REGENERATIVE ENERGIEN
Bohrungen in Baden-Württemberg zerreißen eine Stadt
Beim Rundgang durch das malerische Staufen überkommt den Stuttgarter FDP-Wirtschaftsminister Ernst Pfister ein "Gefühl von Traurigkeit". Dieter Ehret, Umweltpolitiker der liberalen Landtagsfraktion, zeigt sich "sehr erschüttert über das Ausmaß der Schäden". Angesichts der "Dramatik unserer Situation" (Bürgermeister Michael Benitz) spricht Paul Nemeth, Energiefachmann der CDU im Landesparlament, von einem "Rückschlag für die Geothermie". Allerdings warnen die Koalitionsabgeordneten wie auch SPD und Grüne davor, wegen des Desasters in dem südbadischen 8.000-Seelen-Ort eine Abkehr von der Erdwärme einzuleiten. "Es darf keinen Stopp für die Geothermie geben", fordert der SPD-Parlamentarier Gunter Kaufmann. Und Franz Untersteller, Energiepolitiker der Grünen, sagt: "Staufen stellt diese regenerative Energiequelle nicht in Frage."
Das Rathaus ist alarmiert über eine "tatsächliche Katastrophe", so eine Stellungnahme: Seit Ende 2007 hebt sich in der Altstadt die Erde monatlich um einen Zentimeter, bislang sind es schon fast 15 Zentimeter. Als Ursache werden Erdwärmebohrungen beim Bürgermeisteramt vermutet, das ökologisch korrekt mit geothermischer Energie beheizt werden sollte - sozusagen der Fluch der guten Tat. Ein beispielloses Debakel für die Geothermie in Deutschland.
Bei rund 170 Gebäuden haben sich an Wänden und Treppenhäusern, in Decken und Fußböden teils gravierende Risse gebildet, nicht zuletzt am historischen Rathaus. Die Grundbuchbehörde wird bereits ins benachbarte Bad Krozingen verlegt, Akten des Stadtarchivs lagern im Bauhof. Ein Auszug der restlichen Verwaltung ist nicht geplant, doch wird "vorsorglich ein Stufenplan für alle Eventualitäten erarbeitet". Mehrere Gebäude in der Altstadt müssen durch Stützmaßnahmen vorm Einsturz bewahrt werden. Im Gasthaus "Löwen" mit der legendären "Fauststube" wurde ein Laubengang aus Sicherheitsgründen abgetrennt. Gastronomen verstecken unschöne Spalten schon mal mit künstlichem Efeu. Die Schäden dürften in die Millionen gehen.
Inzwischen sind die Urlauberzahlen rückläufig. Stattdessen erlebt Staufen eine Invasion von Journalisten. In ganz Europa, selbst in den USA und China berichten Medien über das Spektakel im Markgräflerland. Da sind dann Schlagzeilen zu lesen wie "Eine Stadt spaltet sich" oder "Eine Stadt zerreißt".
Derzeit laufen Erkundungsbohrungen, die das Land fürs erste 300.000 Euro kosten und die genauen Aufschluss über die Ursache des Dramas geben sollen. Erste Zwischenergebnisse bestätigen eine in Fachbehörden kursierende Theorie: Bei den Bohrungen im Herbst 2007 wurden wohl in dem durch Bruchstellen und tektonische Verschiebungen geprägten Untergrund Staufens Verwerfungen produziert, in deren Folge Wasser in eine Anhydritschicht eindringt - derart wird Gips gebildet, der seither unaufhörlich aufquillt und den Boden wie einen Hefekuchen hochgehen lässt.
Der Schock im Südbaden passt natürlich nicht zum positiven Image der erneuerbaren Energien. Neben Wind, Sonne und Biomasse darf die Geothermie nicht fehlen, wenn Alternativen zu Atomkraft, Kohle und Öl propagiert werden. Erst unlängst haben das Bundesumweltministerium, die Kreditanstalt für Wiederaufbau und die Münchner Rück ein 60-Millionen-Kreditprogramm zur Förderung der Erdwärme aufgelegt. Im Prinzip ist die Geothermie eine gigantische Ressource, zum Erdinnern hin wird es alle 100 Meter um drei Grad wärmer. Nach diversen Studien kann in Deutschland mit dem Potenzial dieses Energieträgers mindestens die Hälfte des Elektrizitätsbedarfs gedeckt werden - theoretisch. Die größten Probleme liegen darin, dass viel Geld investiert werden muss, um Kenntnisse über die Realisierbarkeit von Geothermie-Projekten zu erhalten. Die geologischen Verhältnisse sind nur sehr schwer einschätzbar. Das hohe Anfangsrisiko scheuen viele Investoren. Dennoch hatten die Bergämter Ende 2006 rund 150 Erlaubnisse zur Untersuchung des Untergrunds für Geothermie-Projekte erteilt.
Indes warnte schon zum Jahreswechsel 2006/2007 der Schweizer Erdbebendienst: "Risikofreie Technologie zur Energiegewinnung gibt es nicht." Anlass für diese Mahnung war ein Fiasko der Geothermie in dem tektonisch fragilen Dreiländereck: Seinerzeit verursachte eine Welle von Erschütterungen mit Stärken über drei auf der Richterskala im Raum Basel Schäden von über fünf Millionen Euro. Ausgelöst worden waren die Beben durch ein Erdwärmeprojekt: Am Rheinknie wurde Wasser in 4.000 Meter Tiefe gepresst, um dort das heiße Gestein zu zerklüften - um später kaltes Wasser durchpumpen, erhitzen und nach Rückführung an die Erdoberfläche zur Strom- und Wärmegewinnung einsetzen zu können.
Trotz der Rückschläge hält der Landtag der Geothermie "mit ihrem hohen Potenzial" (Nemeth) die Stange. "Wägt man Nutzen und Risiken ab", so Kaufmann, "dann steht die Erdwärme viel besser da als Atomkraft und Kohle". Der SPD-Umweltpolitiker sieht keinen Änderungsbedarf beim Genehmigungsrecht. "Da ist alles ausreichend geregelt", meint auch CDU-Mann Nemeth: "Wir müssen allerdings bei der Erdwärme in der Forschung wie in der Praxis die Anstrengungen verdoppeln."
Bei der Prüfung konkreter Standorte, so die Auffassung im Parlament, sei mehr Sorgfalt vonnöten. Ehret: "Es sollte mehr geologischer Sachverstand hinzugezogen werden." Es sei vielleicht sinnvoll, in Regionen mit Anhydritvorkommen Bohrungen auf die Höhe des "Gipsspiegels" zu begrenzen, was aber die Wirtschaftlichkeit mancher Vorhaben in Frage stellen könne, so der Liberale. Auch aus Sicht des Landesamts für Geologie sollte das Anbohren von Gipsschichten tabu sein. Wie seine Kollegen ist der Grünen-Politiker Untersteller dagegen, in Gegenden mit Anhydritvorkommen einen generellen Bohrstopp zu verhängen. Außerhalb von Landschaftsschutzzonen, wo Geothermie verboten ist, wird unter 15 Prozent der Landesfläche Anhydrit vermutet. Untersteller plädiert dafür, das bei diversen Behörden zerstreute geologische Datenmaterial zusammenzuführen. "Wir bräuchten mal ein richtiges Erfolgserlebnis, ein Vorzeigeprojekt der Erdwärme", hofft Freidemokrat Ehret.