Für den griechischen Philosophen Eudoxos von Knidos (390 - 345 v. Chr) ist das Streben nach Lust (hedoné) ein zentrales Element menschlicher Existenz. Im Zeitalter der modernen Konsumgesellschaft scheint nun die Tätigkeit des Kaufens besonders geeignet zu sein, dem Lustprinzip Rechnung zu tragen. Wir wollen uns nun näher damit beschäftigen, was Konsum und Kaufen aus Sicht des (emotionalen) Gehirns bedeutet und ob es die oder den "Kauflustige(n)" überhaupt gibt. Beginnen wir zunächst mit Kaufentscheidungen ganz allgemein.
Wie fallen Kaufentscheidungen tatsächlich im Kopf? Offensichtlich nicht so, wie wir selbst und Konsumenten den Entscheidungsablauf im Kopf erleben. Über 70 bis 80 Prozent der Entscheidungen fallen nämlich unbewusst. Und: Die eigentlichen Machthaber sind jene Bereiche im Gehirn, die hauptsächlich mit der emotionalen Verarbeitung beschäftigt sind; diese Hirnbereiche werden als limbisches System bezeichnet. 1 Aber was versteht man unter Emotion? Vereinfacht gesagt sind Emotionen "Relevanz-Detektoren", die uns wissen lassen, was wichtig und bedeutend für uns ist." 2 Die wichtigsten Merkmale von Emotionen sind subjektives Erleben oder Gefühl; Veränderungen im Gesichtsausdruck; physiologische Prozesse in Gehirn und Körper; Valenz (Belohnung - Lust versus Bestrafung - Unlust); Erregungsstärke (Stärke der Emotion); teleonomische Funktionalität (Richtung und Ziel der Emotion).
Wichtig dabei ist, dass der wissenschaftliche Emotionsbegriff viel umfassender ist als der alltagspsychologische, der Emotionen erlebten Gefühlen gleichsetzt. Emotionen können nämlich auch ohne bewusstes Erleben wirksam sein.
Nun stellt sich die Frage, welche Emotionen oder Emotionssysteme es im Gehirn überhaupt gibt. In vielen wissenschaftlichen Werken werden sechs Basis-Emotionen proklamiert: Trauer, Überraschung, Freude, Ärger, Angst und Ekel. 3 Doch diese Betrachtung ist unzureichend, weil wichtige Emotionen fehlen und lediglich Emotionen mit Gesichtsausdruck Eingang in diese Aufstellung finden. Es gibt nämlich eine ganze Reihe von Emotionen, die ohne einen speziellen Gesichtsausdruck ablaufen. In einer mehrjährigen Forschungsarbeit wurden Erkenntnisse der Hirnforschung mit bestehendem Wissen der Psychologie und umfangreichen eigenen Untersuchungen 4 unter dem Namen Limbic® zu einem Emotions-Gesamtmodell verknüpft. Ziel war und ist es, ein Modell zu formulieren, das auf festem wissenschaftlichem Boden steht, aber gleichzeitig leicht verständlich und universell einsetzbar ist. Wie sieht nun das emotionale Betriebssystem im Konsumentenhirn genau aus? Abbildung 1 gibt einen Überblick.
Im Zentrum aller Emotionssysteme stehen die sogenannten physiologischen Vitalbedürfnisse wie Nahrung (inklusive Appetit/Ekel), Schlaf und Atmung. Mit diesen Bedürfnissen werden wir uns nicht weiter befassen. Neben diesen Vitalbedürfnissen gibt es drei große Emotionssysteme: das Balance-System (Sicherheit, Stabilität, Ordnung); das Dominanz-System (Macht, Autonomie, Status); das Stimulanz-System (Neugier, freudige Überraschung).
Im Laufe der Evolution haben sich zusätzliche Emotionssysteme im Gehirn entwickelt, die allerdings nicht ganz die Bedeutung der aufgezeigten Big 3 haben. Die wichtigsten sind Bindung (positiv: Geborgenheitsgefühl, negativ: Verlassenheitsgefühl) und Fürsorge (positiv: Liebe, negativ: Gefühl von niemandem gebraucht zu werden).
Eine Sonderrolle spielt die Sexualität, weil sie eigene biologische Ziele verwirklicht und gleichzeitig auf vorhandene Emotionssysteme zurückgreift. 5
Da die drei großen Emotionssysteme (inklusive Submodule) meist zeitgleich aktiv sind, gibt es Mischungen. Die Mischung von Dominanz und Stimulanz beispielweise ist Abenteuer, die Mischung aus Stimulanz und Balance Offenheit/Fantasie. Kontrolle und Disziplin schließlich ergeben sich aus der Mischung zwischen Balance und Dominanz. Die Limbic® Map in Abbildung 2 zeigt die Gesamt-Struktur der Emotionssysteme im Gehirn auf. Da auch Werte immer emotional sind, haben sie ebenfalls einen festen Platz auf der Limbic® Map.
Um Konsumverhalten zu verstehen, müssen wir zunächst folgende Frage beantworten: Warum kaufen wir bestimmte Produkte, beispielsweise Katzenfutter, eine Lebensversicherung, eine Bohrmaschine, eine Luxuslimousine oder ein TV-Gerät? Die Antwort ist einfach: weil Produkte immer einen emotionalen Grundnutzen haben. Das Katzenfutter wird aufgrund des Fürsorge- und Bindungsmoduls gekauft, das TV-Gerät ist zur (passiven) Unterhaltung da, mit dem Snowboard erleben wir Freiheit und Abenteuer, die Bohrmaschine erhöht unsere Effizienz und mit der Luxuslimousine demonstrieren wir Macht und Status. Abbildung 3 zeigt wo Produkte aufgrund ihrer emotionalen Generik auf der Limbic® Map anzusiedeln sind.
Nachdem wir nun etwas mehr über das Konsumverhalten allgemein wissen, stellt sich die Frage, ob es die bzw. den "Kauflustige(n)" überhaupt gibt? Das individuelle Konsumverhalten eines Menschen wird von verschiedensten Faktoren beeinflusst: kulturelle Einflüsse; konjunkturelle Einflüsse; individuelle Lebenserfahrungen; soziales Milieu; finanzielle Möglichkeiten usw.
Alle diese Faktoren sind wichtig - aber von zentralerer Bedeutung ist der Einfluss der Emotionssysteme. Damit kommen wir automatisch zu einer wichtigen Frage der Persönlichkeits- und Konsumpsychologie: Gibt es dauerhafte stabile Konsumpräferenzen und Entscheidungsmuster? Oder hängt das, was Kunden wünschen und wie sie entscheiden, letztlich nur von ihrer momentanen Stimmung oder Situation ab? In der Psychologie ist diese Frage längst beantwortet. Man unterscheidet hier nämlich zwischen "Trait" (das sind dauerhafte und stabile Persönlichkeitseigenschaften) und "State" (das sind die momentanen Stimmungen, die von der Tageszeit und aktuellen Situationen und Erlebnissen abhängig sind). Beide (emotionale) Aspekte spielen hinsichtlich des Konsumverhaltens eine wichtige Rolle. In guter Laune - denken wir etwa an einen schönen Urlaubstag - sind wir kauflustiger und geben mehr Geld aus; in ängstlicher Stimmung halten wir es zusammen.
Nun zu den stabileren Persönlichkeitseigenschaften: Viele aktuelle Forschungen zeigen, dass die übergreifenden emotionalen Persönlichkeitsstrukturen das menschliche Entscheidungsverhalten erheblich beeinflussen. 6 Man kann die emotionalen Persönlichkeitsstrukturen von Konsumenten grafisch darstellen. Alle Konsumenten haben zwar alle oben aufgezeigten Emotionssysteme, aber in unterschiedlicher individueller Stärke. Schauen wir uns dazu das emotionale Persönlichkeitsprofil eines prototypischen Konsumenten aus Sicht des Limbic® Ansatzes in Abbildung 4 an: Man sieht, dass das Stimulanzsystem stärker, das Balance-System schwächer ausgeprägt ist. Es lässt sich also konstatieren, dass dieser Konsument in seinem gesamten Entscheidungsverhalten eher neugieriger und lustorientierter ist. Er, so lässt sich vermuten, hat eine höhere Affinität zu Produkten, die das Stimulanzsystem im Gehirn aktivieren. Wichtig ist, dass es sich dabei um eine Wahrscheinlichkeitsverteilung über viele Kaufentscheidungen hinweg handelt.
Die meisten Konsumenten haben einen Schwerpunkt in der Ausprägung ihrer Emotionssysteme. Im obigen Beispiel ist es das Stimulanzsystem. Auf diese Weise lassen sich Konsumenten praxisnah typisieren: Der emotionale Persönlichkeitsschwerpunkt bestimmt die Typ-Zuordnung. Man muss sich dabei aber immer vor Augen führen, dass jede Typisierung immer eine Vereinfachung darstellt! Entsprechend dieser Hauptachsen kann man sieben Limbic® Typen festmachen. Diese 7 Limbic® Types (Abbildung 5) sind: - Harmonisierer (Hohe Sozial- und Familienorientierung; geringere Aufstiegs- und Statusorientierung); - Offene (Offenheit für Neues, Wohlfühlen, Toleranz); - Hedonisten (Aktive Suche nach Neuem, hoher Individualismus, hohe Spontaneität, geringe kognitive Auflösung); - Abenteurer (Hohe Risikobereitschaft, geringe Impulskontrolle); - Performer (Hohe Leistungsorientierung, Ehrgeiz, hohe Statusorientierung); - Disziplinierte (Hohes Pflichtbewusstsein, geringe Konsumlust, hohe kognitive Auflösung) und - Tradionalisten (Geringe Zukunftsorientierung, Wunsch nach Ordnung und Sicherheit).
Mit Hilfe des Limbic® Ansatzes hat die Gruppe Nymphenburg gemeinsam mit der Burda-Verlagsgruppe im Rahmen der "Typologie der Wünsche" (TDW) eine repräsentative Limbic® Type-Verteilung für Deutschland ermittelt. Basis der TDW-Untersuchung sind etwa 20 000 Personen, die in zweijährigem Rhythmus befragt werden. Dadurch ist es möglich, die Erkenntnisse der Hirnforschung mit konkretem Konsumverhalten zu verknüpfen. Schauen wir uns einige empirische Ergebnisse dazu an.
Bevor ein Konsument ein Produkt kauft, muss ihn ein Produkt überhaupt interessieren. Schon in diesem Bereich gibt es deutliche Unterschiede. Abbildungen 6a und 6b zeigen, wie unterschiedlich das Produktinteresse zwischen den verschiedenen Limbic® Types ist. Während Performer ein weit überdurchschnittliches Interesse an Autos haben, interessieren sich die Harmoniser weit mehr für Gesundheitsprodukte. Während also beim Performer ein Auto "Kauflust" auslöst, sind es beim Harmoniser Wellness- und Gesundheitsprodukte.
Oder nehmen wir das Beispiel Mode. Mode wird sehr stark von unserer Sexualität (Attraktivität) und unserem Wunsch getrieben, anders zu sein und aufzufallen (Stimulanz). Auch dieser Zusammenhang wird durch die Limbic Types®-Verteilung in Abbildung 7 sehr klar bestätigt. Die größten Modefreaks sind die Hedonisten - genauso deutlich: Die größten Modeverweigerer ist die Gruppe der (lustfeindlichen) Disziplinierten.
Was ist Luxus? Zunächst handelt es sich dabei um das, von dem man zu wenig hat. Ein vielbeschäftigter Manager empfindet es als Luxus, wenn er ein Wochenende komplett frei hat. Ein arbeitsloser Hartz IV-Empfänger wird Freizeit dagegen eher als emotionale Belastung empfinden. Aber Luxus hat noch andere Facetten: Was Produkte zu (teuren) Luxus-Produkten macht, ist in der Regel ihre Exklusivität und damit die Möglichkeit, mit der sichtbaren Produktverwendung Status zu beweisen (Dominanz-System). Die andere Seite der Distinktion ist der Individualitäts-Beweis (Stimulanz-System). Wie Abbildung 8 zeigt, haben deshalb Performer und Hedonisten eine hohe Affinität zu Luxusprodukten. Im Umkehrschluss wird auch klar, wer Luxus eher ablehnt: die Disziplinierten, die Traditionalisten und am Rande auch die Harmoniser.
Um sich etwas leisten zu können, braucht man Geld. Deshalb interessiert auch die Frage, ob es im verfügbaren Einkommen auch Unterschiede gibt, die mit der emotionalen Persönlichkeitsstruktur der Konsumenten in Zusammenhang stehen. Es überrascht nicht, dass die Performer die "Reichsten" und die Harmoniser die "Ärmsten" sind, zumindest, was das selbst erarbeitete Monatseinkommen betrifft (Abbildung 9). Der Grund ist klar: Performer sind ehrgeizig, wollen nach oben kommen, Karriere machen; Harmoniser tendieren demgegenüber zu einem gemütlicheren und stressfreieren Leben.
Wenn über emotionale Persönlichkeitsstrukturen von Konsumenten gesprochen wird, dürfen zwei wichtige Einfluss-Faktoren nicht vernachlässigt werden: Alter und Geschlecht. Insbesondere die neurochemischen Unterschiede und Veränderungen (Hormone, Neurotransmitter usw.) sorgen für Veränderungen der kognitiven Strukturen und emotionalen Persönlichkeitsausprägungen. Mit zunehmendem Alter nehmen das Dominanzhormon Testosteron und der Stimulanz-Neurotransmitter Dopamin stark ab. Dadurch lassen Neugier und Risikobereitschaft stark nach, Dominanz- und Stimulanzprodukte - wie Mode oder Sportgeräte - verlieren erheblich an Bedeutung (Abbildung 10a). Im Gegenzug nimmt die Konzentration des Stresshormons Cortisol mit dem Alter im Gehirn zu. Mit zunehmendem Alter steigt daher das Ausgabenverhalten für Produkte, die mit Sicherheit verbunden sind (Garten, Gesundheit) (Abbildung 10b).
Geschlecht: Es würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen, die vielfältigen Verknüpfungen zwischen sozialen, kulturellen und biologischen Geschlechtseinflüssen darzustellen. Besonders wichtig ist der unterschiedliche Mix der Sexualhormone bei Mann und Frau, denn diese haben einen enormen Einfluss auf die Motiv- und Emotionssysteme im Gehirn. 7 Im männlichen Hirn findet sich im Durchschnitt eine stärkere Konzentration der Sexualhormone Testosteron und Vasopressin. Testosteron beispielsweise verstärkt im emotionalen Gehirn das Dominanz-System und die benachbarten Felder Abenteuer und Disziplin/Kontrolle. Bei Männern ist deshalb eine weit überdurchschnittliche Präferenz für technische Produkte (Autos, Sportgeräte, Maschinen usw.) zu finden. Das weibliche Gehirn wird im Durchschnitt etwas stärker von Östrogen/Östradiol, Prolactin und Oxytocin bestimmt. Östrogen & Co verstärken das Balance-System, insbesondere aber die beiden Sozialmodule "Fürsorge" und "Bindung". Aus diesem Grund haben Frauen auch eine weit höhere Präferenz für Balance/Harmonie-Produkte (Wohnaccessoires, Wellness, Gesundheit). Natürlich sind diese Unterschiede auch auf Kultur und geschlechtsspezifischer Sozialisation zurückzuführen. Der weit größere Einfluss liegt aber in den hormonalen Auswirkungen auf die Emotionssysteme (Abbildung 11).
Fazit: Zwar gibt es Konsumententypen mit einer grundsätzlich höheren Affinität zum Konsum: die "Hedonisten". Ebenso treffen wir auf Typen, die den Konsum eher verweigern: die "Disziplinierten". Trotzdem ist "Kauflust" ein komplexes Phänomen, das neben sozialen und kulturellen Faktoren von der emotionalen Bedeutung von Produkten und neuropsychologischen Persönlichkeitsunterschieden entscheidend beeinflusst wird.
1 Vgl. Gerhard Roth, Fühlen, Denken, Handeln, Frankfurt/M. 2007; Hans-Georg Häusel, Think Limbic! Die Macht des Unbewussten, Planegg 2006.
2 Elisabeth Phelps, The study of
emotions in neuroeconomics, in: Paul Glimcher (ed.) Neuroeconomics
- Decision making in the brain, New York-London 2009, S. 682.
3 Vgl. Paul Ekmann, Emotions revealed,
London 2004.
4 Vgl. H.-G. Häusel (Anm. 1);
ders., Brain View - Warum Kunden kaufen, Planegg 2008.
5 Eine genaue und umfassende
wissenschaftliche Herleitung der Emotionssysteme findet sich in
H.-G.Häusel (Anm. 4).
6 Vgl. ebd.; Julius Kuhl, Motivation und
Persönlichkeit, Göttingen 2001; G. Roth (Anm. 1); Turhan
Canli (Hrsg), Biology of Personality and Individual Differences,
New York 2006.
7 Vgl. Gillian Einstein, Sex and the
Brain, Cambridge (Mass.) 2007.