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Vattenfall ruft Weltbank-Schiedsgericht an - Kohlekraftwerksbau verteuert sich drastisch
Tuomo Hatakka ist viel herumgekommen in der Welt. Der Europa-Chef des schwedischen Vattenfall-Konzerns hat in sechs verschiedenen Ländern in und außerhalb Europas gearbeitet. Überall hat Hatakka erfahren, dass Geschäftspartner vertragstreu sind. Ausgerechnet in Deutschland musste der Finne andere Erfahrungen machen. Und weil diese Erkenntnis Vattenfall sehr teuer zu stehen kommt, zerrt der Konzern Deutschland erstmals vor das International Centre for Settlement of Investment Disputes (ICSID). Dieses Schiedsgericht der Weltbank beschäftigt sich mit Fällen, in denen Unternehmen um ihre Investitionen in fremden Ländern fürchten. Für gewöhnlich gehören "Bananenrepubliken" zu den Klienten des ICSID. Jetzt findet sich nach Simbabwe, Usbekistan oder Burundi auch die Bundesrepublik auf der Anklagebank. Ole von Beust, der Hamburger CDU-Bürgermeister, hatte Vattenfall im November 2007 die Genehmigung zum Bau des Kohlekraftwerks Moorburg erteilt. Die Hansestadt hatte Vattenfall sogar gebeten, größer zu bauen als ursprünglich geplant. Auf eine Leistung von mehr als 1.600 Megawatt sollte der neue Kohlemeiler ausgelegt werden.
Das war vor der Bürgerschaftswahl, als die CDU in Hamburg noch allein regierte. Nach der Wahl sah sich van Beust zu einer Koalition mit der Grün-Alternativen Liste (GAL) gezwungen, die heftig gegen den geplanten Bau im Hamburger Stadtteil Moorburg gefochten hatte. Die Grüne Umweltsenatorin Anja Hajduk steckte indes in rechtlichen Zwängen und musste den Bau schließlich freigeben - allerdings unter strengen Auflagen.
400 Millionen Euro hat Vattenfall an der Elbe nach eigenen Angaben verbaut. Zusätzliche Bauabschnitte und Anlagen für weitere 1,6 Milliarden bereits in Auftrag gegeben. Durch die Auflagen des schwarz-grünen Senats verteuert sich das Megaprojekt um 500 bis 600 Millionen Euro. Das ist auch für den viertgrößten deutschen Energiekonzern viel Geld. Und deswegen ruft Vattenfall nicht nur deutsche Zivilgerichte, sondern eben sicherheitshalber auch noch das ICSID in Washington an. Deutschland könnte von der Schiedsstelle zu Schadenersatzzahlungen aufgefordert werden. Der Kampf eines Energieversorgers für ein Großkraftwerk und Bürgerprotest dagegen wie in Hamburg sind kein Einzelfall. 2007 schon hatte im saarländischen Ensdorf ein Bürgerentscheid den Bau eines großen Kohlekraftwerks des RWE-Konzerns mit einem Investitionsvolumen von annähernd zwei Milliarden Euro gestoppt. In Bremen, Herne oder Köln wurden die Kraftwerks-Pläne beerdigt - weil sie deutlich teurer wurden als zunächst kalkuliert oder weil sie vor Ort auf klimapolitische Bedenken stießen. Zwar hegen Energieversorger landauf landab Baupläne für neue Kraftwerke mit einer Leistung von deutlich über 20.000 Megawatt. Ob sie aber jemals gebaut werden, ist unklar. "Der Neubau von Kohlekraftwerken wird zu einem ökonomisch kaum kalkulierbaren Investitionsrisiko", heißt es beim RWE-Konzern. Johannes Lambertz, Chef der RWE-Kraftwerkstochter, beklagt einen Investitionsstau von rund 30 Milliarden Euro durch Proteste von Bürgern und langwierige Genehmigungsverfahren.
Hans-Willy Bein arbeitet als Wirtschaftsjournalist unter anderem für die "Süddeutsche Zeitung" und für Regionalzeitungen.