Schifffahrt
Erik Lindners Porträt der deutschen Reeder-Elite
Was ist das für ein Geschäft, in dem deutsche Unternehmer an die Weltspitze vorgedrungen sind, wie in kaum einer anderen Branche? Ein Siegeszug, für den sie nur die historisch kurze Zeitspanne von zwei Jahrzehnten benötigten. Die Rede ist von den Reedern.
Reeder managen den Kernbereich der maritimen Wertschöpfungskette, die aus Schiffbau und Finanzierung, Schiffsbetrieb und Containern, Vercharterung und Frachtgeschäft besteht. Der typische Reeder, wie ihn der Historiker Erik Lindner skizziert, bestellt auf der Werft ein Schiff, finanziert es und betreibt es auf eigene Rechnung oder - als "Trampreeder" - verchartert es samt Mannschaft an andere Reedereien und Logistikkonzerne. Kurzum, die Reeder wirken im Zentrum der weltumspannenden, hochkomplexen Logistikketten, welche die heutige Globalisierung erst möglich machen.
Weltweit an erster Stelle stehen die Reeder aus Bremen, Rostock und vor allem aus Hamburg. Sie setzen weltweit die meisten Containerfrachter ein, für sie sind fast 1.600 Schiffe mit einer Kapazität von mehr als 3,9 Millionen Stellplätzen für Standardcontainer (TEU) unterwegs. Mehr als 500 weitere Schiffe sind im Bau oder wurden bestellt, und nach deren Stapelläufen wird die deutsche Transportkapazität noch einmal um 2,3 Millionen TEU steigen. Insgesamt beträgt der deutsche Weltmarktanteil bei den Containerfrachtern sagenhafte 36 Prozent! Es ist eine unangefochtene Spitzenposition, denn die Nummer zwei, Japan, kommt gerade mal auf neun Prozent.
Lindner versucht, uns "die Herren der Container" menschlich nahe zu bringen. Die Namen von Hermann Ebel, Claus-Peter Offen oder Erck Rickmers sind lediglich Insidern und maritimen Fans geläufig, obwohl sie Milliardenbeträge bewegen und oft erfolgreicher als die Vorstandsvorsitzenden von Siemens oder VW agieren.
Dabei sind viele Reeder keineswegs so medienscheu, wie Lindner meint, aber doch fallen zwei Unterschiede auf. Reeder führen im Regelfall eine im weiten Sinne Familiengesellschaft, nicht eine börsennotierte Aktiengesellschaft. Der typische Reeder denkt und arbeitet also mit strategischem Weitblick, der weit über die aktuelle Weltwirtschaftskrise hinausreichen kann. Den anderen Unterschied merken Publizisten und Journalisten, die gleichfalls die Finanzmetropole Frankfurt und ihre Akteure kennen. Der typische Reeder, der ja auch ein (Schiffs-)Finanzier ist, bleibt bodenständig. Werften, Häfen und die raue See verbinden ihn, trotz der Kastenbildung wie bei Investmentbankern, mit der Realwirtschaft.
Den distinguierten Herren im blauen Zweireiher mit Goldknöpfen, die Diskretion in Person - diesen traditionellen Typ Reeder gäbe es nach wie vor, hat Lindner bei seinen Recherchen festgestellt. Hinzugekommen sind jedoch jene Reeder, so der Autor, "die zur Förderung der Anlegerakquise offensive PR über ihre Pressestelle und die mehrsprachige Homepage betreiben und sich dabei selbst inszenieren". Dazu gehören auch Großunternehmen wie Hapag-Lloyd und die zum Mischkonzern Oetker gehörende Reederei Hamburg Süd.
Lindner ist ein faktenreiches, teilweise interessantes Lesestück gelungen. Obwohl das Buch wenig Distanz zur beschriebenen "Elite" hält, werden auch Schattenseiten angeleuchtet: die erheblichen staatlichen Subventionen für die milliardenschweren Globalisierungssieger oder der Unwille vieler Reeder, Mindesttarife für die Schiffsbesatzungen aus Entwicklungsländern und Osteuropa zu zahlen. Lindners Fazit, die Reeder seien der "seit langem bewährte Prototyp einer globalisierten Wirtschaft", mag man zwar zustimmen. Es ist aber ein vergiftetes Lob.
Die Herren der Container. Deutschlands Reeder-Elite.
Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2008, 288 S., 19,95 ¤