieses Regierungsbündnisses. Gemeinsam mit Grünen und Linkspartei stürzt die SPD Merkel und wählt Gabriel zum Kanzler. Bei der nächsten Wahl 2013 wird die SPD aber bestraft und stürzt auf ein historisches Tief ab. Szenario 2: Merkel lässt sich von einem Bündnis aus Union, FDP und Grünen ("Jamaika") zur Kanzlerin wählen. Die SPD nähert sich der Linkspartei an und vereinigt sich mit ihr. Aber auch in der neuen Konstellation bleibt sie 2013 in der Opposition. Szenario 3: Die SPD wird bei der Bundestagwahl 2009 stärkste Partei. Steinmeier führt als Kanzler eine Koalition aus SPD, FDP und Grünen ("Ampel"), die erfolgreich regiert und 2013 sogar wiedergewählt wird.
Diese mit deutlich satirischen Zügen gemischten Spielereien mögen zwar nicht ganz seriös sein, sind aber unterhaltsam. Und sie werfen ein Licht nicht nur auf den Zustand des politischen Journalismus in Berlin, sondern erinnern auch an einen der bekanntesten Sprüche des SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering: "Opposition ist Mist."
Wohin geht die SPD?
Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2009; 479 S., 16,90 ¤