Rechtsextremismus
Ein Beispiel aus Rheinland-Pfalz zeigt, wie durch gezielte Programme der Ausstieg gelingen kann
Freundlich öffnet Robert L. (Name von der Redaktion geändert) Besuchern die Tür. Der 29-Jährige wohnt in einem alten Häuschen in einem Dorf in Rheinland-Pfalz. Für sich, Frau und Kind baut der gelernte Fliesenleger gerade Schritt für Schritt die Wohnung aus. Robert L. hat seinen Platz in der Gesellschaft wieder gefunden. Vor einigen Jahren sah das anders aus: Roberts Haare waren kurz geschoren, Springerstiefel und Bomberjacke seine liebsten Kleidungsstücke. Robert war rechtsradikal und das schon seit seinem 14. Lebensjahr. "Stumpfe Parolen wie ,das Boot ist voll, die Ausländer nehmen den Deutschen die Arbeitsplätze weg', gingen mir leicht über die Lippen", sagt er. Regelmäßige Schlägereien und ein prall gefülltes Vorstrafenregister waren die Folgen.
Heute ist der 29-Jährige ein wichtiger Baustein im Anti-Gewalt-Training des Diplom-Sozialpädagogen Stefan Werner. In Ingelheim bei Mainz schult Werner Jugendliche aus der achten Klasse. Er will ihnen zeigen, dass der Weg in den Rechtsextremismus meist eine Flucht vor der Realität ist. Der Austausch mit Aussteigern wie Robert hat dabei einen hohen Stellenwert: "Es ist eine wichtige Komponente, die Jugendlichen abzuschrecken", erklärt Werner. Seine Kurse gegen Gewalt und gegen Rechts verfolgen daher ein Ziel: "Die rechte Szene darf kein Gewinn für Jugendliche sein."
Alleine mit Gesprächen ist es nicht getan, dessen ist sich Stefan Werner bewusst. "In meinen Seminaren wird nicht viel über Rechtsextremismus diskutiert", erklärt er. Viel mehr gehe es darum, den jungen Menschen ihre Bedürfnisse aufzuzeigen. Was bedeutet mir Freundschaft? Wie verorte ich mich in einer Gruppe? Wie kann ich Mobbing verhindern? Das sind für den Sozialpädagogen die zentralen Fragen. Dabei spielt das Vermeiden von Gewalt eine große Rolle. "Besonders junge Männer müssen ihre Männlichkeit mit Gefühlen leben lernen", beschreibt Werner. Vorbeugende Arbeit fängt für ihn darum in der Schule an. Dort müsse Jugendlichen geholfen werden, wenn sie an den Rand der Gemeinschaft gedrängt werden. "Wenn ich sehe, dass jemand zum Außenseiter wird, muss ich mich dieser Person noch mehr widmen", erklärt Werner.
In all diesen sensiblen Phasen ist bei Robert L. einiges schief gelaufen: Er hat Opfererfahrungen gemacht, wie es der Anti-Gewalt-Trainer nennt. "Das ist mit den Erwartungen eines jungen Mannes an sich selbst nicht vereinbar", glaubt der Sozialpädagoge. Zu diesen Opfererfahrungen gehörten besonders in Westdeutschland auch negative Erlebnisse mit ausländischen Jugendlichen. "Als 13-Jähriger bin ich oft von türkischen Jugendlichen verprügelt worden", sagt Robert. Schnell habe sich ein Gefühl der Hilflosigkeit eingestellt - und ein undifferenziertes Feindbild. Da kam ein Mitglieder werbender NPD-Mann auf einer Feier gerade richtig. Damals, so Robert, habe die neue Gruppe ihn aufgefangen. "Bei der NPD habe ich mich willkommen gefühlt", sagt er.
Eine Entwicklung, die Una Patzke von der rheinland-pfälzischen Landeszentrale für politische Bildung mit Sorge beobachtet. "Jugendliche sind zur Zielgruppe der Rechtsextremisten geworden", berichtet sie. Darum müsse man auch in Rheinland-Pfalz wachsam sein, einem Bundesland, das beim rechtsextremen Gewaltpotenzial im unteren Drittel des Bundesschnitts liegt. Programme der politischen Bildung setzen daher bei den Multiplikatoren der Jugendarbeit an. Sozialarbeiter, Lehrer und auch Polizisten werden zum Thema Rechtsextremismus geschult. Dabei geht es um neue Trends in der rechten Szene, Ursachen von Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus. "Information ist ein Schwerpunkt unserer Arbeit. Mit Aufklärung kann man viel erreichen", sagt Patzke. Trotzdem erkennt sie Grenzen der politischen Bildung: "Bei einer gefestigten rechtsextremen Ideologie wird es für uns sehr schwierig." Darum arbeitet die Landeszentrale vernetzt, trifft sich immer wieder mit Verfassungsschutz oder Polizei. "Wir haben in Rheinland-Pfalz ein Netzwerk geschaffen, das auf unterschiedlichen Ebenen ansetzt", so Patzke. Wenn Prävention und Information nichts mehr helfen, müssten Polizei und Aussteigerprogramme ran.
Bei Robert L. hätte Prävention nicht mehr gegriffen. Er brach mit seinem alten Umfeld, war zu Hause ausgezogen, hatte den Streit mit Eltern und alten Freunden satt. Doch mit Mitte 20 kam die Wende. Robert stand wegen schwerer Körperverletzung vor Gericht. "Für mich war klar, dass ich nicht ins Gefängnis will", erinnert er sich. Bei der Verhandlung nannte Robert Mittäter, bekam mildernde Umstände und eine Auflage: ein Anti-Gewalt-Training bei Sozialpädagoge Stefan Werner. Erst dort änderte sich die Einstellung. Langsam kam die Einsicht: "Meinen Hass auf Ausländer, Juden und Linke kann ich jetzt selbst nicht mehr nach- vollziehen."