ANGELA MERKEL
Spiegel-Journalist Dirk Kurbjuweit zeigt die versteckte und die öffentliche Seite der Regierungschefin
Es ist möglich, dass Dirk Kurbjuweits Job in den kommenden Monaten schwieriger wird. Denn Angela Merkel kann nachtragend sein: Als er mit den Inhalten eines Hintergrundgesprächs einmal nicht vorsichtig umgegangen sei, seien ihm die Zugänge zur Bundeskanzlerin "für eine längere Zeit gesperrt" worden, bekennt der Leiter des Berliner-Büros des "Spiegel" in seinem neuen Buch. Das erscheint pünktlich zu Beginn des Wahlkampfes - und es steht zu befürchten, dass Angela Merkel damit nicht restlos glücklich sein und Kurbjuweit mit Missachtung strafen wird.
"Angela Merkel. Die Kanzlerin für alle?" hat Kurbjuweit sein Buch überschrieben. Ein Portrait der Kanzlerin nennt ihn der Hanser-Verlag in seinen Werbetexten - doch das ist Kurbjuweits Buch nicht. Wohl zum Glück, denn bislang hat sich Angela Merkel den diversen Versuchen verschiedener Autoren, ihr Innenleben zu ergründen, weitgehend widersetzt. Und auch der mit dem Egon-Erwin-Kisch-Preis prämierte Kurbjuweit hätte sich bei diesem Versuch wohl verhoben. So hat er das getan, was er richtig gut kann: Er hat Merkel und ihre Politik genau beobachtet und dazu die nötige Distanz gewahrt. Beobachtet hat er eine Bundeskanzlerin, die ihren Job bislang auf eine merkwürdige Art ausgeführt hat - im Übergang.
Nach ihrem wenig triumphalen Amtsantritt habe sie sich zunächst gegen die Widerstände in ihrer eigenen Partei durchsetzen müssen und sich im Dienst der Machtsicherung von der Reformerin, als die sie angetreten sei, zur Managerin der Großen Koalition gewandelt. Kurbjuweits Deutung ihres Verhaltens: Merkel wolle sich unter keinen Umständen mögliche Optionen verbauen.
Mit dem verunglückten Gesundheitsfonds könne sie leben, weil der sich in eine Gesundheitsprämie umwandeln lasse, sobald sie ohne die SPD regieren könne. Die Hinhaltetaktik in Sachen Mindestlöhne verhindere, allzu viel davon in die nächste Legislatur mitnehmen zu müssen. Den Ausstieg aus dem Atomausstieg habe sie für später ohnehin im Blick. Die große Verbalreformerin Merkel sei mitnichten verschwunden, sie sei vielmehr "vom Gestern ins Morgen gesprungen unter Vermeidung der Gegenwart": eine Übergangskanzlerin im "Transit zu sich selbst".
Zweierlei ist für Kurbjuweit dabei enttäuschend: Merkel habe weder in der Koalition eine aktive Führungsrolle eingenommen, noch für ihre Positionen in der Bevölkerung geworben.
Dabei zeichnet er auch ein anderes Bild von Angela Merkel abseits ihrer Darstellung in der Öffentlichkeit. So gebe es die "heimliche, versteckte" Angela Merkel aus den Hintergrundgesprächen, die einen viel besseren Eindruck als die Merkel mache, "die Politik machen muss". Gerade da, wo diese Diskrepanz beschrieben wird, fällt Kurbjuweits Zurückhaltung am angenehmsten auf: Hier brüstet sich keiner mit seiner vermeintlichen Nähe zur Macht, um das eigene Ego zu pushen. Man merkt Kurbjuweit vielmehr seine Ratlosigkeit an angesichts von Merkels Unvermögen, mit den eigenen Stärken zu punkten. Und es entsteht der Eindruck, als würde er gern mehr aus den Hintergrundgesprächen verraten, um das Merkel-Bild ein bisschen stimmiger zu machen.
Dass Merkel mit ihren Äußerungen gern in der Schwebe bleibt, führt Kurbjuweit auch, aber nicht ausschließlich auf ihre Vergangenheit zurück. Als Tochter eines Pfarrers habe sie in der DDR die Vorsicht von klein auf erlernt. Doch zu einem bedeutenden Teil sei die Kanzlerin auch durch ihre späteren Erfahrungen geprägt worden, als sie von den CDU-Konkurrenten in einen gnadenlosen Machtkampf getrieben worden sei und man ihr von ihrer Frisur über die falschen Ansichten über Deutschland bis hin zur Kinderlosigkeit so gut wie alles vorgeworfen habe.
Das habe Merkel in einen "brutalen Ehrgeiz" geführt. Der von vielen Politikern benutzte Satz "Ich muss das nicht machen" gelte für sie nicht. Weil sie keine Ersatzwelt habe, sei sie "verdammt zu totaler Politik, und das macht sie stärker als fast alle anderen Politiker". Kurbjuweit hat die Kanzlerin in den vergangenen Jahren genau beobachtet. Er hat in dieser Zeit sowohl Verständnis für sie entwickelt, als sich wohl auch oft irritiert die Augen gerieben. Seine Kritik formuliert er deutlich - und er wird im Fazit über Merkels Regierungszeit zum ersten Mal in seinem Buch ein wenig unfair, wenn er ihr vorwirft, "die große Tat aber fehlt, anders als bei Adenauer, Brandt, Kohl und Schröder".
Zu Recht weist er nämlich einige Seiten zuvor darauf hin, dass es in der ersten Regierungszeit "ums Durchkommen" gehe: "Ein Kanzler wird so richtig Kanzler erst in der zweiten Regierungszeit." Und durchgekommen ist Merkel zweifellos, auch wenn darauf viele zum Start ihrer Kanzlerschaft nicht gewettet hätten. Ob sie in einer zweiten Amtszeit richtig Kanzlerin wird, bleibt abzuwarten. Es wäre Kubjuweit und seinen Lesern zu gönnen, dass sie ihm bis dahin wieder verziehen hat und ihm weitere Einblicke gewährt.
Angela Merkel. Die Kanzlerin für alle?
Carl Hanser Verlag, München 2009; 160 S., 16,90 ¤