ROHSTOFFPOLITIK
Die Versorgungssicherheit darf nicht aus den Augen verloren werden
Die Zeit für eine erste Bilanz ist gekommen. Fünf Jahre stetig steigende Preise sind seit dem Herbst 2008 vorbei. Die Märkte konsolidieren sich, die nachlassende Konjunktur sorgt für wachsende Lagerbestände und kräftig fallende Preise bei Energie, Metallen und anderen Rohstoffen. EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso warnt aber davor, angesichts aktueller ökonomischer Probleme die langfristige Sicherheit der Energie- und Rohstoffversorgung aus den Augen zu verlieren. In Deutschland soll eine interministerielle Arbeitsgruppe das Thema auf der Agenda halten.
"Deutschland als hoch entwickelter Industriestaat benötigt eine Vielzahl von mineralischen und energetischen Rohstoffen zur Aufrechterhaltung seiner Wirtschaftskraft. Die Versorgung muss aus einheimischen wie aus fremden Quellen sichergestellt werden", erklärt Matthias Hartung, der Vorsitzende der Vereinigung Rohstoffe und Bergbau in Berlin. Das klingt einfach, doch die Aufgabe ist komplex. Rohstoffpolitik, so das Bundeswirtschaftsministerium in einer rohstoffpolitischen Zwischenbilanz, "ist eine klassische Querschnittsaufgabe". Sie tangiert die Politikbereiche Wirtschaft, Äußeres, Entwicklung, Umwelt, Agrar sowie Forschung und Europa. Da ist es nicht leicht, zu einer einheitlichen Strategie zu kommen, denn auch die Unternehmen wollen ein gewichtiges Wort mitreden
Die im Frühsommer 2007 eingesetzte "Interministerielle Arbeitsgruppe zur nationalen Rohstoffpolitik" hat die Aufgabe, das Durcheinander von Vorstellungen, Vorschlägen und Besorgnissen zu koordinieren. Dass es zur Neugründung dieser Institution kam, ist ein Verdienst der Wirtschaft. Auf massives Drängen energie- und rohstoffintensiver Branchen hatte der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) im Frühjahr 2007 einen großen Rohstoffkongress in Berlin organisiert. "Die Veranstaltung schreckte Bürger wie Politiker gleichermaßen aus dem Traum rohstoffpolitischer Sorglosigkeit auf", erinnert sich ein Teilnehmer. Dass es zur Neugründung der Arbeitsgruppe kam, zeigt aber auch, dass Rohstoffpolitik über einen längeren Zeitraum in Deutschland keine nennenswerte Rolle spielte.
Sorgen um die Rohstoffversorgung machen sich weniger Geologen als Ökonomen. "Fast alle Industrierohstoffe sind, gemessen an den globalen Reserven und Ressourcen, in ausreichender Menge vorhanden", schreibt das Bundeswirtschaftsministerium in seiner Bilanz. Lediglich bei Elektronikmetallen Germanium und Indium "ist es ein wenig eng". Bei den wirtschaftlich wichtigen Rohstoffen ist die Bewertung der Bundesregierung unterschiedlich: Eisenerz, Nickel, Molybdän und Mangan gelten als unkritisch. Bei Aluminium, Chrom, Flussspat, Germanium, Kupfer, Vanadium und Zink macht der Bundesregierung Sorgen, dass sich die Vorkommen auf wenige Länder oder politisch und wirtschaftlich instabile Regionen konzentrieren. Bis 2025 wird sich die Förderung fast aller Rohstoffe weiter erhöhen, und mit dem Verbrauchsanstieg Schritt halten, so die Berliner Prognose. "Entlastend wirken der technologische Fortschritt mit den Trends zur Substitution und Verkleinerung sowie die zunehmenden Recyclingquoten", sagt Martin Kneer, Hauptgeschäftsführer der Wirtschaftsvereinigung Metalle in Berlin. Die Wiederverwendung von Metallen und anderen Rohstoffen vermindert gerade in Deutschland den Bedarf an Primärrohstoffen, erkennt auch die Rregierung an.
Dabei sind Rohstoffmärkte durchaus berechenbar: Das Auseinanderdriften von Produktion und Nachfrage führt regelmäßig zu Hochpreisphasen, die nach dem Erreichen hoher oder historischer Spitzen zu einer Konsolidierung der Märkte führen. Die jüngste Hausse an den Rohstoffmärkten erreichte Mitte 2008 ihre Spitze - getrieben durch eine hohe Nachfrage aber auch durch Spekulanten. Seitdem sind die Ölpreise um mehr als zwei Drittel und die Metallpreise im Schnitt um die Hälfte gesunken. Während in der Vergangenheit vor allem Investitionen der Minen- und Energiekonzerne in Gewinnung und Transport ausreichten, um die Preise nach unten zu bewegen, sorgt jetzt die Nachfrageschwäche auf den Weltmärkten geradezu für einen Absturz der Preise und Notierungen.
Rohstoffpolitik nach traditionellem Muster betreibt vor allem China. Direktinvestitionen in Kohle- und Erzminen, indirekte Investitionen in die Infrastrukturen rohstoffreicher Länder, Steuervergünstigen für die heimische Rohstoffindustrie, globale Schrottaufkäufe und wenig Interesse an fairen Handelssystemen im Rahmen der Welt- handelsorganisation (WTO) sind die wesentlichen rohstoffpolitischen Instrumente der Volksrepublik. Auch andere Länder Asiens und Osteuropas machen regen Gebrauch von diesen Praktiken. Deutschland hat diesen Pfad der Versorgung bereits vor Jahren verlassen. Staatliche Unternehmen zur Exploration und Rohstoffgewinnung wurden aufgelöst, deutsche Investitionen in australische und nordamerikanische Kohleminen gestoppt. Am ehesten dem Bild eines nationalen Rohstoffkonzerns entspricht noch die BASF-Tochter Wintershall in Kassel. Mit Gasförderungen in Russland und einer jahrzehntelangen Ölproduktion in Libyen macht das Unternehmen gute Geschäfte. Doch patriotisch ist das Selbstverständnis nicht. Wintershall versteht sich als normaler Energiekonzern.
Rund 80 deutsche Unternehmen engagieren sich derzeit nach Einschätzung der Bundesregierung im internationalen Rohstoffgeschäft, vor allem bei der Gewinnung von Energie und Baustoffen. Die Zahl der Technologieunternehmen, die ihre Produkte den internationalen Bergbaukonzernen anbieten, liegt bei mehreren Hundert. Und diese will die Arbeitsgruppe unterstützen. Im Zentrum ihrer Tätigkeit steht dabei der Abbau von Handelshemmnissen und Wettbewerbsverzerrungen auf den Rohstoffmärkten. In enger Zusammenarbeit mit der EU-Kommission und anderen EU-Staaten werden nur mühsam Erfolge errungen, darunter erste Regelungen zum Abbau von Zöllen auf Rohstoffexporte. So hat die Ukraine ihre Beschränkungen für Rohstoffe bereits vollständig abgeschafft. Nur wer sich zu einem freien Rohstoffhandel verpflichtet, soll künftig in die WTO aufgenommen werden.
Ein insbesondere von der Wirtschaft noch mit Skepsis diskutiertes Handlungsfeld der Arbeitsgruppe ist die Stärkung rohstoffpolitischer Ansätze in der Entwicklungspolitik, wenn sie sich wie geplant, nur auf den Umwelt- und Ressourcenschutz sowie "gute Regierungskulturen" konzentrieren.
Qualität und Transparenz der Rohstoffmärkte soll die von der Bundesregierung unterstützte Extractive-Industries-Transparency-Initiative mit ihrem Sekretariat in Oslo verbessern. So werden die Handelsketten für Diamanten und andere strategische Rohstoffe durch Zertifizierungen durchsichtiger. Für seltene Sondermetalle wie Niob und Tantal sollen chemische Herkunftsnachweise eingeführt werden.
Auf wenig Resonanz in der deutschen Wirtschaft stoßen die Vorschläge der Bundesregierung, die Rückwärtsintegration der deutschen rohstoffverarbeitenden Industrie zu stärken. Investitionsgarantien sowie "ungebundene Finanzkredite mit Bundesdeckung für Rohstoffprojekte" werden nur zögerlich oder überhaupt nicht in Anspruch genommen. Mit einem eigenen Programm versucht die Bundesregierung seit Anfang 2006 vor allem bei kleineren und mittleren Unternehmen die Materialeffizienz zu verbessern. Knapp 300 Projekte wurden bereits realisiert. Im Durchschnitt konnten bei den Unternehmen die Rohstoffkosten um jährlich 270.000 Euro gesenkt werden.
Die Verminderung von Kosten und die Steigerung der Versorgungssicherheit ist auch Ziel erhöhter Recyclingsquoten bei praktisch allen Rohstoffen. "So befinden sich allein im Wohnungsbestand von Städten und Gemeinden rund 10,5 Milliarden Tonnen mineralische Rohstoffe, 200 Millionen Tonnen Holz und 100 Millionen Tonnen Metalle, die bei Rückbau- oder Abrissmaßnahmen als Sekundärrohstoffquelle zur Verfügung stehen," heißt es.
Die Arbeitsgruppe muss auch aktuell drängende Aufgaben bearbeiten. Sekundäre Rohstoffe aus der Wiederverwertung haben inzwischen einen festen Platz in der deutschen Rohstoffbilanz. Eine zurückgehende Industrieproduktionen und sinkende Rohstoffpreise bedrohen jedoch das Recycling. Das Debakel begann mit dem Papierrecycling und hat jetzt auch Stahl und andere Metalle erreicht. Das per Gesetz geregelte Recycling von Elektroschrott ist aufgrund der aufwändigen Prozessschritte bei der Wiederverwertung für die Unternehmen kaum noch rentabel. Ein weiteres Alarmsignal ist die Ankündigung Chinas, einen strategischen Vorrat bei wichtigen Schlüsselmetallen anzulegen. Als erster Schritt dazu dient der Aufkauf von rund 400.000 Tonnen Kupferschrott in Europa. Dies könnte die kosten- und technikintensiven Recyclingwirtschaft in Deutschland in eine bedrohliche Schieflage bringen. Die Lösung des Problems über protektionistische Maßnahmen ist nicht opportun. Was bleibt, sind Maßnahmen, die Recyclingwirtschaft zu stärken, zum Beispiel durch günstige Energiepreise.
Wieland Kramer ist freier Wirtschaftsjournalist in Düsseldorf mit den Schwerpunkten Energie und Rohstoffe.