GENDIAGNOSTIK
Ein neues Gesetz soll den Umgang mit Erbinformationen regeln. Doch viele sind damit überfordert
Wenn Maja Baumann* morgens in den Spiegel schaut, sieht sie ein vertrautes Bild: blonde Locken, blaue Augen, ein paar Sommersprossen auf der Nase. Jede Veränderung, sei es eine neue, kleine Falte um die Augenpartie oder ein Pickel auf dem Kinn würde ihr sofort auffallen. Sie kennt sich - jedenfalls von außen. Was Maja Baumann nicht genau einschätzen kann, ist, wie es in ihrem Inneren aussieht.
Das macht ihr gelegentlich Angst, denn Baumann weiß: Sie könnte Trägerin der so- genannten Brustkrebsgene sein. Mutationen der Gene BRCA1 und BRCA2 sind für fünf bis zehn Prozent aller Brustkrebserkrankungen verantwortlich. Trägerinnen dieser Mutation haben ein 80- bis 90-prozentiges Risiko, im Laufe ihres Lebens an Brustkrebs zu erkranken; das durchschnittliche Brustkrebsrisiko liegt bei nur zehn Prozent. Der erblich bedingte Krebs tritt dabei meist noch vor dem 40. Lebensjahr auf, oft in beiden Brüsten und mit einem hohen Risiko, Zweittumore zu entwickeln. Für Baumann sind diese Zahlen mehr als nur Statistik: Mit 37 Jahren starb ihre Mutter an Brustkrebs, da war sie selbst 12 Jahre alt. Sie war dabei, als die Mutter lange gegen die Krankheit angekämpft hat und hat auch gesehen, wie Großmutter und Tante erkrankten, die Krankheit nach Operation, Chemotherapie und Bestrahlung überlebten.
Deshalb hat sie lange überlegt, sich testen zu lassen, als vor einigen Jahren die Brustkrebsgene identifiziert wurden und es in Forschungsprojekten erstmals möglich war, sogenannte Hochrisikopatientinnen, in deren Familien der Krebs immer wieder aufgetreten war, daraufhin zu untersuchen, ob sie die Mutation in sich tragen. Baumann hat das lange mit ihrem Mann und Freunden diskutiert - und mit ihrem Vater, der fürchtete, er könne nach seiner Frau auch noch seine Tochter verlieren. "Aber ich will das nicht. Ich weiß einfach nicht, wie ich mit diesen Ergebnissen umgehen sollte. Würde man mir sagen, dass ich die veränderten Gene nicht in mir hätte, wäre ich immer noch besorgt, dass ich zu den Frauen gehören könnte, bei denen der Brustkrebs sich spontan entwickelt", sagte sie. Immer wieder komme die Frage, ob sie mit dem Ergebnis leben könnte, veränderte Gene in sich zu tragen. "Mit dem Wissen würde ich in einen Abgrund stürzen, ohne eine Idee, wie ich da wieder rauskommen würde", ahnt die junge Frau.
Das Gendiagnostikgesetz ( 16/10532) der Bundesregierung, das den Bundestag möglicherweise noch im März passieren könnte, soll Betroffene wie Baumann unterstützen. Es kann ihnen die Entscheidung zwar nicht abnehmen, aber in wichtigen Fragen für Rechtssicherheit sorgen. Es regelt den Umgang mit den Daten, wenn Tests durchgeführt wurden - und die wichtige Beratung der Betroffenen vor und nach den Untersuchungen.
Denn die Möglichkeiten, die Maja Baumann hätte, um aus der Diagnose einen Schutz vor der Krankheit zu entwickeln, sind radikal: eine präventive Behandlung mit Chemotherapeutika ohne große Aussicht auf Erfolg - oder die prophylaktische Amputation der Brüste. "Damit hätte ich genau das, was mir an der Krankheit auch sogroße Angst macht, schon vorweggenommen."
Und auch das Weiterdenken beruhigt Baumann nicht. "Von dem, was die Diagnose psychisch für mich bedeuten würde, mal abgesehen: Was gäbe es noch für Auswirkungen? Was würde mein Arbeitgeber zu so einem hohen Krankheitsrisiko sagen? Ich könnte schließlich monatelang ausfallen. Und müsste ich das auch der Versicherung melden, mit dem Risiko, dass die mir die Lebensversicherung kündigen?"
Lange haben die Fraktionen um den Umgang mit diesen und anderen Problemen gerungen. Schon in der 14. Legislaturperiode gab es dazu Empfehlungen der Enquete-Kommission für Recht und Ethik in der modernen Medizin. Nachdem in der 15. Wahlperiode eine von der rot-grünen Regierung eingesetzte Arbeitsgruppe ihre Arbeit wegen der anstehenden Neuwahlen abgebrochen hatte, gab es im November 2006 einen Gesetzentwurf der Bündnisgrünen ( 16/3233), der genetische Untersuchungen bei Menschen regeln sollte. Seit Juni 2008 liegt nun ein Entwurf der Regierung vor. Bei einer Anhörung im Januar 2009 wurde dieser Gesetzentwurf trotz Kritik im Detail von einem Großteil der Fachleute im Kern begrüßt. Die genetischen Daten seien besondere, weil sie ihre Bedeutung über lange Zeit behielten und unter Umständen auch Informationen über Dritte, nämlich Verwandte, offenbarten, so heißt es in dem Gesetzentwurf. Ziel der neuen Regelungen sei es, so die Regierung, "mögliche Gefahren von genetischer Diskriminierung zu verhindern und gleichzeitig die Chancen des Einsatzes genetischer Untersuchungen für den einzelnen Menschen zu wahren". Es müsse einen besonderen "Schutzstandard" geben, um die Persönlichkeitsrechte der Bürger zu schützen - Menschen wie Maja Baumann sollen sicher sein können, dass die höchst privaten Erkenntnisse nicht in falsche Hände geraten und sogar gegen sie verwendet werden könnten.
So sollen sowohl heimliche Vaterschaftstests als auch Untersuchungen auf Verlangen des Arbeitgebers verboten sein; auch Versicherungsunternehmen dürfen beim Abschluss eines Versicherungsvertrags weder genetische Untersuchungen noch Auskünfte über schon durchgeführte Untersuchungen verlangen.
Mit einer Ausnahme: Ab einer Versicherungssumme von 300.000 Euro sollen die Ergebnisse eines Gentests vorgelegt werden, um "die Ausnutzung eines Wissensvorsprungs im eigenen wirtschaftlichen Interesse zulasten der Solidargemeinschaft" zu verhindern. Für Frank Spieth (Die Linke) ist das ein Einknicken der "Koalition vor den Interessenverbänden aus Industrie und Versicherungswirtschaft".
Allein die Betroffenen sollen über Weitergabe, Aufbewahrung oder Vernichtung ihrer genetischen Daten und Proben entscheiden dürfen - und sie sollen neben dem Recht auf Kenntnis ihrer Daten auch ein Recht auf Nichtwissen haben.
Es ist also das gute Recht von Maja Baumann, wenn sie nicht erfahren will, ob sie die mutierten Gene in sich trägt. Nach dem Geist des Gesetzes soll niemand gezwungen werden können, sich über seine Erbanlagen informieren zu lassen. Bundesärztekammer und Behindertenverbände zeigen sich über diese Regelung zufrieden, weil so "Mindeststandards" in Bezug auf die informationelle Selbstbestimmung und den Diskriminierungsschutz gesetzt würden. Kritik dagegen kommt vom Bundesbeauftragten für den Datenschutz, Peter Schaar. Er will, dass heimliche Tests mit Strafen geahndet werden und bemängelt, dass es keine Regelungen für den Bereich der medizinischen Forschung geben soll. Das aber sei "zum Schutz der Probanden und für die Rechtssicherheit der Forschung" nötig, erklärt Schaar.
Bislang im Gesetz enthalten, unter den Fraktionen und Sachverständigen aber heftig umstritten, ist die Möglichkeit, dass schwangere Frauen ihre ungeborenen Kinder auf sogenannte spätmanifestierende Krankheiten testen lassen - Erkrankungen also, die wie Chorea Huntington erst lange nach der Geburt ausbrechen können. Viele Fachleute fürchten, diese Diagnosen könnten den Druck auf die Frauen erhöhen, Kinder abzutreiben, die nicht vollkommen "gesund" sind. Ohnehin trifft das Gendiagnostikgesetz gerade im Bereich der Pränataldiagnostik auf einen sensiblen Bereich: Je größer die medizinischen Erkenntnisse im Bereich der Gendiagnostik sind, desto stärker wachsen die Möglichkeiten, einen Menschen bereits vor seiner Geburt auf bestimmte Krankheiten oder Eigenschaften hin zu untersuchen. Die Vorstellung, dass Eltern sich so ein Baby nach Maß schaffen könnten, wird durch Berichte wie die über ein britisches Elternpaar befördert, das im Rahmen der Präimplantationsdiagnostik dafür sorgte, dass ihr im Januar 2009 geborenes Kind nicht Träger des defekten BRCA1-Gens ist. In Deutschland wäre eine solche "Vorauswahl" bei Embryonen zwar verboten - aber viele Behindertenverbände befürchten, dass die neuen medizinischen Möglichkeiten dazu führen könnten, dass Behinderungen künftig als vermeidbare Unfälle angesehen werden könnten.
Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Deutschen Ärztekammer, bemängelt, dass das Gendiagnostikgesetz im Hinblick auf die vorgeburtlichen genetischen Untersuchungen nur einen begrenzten Bereich regelt, aber nicht die nicht-genetischen vorgeburtlichen Untersuchungen. Die Ärzte hofften daher auf eine Klarstellung in der Neuregelung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes, das im Bundestag ebenfalls gerade beraten wird. Das heikle Thema sorgt auch für Streit unter den Koalitionspartnern: Auf ihrem jüngsten Parteitag hat die Union beschlossen, das Tests auf später ausbrechende Krankheiten nicht mehr erlaubt sein sollen, und teilt damit die Position der Grünen. Der CDU- Ethik-Experte Hubert Hüppe hat die SPD aufgefordert, das Gesetz nicht scheitern zu lassen, "weil sie unbedingt vorgeburtliche Diagnostik auf mögliche Krankheiten wie Alzheimer zulassen will". Für die SPD konterte Carola Reimann: "Ich hoffe, dass die Union nicht darauf besteht, die Untersuchungen zu möglichen später ausbrechenden Krankheiten zu verbieten und damit das ganze Gesetzespaket zu gefährden."
Auch Maja Baumann weiß, dass das Brustkrebsrisiko nicht sie allein betrifft: Hätte sie die defekten Gene, müsste sie befürchten, dass ihre heute dreijährige Tochter Mutationsträgerin ist - die Mutation wird zu 50 Prozent an die Nachkommen weitergegeben. Obwohl sie vor der Geburt die üblichen Tests hatte durchführen lassen, wäre diese Untersuchung für Baumann ausgeschlossen gewesen. "Was ist denn, wenn Ihnen jemand sagt, Ihr Kind könnte irgendwann vielleicht an Alzheimer erkranken oder einen Schlaganfall bekommen, weil es genetische Auffälligkeiten gibt?", hat Baumann zu bedenken. Und: "Noch weniger, als ich für mich jedes Risiko ausschließen kann, kann ich das für mein Kind. Wer weiß? Wenn sie oder ich jemals in die Situation kommen sollte, hat sich vielleicht die Medizin weiterentwickelt, und es gibt Heilungsmöglichkeiten, von denen wir heute noch gar nichts wissen."
* Name von der Redaktion geändert.