ROHSTOFFMÄRKTE
Preissturz bei Erz, Kupfer und Nickel: Das nützt den Käufern aber auch nicht viel
Es sind Gespräche, die diskret hinter verschlossenen Türen stattfinden: Jedes Jahr treffen sich Top-Manager der weltgrößten Eisenerzproduzenten, die britisch-australische Rio Tinto, BHP Billiton und die brasilianische Companhia Vale do Rio Doce, um mit chinesischen Stahlherstellern über Preise zu verhandeln. Dieses Jahr können die Abnehmer, allen voran der chinesische Staatskonzern Baosteel, die weltweite Absatzkrise für das "rote Gold" für massive Preissenkungen nutzen. Branchenexperten erwarten, dass die Chinesen Rabatte von 40 bis 50 Prozent durchsetzen. China ist der weltweit größte Stahlproduzent und damit einer der größten Eisenerzimporteure. Doch auch Maos kapitalistische Erben haben jetzt mit dem Wirtschaftsabschwung im Lande zu kämpfen, der zu einem Einbruch des Stahlverbrauchs führte.
Die China-Verhandlungen geben den weltweiten Preistrend vor: Aus dem Verkäufer- wird ein Käufermarkt, das heißt die Erz-Abnehmer können die schlechte Konjunkturlage zu ihren Gunsten nutzen. Eisenerz ist nach Öl der am meisten gehandelte Rohstoff auf der Welt. Nachdem die Preise von 2002 bis Anfang 2008 in den Himmel schossen, hat sich infolge der Rezession der Markt gedreht. "Wir müssen erkennen, dass die fundamentalen Daten miserabel sind", räumte der Chef von Rio Tintos Eisenerzsparte Sam Walsh jetzt ein.
Für den weltweit agierenden Bergbau- und Rohstoffkonzern Rio Tinto ist Eisenerz einer der tragenden Geschäftsbereiche. Im vergangenen Jahr sanken die Erzpreise infolge der Wirtschaftskrise um 55 Prozent. Die Kupferpreise brachen um 52 Prozent und die Nickelpreise sogar um 85 Prozent ein. Die Prognosen für 2009 sind düster: Der weltweite Stahl-Verbrauch wird in der Autoindustrie weiter zurückgehen, aber auch im stark konjunkturabhängigen Baugewerbe. Die Rohstoffkonzerne haben ihre Gewinn- und Umsatzprognosen deshalb nach unten korrigiert. Daran ändert auch nichts, dass sich seit Anfang des Jahres bei einigen Rohstoffen eine leichte Aufwärtsbewegung zeigt. Diese ist weniger auf konjunkturelle Hoffnungsschimmer als auf umfangreiche Käufe Chinas und Japans zurückzuführen. Diese Länder nutzen die niedrigen Preise, um ihre strategischen Lagerbestände aufzustocken.
Indes wird in den Chefetagen der Rohstoffkonzerne intensiv an Planspielen über Fusionen gearbeitet. "Die Karten werden in der Industrie neu gemischt. Schwache Unternehmen suchen Schutz bei stärkeren", meint ein Banker in London. Nicht nur die Ausbeutung vorhandener Lagerstätten wird zunehmend kapitalintensiver. Verschärfte Umweltauflagen erhöhen die Produktionskosten. Das könnte den Zwang zur Konsolidierung verstärken.
Eine rasche Neuordnung des Marktes wird allerdings durch die Kreditkrise erschwert. Ehrgeizige Übernahmepläne scheitern an der Finanzierung. Symptomatisch ist die angespannte Situation bei Rio Tinto und BHP Billiton. BHP-Chef Marius Kloppers sorgte 2007 für Aufsehen, als er Pläne zur Übernahme des Konkurrenten Rio Tinto lancierte. Seine Vision: Ein Bergbaugigant, dessen Aktivitäten von Alaska bis nach Südafrika und Australien reichen. Zu den Hauptprodukten zählen neben Eisenerz auch Kohle, Kupfer, Nickel, Aluminium, Uran, Gold und Diamanten. Beide Konzerne betreiben unter anderem 18 gigantische Erztagebaue in der westaustralischen Pilbara-Region. Sie ist wegen der geographischen Nähe zu Asien Hauptlieferant für die Stahlproduzenten in China, Japan und Südkorea. Daraus hätten sich für BHP Billiton und Rio Tinto enorme Synergieeffekte ergeben. Die Übernahme von Rio Tinto wäre mit einem Volumen von 147 Milliarden Dollar nach der Übernahme von Mannesmann durch die britische Vodafone 1999 der größte Unternehmenskauf in der Geschichte gewesen. Doch jetzt sind Kloppers' ehrgeizige Pläne Opfer der Finanz- und Wirtschaftskrise geworden.
Die Aktien-Kurse von Bergbauunternehmen sackten in den vergangenen Monaten in den Keller. Daher hatte das feindliche Fusionsvorhaben BHP Billitons zuletzt nur noch ein Volumen von 66 Milliarden Dollar. Auch diese Summe wollten die kreditgebenden Banken nicht mehr mitfinanzieren. Nun muss Kloppers im eigenen Haus aufräumen und den Konzern auf Kurs bringen. Unterschätzt hat der BHP-Chef auch den Widerstand der Kartellbehörden, insbesondere der EU-Kommission. Brüssel signalisierte BHP, dass es die Fusion wegen einer möglichen Einschränkung des Wettbewerbs nicht einfach abnicken wollte. Auf dem für die Stahlindustrie wichtigen Eisenerzmarkt hätten BHP und Rio Tinto zwei Drittel der Rohmaterial-Exporte kontrolliert. Kein Wunder, dass auch die deutschen Stahlhersteller wie ThyssenKrupp nach der gescheiterten Fusion aufatmen.
Indes sucht der hochverschuldete Rio-Tinto-Konzern Rettung bei den Chinesen. Konzern-Chef Tom Albanese bietet dem chinesischen Minen- und Aluminium-Konzern Chinalco den Erwerb von Minderheitsbeteiligungen an verschiedenen Rio-Tinto-Geschäften sowie den Kauf von Wandelpapieren an, was insgesamt 15 Milliarden Dollar bringen könnte. Dadurch könnte Chinalco seinen bisherigen Rio-Tinto-Anteil von derzeit neun auf bis zu 18 Prozent aufstocken.
Rio Tinto hat sich mit der Übernahme der kanadischen Aluminium-Gruppe Alcan im Jahr 2007 verhoben. Nun muss Rio-Chef Albanese das Unternehmen durch einen harten Sparkurs wieder auf Kurs bringen. Weltweit sollen 14.000 Jobs wegfallen. Das sind etwa 13 Prozent der Stellen. Widerstände gegen den Rio-Chinalco-Deal gibt es allerdings bei Anteilseignern und der australi-schen Regierung, die einen zu großen Einfluss Chinas im heimischen Bergbau befürchtet. Finanzanalysten in London schließen indes nicht aus, dass Rio Tinto langfristig seine Selbstständigkeit verlieren oder sogar zerschlagen wird. Die Schulden des Unternehmens belaufen sich auf umgerechnet etwa 30 Milliarden Euro. Gelingt Chinalco der Rio-Coup, könnte der chinesische Staatskonzern mit seinen 200.000 Beschäftigten künftig zu einem der weltweit größten Mitspieler in der Rohstoffbranche aufsteigen. Chinalco hat in den vergangenen Jahren bereits in einzelne Bergbauvorhaben in Australien, Peru und Vietnam investiert. Obwohl das Unternehmen derzeit auch die sinkende Nachfrage nach Aluminium auf dem Heimatmarkt zu spüren bekommt, geht es Peking um die langfristige Sicherung der Erzversorgung.
Was bedeutet dies für die Versorgungslage der Industrieländer mit strategisch wichtigen Rohstoffen? Der derzeitige Preiseinbruch sollte nicht über die langfristigen Probleme hinwegtäuschen. Erstens treten Schwellenländer wie China und Indien am Markt als starke Konkurrenten auf. Die Entwicklung ihrer Volkswirtschaften erfordert weiterhin einen erheblichen Bedarf an Rohstoffen, vor allem wenn die dort lebenden Menschen sich höherwertige Konsumgüter wie Autos, Fernseher und Waschmaschinen leisten können.
Zweitens zeichnet sich ein gefährlicher Trend ab, dass die Bergbauunternehmen angesichts der Finanzkrise ihre Investitionen zurückschrauben. Die Erschließung neuer Förderstätten ist aber eine wichtige Voraussetzung, um künftige Versorgungslücken zu schließen.
Drittens tragen Fusionen und Übernahmen in der Rohstoffbranche dazu bei, die Marktmacht der Lieferanten zu stärken. Etwa 70 Prozent der nationalen Rohstoff-Importrechnung gibt Deutschland für Energie, aber 29 Prozent bereits für Metallrohstoffe aus. Während es für Öl und Gas außerdem Ersatzrohstoffe gibt, ist dies bei etlichen seltenen Metallen wie für die Herstellung von Flugzeugturbinen, Schmuck und Brennstoffzellen nicht der Fall.
Vor allem bei wichtigen Import-Rohstoffen wie Chrom, Platin und Palladium drohe eine "besonders kritische Versorgungslage" für ganze Branchen wie Autoindustrie, Chemie und Edelstahl-Erzeuger, warnte das industrienahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in einer im vergangenen Jahr veröffentlichten Studie. Die Europäische Union muss etwa die Hälfte ihrer benötigten Kupfererze importieren. Bei Eisenerz liegt der Importanteil bei 85 Prozent und bei Metallen wie Titan, Tantalum und Platin für High-Tech-Produkte sogar bei 100 Prozent.
Insofern ist die Importabhängigkeit ein Sprengsatz für den Wohlstand der westlichen Industriestaaten. Um Fusionen und Marktmacht in Lieferländern wie Südafrika und Russland zu begegnen, sollten die EU und die Bundesregierung für mehr Freihandel und Investitionssicherheit kämpfen. Intensiver genutzt werden sollten zudem das Abfall-Recycling, das derzeit in Deutschland etwa fünf Milliarden Euro an der Rohstoffrechnung einspart. Die Unternehmen selbst können für Entlastung durch sparsameren Materialeinsatz und langfristige Lieferverträge sorgen.
Zudem bietet die sogenannte Rückwärtsintegration, also Beteiligung an Rohstofflieferanten angesichts niedriger Börsenbewertungen derzeit große Chancen. Die Zeit drängt: Vor allem chinesische Investoren engagieren sich stark auf Rohstoffmärkten in Entwicklungsländern und sichern sich Einfluss durch Beteiligungen. Europa darf deshalb die Chancen für eine langfristige Sicherung der Rohstoffversorgung nicht verschlafen.
Andreas Oldag ist Korrespondent der "Süddeutschen Zeitung" in Großbritannien.