Ulrich Grillo
Der rohstoff- politische Sprecher des BDI und Chef der Grillo-Werke zeigt auf, was die Versorgung mit Rohstoffen gefährdet
Vor gut einem Jahr war der Begriff Rohstoffkrise in aller Munde. Heute domi-nieren die Sorgen um unsere Finanzsysteme und Schlüsselindustrien. Benötigt die deutsche Industrie überhaupt noch einen rohstoffpolitischen Sprecher?
Es ist eine Illusion zu glauben, der aktuelle Preisverfall auf den Rohstoffmärkten würde die Situation der Versorgung Deutschlands und Europas mit metallischen Rohstoffen oder Energie entspannen. Die derzeitige Situation verifiziert nachdrücklich die von uns in der Vergangenheit immer wieder betonte Erkenntnis, dass es sich bei der Rohstoff versorgung nicht um ein Preisproblem, sondern um ein Verfügbarkeitsproblem handelt, wobei das Rohstoffangebot durch handels- und wettbewerbsverzerrende Maß-nahmen künstlich verknappt wird. Dieses Verfügbarkeitsproblem kann nur mit staat- li cher Hilfe und konsequenter Bekämpfung bestehender Handels- und Wettbewerbsver-zerrungen auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene beseitigt werden. Es besteht daher kein Anlass für die Industrie, auf einen rohstoffpolitischen Sprecher zu verzichten, im Gegenteil die Aufgabe wird komplexer.
Was tun Sie konkret?
Der BDI-Rohstoffausschuss sowie eine Task-Force aus Unternehmen der besonders rohstoffabhängigen Nichteisen(NE)-Metallindustrie unter Leitung meines Kollegen Hans-Gerhard Hoffmann von der Aurubis AG arbeiten intensiv an einer effizienten und angemessenen Lösung. Die in den vergangenen Jahren hierzu geleisteten Initiativen tragen bereits Früchte. Die Bundesregierung hat als Konsequenz des BDI-Rohstoffausschusses 2007 den interministeriellen Ausschuss Rohstoffpolitik gegründet. Auf deutsche Initiative hat die Europäische Kommission Ende 2008 eine Mitteilung zur Rohstoffpolitik veröffentlicht. Diese wird derzeit mit konkreten Maßnahmen weiter-entwickelt.
Ist die Rohstoffversorgung überhaupt gefährdet?
Ich sehe weiterhin große Gefahren für den freien Rohstoffhandel. Der Protektionismus greift derzeit wie ein schleichendes Gift um sich und wird vielfach sogar als etwas Positives verkauft. Protektionismus war und ist der falsche Weg, um ökonomische Krisen zu bewältigen oder die nationale Wohlfahrt einzelner Staaten zu fördern. Dennoch ist der Griff zu protektionistischen Instrumenten kein Tabu. Frankreichs Wirtschaftsministerin Christine Lagarde erklärte kürzlich, etwas Protektionismus sei ein notwendiges Übel, das vorübergehend sein müsse. Protektionismus im 21. Jahrhundert beschränkt sich nicht auf Importzölle und Einfuhrbeschränkungen.
Sondern?
Das Arsenal ist vielfältig: Anti-Dumping-Maßnahmen, Subventionswettläufe mit Staatsfonds, Kapitalspritzen oder auch Teilverstaatlichungen sind Formen, nationale Industrien vor ausländischen Wettbewerbern zu schützen. Währungsmanipulationen gehören ebenso dazu wie die Neuformulierung von Standards für Importprodukte, höhere Anforderungen an Gesundheitsvorschriften, technische Ausführungen oder Umweltstandards.
Was ist gegen solche Handelsbarrieren zu tun?
Aus Sicht der Industrie ist eine rasche Umkehr des protektionistischen Trends sowie darüber hinaus die konsequente Bekämpfung bereits bestehender und seit Monaten wieder deutlich zunehmender protektionistischer Maßnahmen auf den internationalen Rohstoff- und Metallmärkten dringend notwendig. Auf vielen Märkten, besonders in China, Russland und Indien, sind eine Reihe handelsverzerrender Maßnahmen Art zu beobachten, die alle das Ziel haben, die heimische Wirtschaft zu stützen und sie gegen ausländischen Wettbewerb zu schützen.
War das nicht immer so?
Schon. Aber viele Länder nutzen die gegenwärtige Situation, um weitere Hürden zu errichten und so Fakten zu schaffen, die nicht oder nur in langwierigen internationalen Verhandlungen wieder zurückgenommen oder abgeschwächt werden können. Die von uns in den vergangenen Jahren immer wieder belegte Steuerung der gesamten industriellen Wertschöpfungskette insbesondere durch China sowie der Kampf gegen einen sich ständig verändernden Korb an handelsverzerrenden Maßnahmen ist nach wie vor aktuell. Beispiel hierfür sind Gerüchte über die Wiedereinführung der Einfuhrumsatzsteuerrückerstattung auf Metallschrotte in China. Auch in Russland gibt es entsprechende Maßnahmen.
Bitte noch einmal: Was ist zu tun?
Die derzeitige Krise zeigt nachdrücklich: Handels- und Rohstoffpolitik ist kein ab- straktes Mittelfristthema, sondern höchst konkret und von enormer Brisanz.Im Kampf gegen den Protektionismus hat aus unserer Sicht ein erfolgreicher Abschluss der Welthandelsrunde Vorrang. Ein Ansatz, dem alle WTO-Mitglieder zustimmen, kann die Durchsetzung einheitlicher Spielregeln erleichtern und klare Sanktionen bei Verstößen ermöglichen. Es gilt dabei, das bestehende Instrumentarium weiter zu schärfen und um Elemente und Sanktionsmechanismen zu ergänzen, die eine effiziente Bekämpfung von Handels- und Wettbewerbsverzerrungen innerhalb eines überschaubaren Zeitraums ermöglichen. Hierzu gehört unter anderem die Einführung eines allgemeinen Verbotes von Exportzöllen. Es ist dringend eine integrierte und konsistente Handels- und Rohstoffpolitik erforderlich, die die verschiedenen Instrumente und Akteure miteinander koordiniert.
Bringen die endlosen Handelsrunden wirklich etwas?
Bei den Verhandlungen über einen Beitritt der Ukraine zur WTO hat sich gezeigt, dass dieser Maßstab durchaus streng anzulegen ist. Die Ukraine hat sich gegenüber der EU verpflichtet, die bestehenden Exportzölle insbesondere bei Metallschrotten im Rah-men eines sich anschließenden bilateralen Freihandelsabkommens vollständig abzu-schaffen. Dies ist eine unverzichtbare Voraussetzung für weitere Verhandlungen.
Kommen wir zu den heimische Rohstoffen. Sind unsere Vorkommen über-haupt noch von Bedeutung?
Unsere hohe Abhängigkeit von Öl und Gas führt leicht dazu, die heimische Rohstoff-gewinnung zu unterschätzen. Es ist wenig bekannt, das hierzulande mehr als 4.000 Unternehmen mit der Förderung von Rohstoffen beschäftigt sind. Große Unternehmen mit mehreren zehntausend Beschäftigten fördern Stein- und Braunkohle sowie Kali- und Steinsalz. Mineralische Rohstoffe werden vorwiegend von mittelständischen Unternehmen gewonnen. Bei der Braunkohlengewinnung ist Deutschland Weltspitze. Bei Feldspat, Kaolin, Salzen und Kali zählen wir zu den fünf größten Produzenten. Bei Betonit, Steinkohle, Schwerspat, Gips, Anhydrit und Flussspat findet sich Deutschland in der Gruppe der 20 wichtigsten Produzenten wieder. Alles in allem werden jährlich in Deutschland 800 Millionen Tonnen Rohstoffe gefördert.
Aber die Zeit einer florierenden Erzförderung ist doch vorbei?
Ja, die Gewinnung metallischer Rohstoffe in Deutschland ist Geschichte. Die stofflichen Eigenschaften unserer Eisenerzlager passen nicht zum Weltmarktangebot. Die Buntmetallvorkommen im Harz und anderen Regionen sind weitgehend erschöpft oder deren Förderung ist aufgrund der geologischen Gegebenheiten sehr teuer. Anlässlich der hohen Preise im vergangenen Jahr schien kurzfristig ein Wiederaufleben der Kupfergewinnung sowie anderer seltener Metalle in greifbare Nähe gerückt zu sein. Doch das ist bestenfalls ein Tropfen auf den heißen Stein.
Also bleibt nur der internationale Markt.
Ja, es gibt weltweit im Prinzip genug Rohstoffe. Außerdem erschließen wir uns über das Recycling eine zusätzliche wichtige Rohstoffquelle. Gerade hier ist es aus ökonomischen und ökologischen Gründen essenziell, dass diese Quelle der inländischen Rohstoffversorgung nicht versiegt. Das wiederum sicherzustellen, ist Aufgabe des Staates.