BERNHARD HÖPER
Der Leiter der Welthungerhilfe in Indien hält die Entwicklungszusammenarbeit für wesentlich professioneller als früher
Herr Höper, Sie arbeiten seit mehr als 20 Jahren in der Entwicklungszusammenarbeit (EZ). Wie hat sie sich in den vergangenen Jahrzehnten verändert?
Da gibt es mehrere Entwicklungen. Zum einen ist sie systematischer geworden und schaut nicht mehr so stark auf das Einzelprojekt. Früher war man stark auf technische Zusammenarbeit fixiert, heute nimmt man mehr die größere Struktur in den Blick. Die Politik in einem Land und die Regierung werden ebenso berücksichtigt wie die Rechte der Beteiligten. Man muss zeigen, dass man etwas verändern und nachhaltige strukturelle Veränderungen erzielen kann.
Einen Staudamm zu bauen ist also einfacher?
Ich sag es mal provozierend: Die Zeit der Schauprojekte ist vorbei. Die EZ ist professioneller geworden und der Wettbewerb größer. Man muss heute etwas bringen, sonst kriegt man keine Akzeptanz, weil auch die Nehmerländer kritischer geworden sind. Früher gab es die Haltung: Lass die mal machen. Heute fragen die Nehmer sehr genau: Was bringt uns das? Man kann nicht mehr hingehen und Trostpflästerchen verteilen. Ein Projekt muss bedarfsgerecht sein.
Was bedeutet das konkret für Ihre Arbeit in Indien?
Heute gilt der Grundsatz: Alles was lokal gemacht werden kann, soll auch lokal gemacht werden. Statt selbst zu investieren, helfen wir eher unseren indischen Partnerorganisationen dabei, an Ressourcen und Geld heranzukommen, das die indische Regierung zur Verfügung stellt. In Indien dürfen wir per Gesetz gar nichts mehr allein machen - und das ist nicht schlecht. Es gibt eine gewachsene Zivilgesellschaft, die viel auf die Beine stellen kann, Partnerorganisationen, mit denen wir direkt zusammenarbeiten und die wir unterstützen.
Wozu braucht man dann überhaupt noch ausländische Entwicklungshilfe?
Selbst in einem Land wie Indien steht nicht alles zum Besten. Zwar macht Entwicklungshilfe hier nur 0,5 Prozent des Staatshaushaltes aus - im Gegensatz zu 40 Prozent in einigen afrikanischen Ländern. Aber auch hier gibt es noch viel zu tun. 46 Prozent der Kinder unter fünf Jahren sind unterernährt! Armutsbekämpfung ist noch immer das vorrangige Ziel der EZ, und dabei orientieren wir uns stark an den Milleniumszielen der Vereinten Nationen. Das ist die Marschrichtung, die man nicht aus den Augen verlieren darf.
Ist es nicht sinnvoller, sich auf Länder zu konzentrieren, denen wirklich die Ressourcen fehlen?
Das sehe ich nicht so. Es geht ja häufig darum, einen Blick von Außen auf die Probleme zu werfen und Ressourcen zu erkennen, die schwer zu sehen sind, wenn man Teil des Systems ist. Man kann Entwicklungshilfe als "embedded counseling" verstehen - als eine Beratungsleistung, für die man das System vor Ort sehr genau kennen muss.
Was bedeutet das für das Berufsbild des Entwicklungshelfers?
Man muss heute viel mehr interkulturelle Kompetenz mitbringen und flexibler sein als der klassische Techniker, der früher kam. Man muss im Team mit den Leuten vor Ort arbeiten können, denn sehr oft geht es gar nicht darum, etwas ganz Neues anzufangen, sondern bestehende Projekte zusammen zu bringen und zu vernetzen.
Können Sie dafür ein Beispiel geben?
Vieles, was früher unter dem Etikett EZ lief, ist heute in Indien wissenschaftliche Zusammenarbeit. Beispielsweise Projekte zur Energieeffizienz von Großkraftwerken, Luftreinhaltung, Müllentsorgung in den Großstädten und so weiter. Vieles kann man der Privatwirtschaft überlassen, so dass die EZ sich auf die konkrete Armutsbekämpfung konzentrieren kann.
Besteht da nicht die Gefahr, dass Großkonzerne sich lukrative Bereiche, wie etwa den Einzelhandel in Indien, sichern und das Armutsproblem der Mildtätigkeit ausländischer Organisationen überlassen?
Ja, es ist eine Gefahr, dass sich quasi Monopolstrukturen bilden. Wir müssen sehr darauf achten, dass es eine aktive Bürgerbeteiligung gibt und die Projekte auf Dorfebene auch funktionieren. Das macht unsere Arbeit so anspruchsvoll. Wenn wir beispielsweise die Schulbildung auf dem Land verbessern wollen, müssen wir sehr genau wissen, warum Lehrer nicht zum Unterricht kommen, und so weiter. Erst dann können wir Mechanismen entwickeln, dies zu verbessern. Man muss sehr viel Geduld mitbringen.
Werden ausländische Entwicklungshelfer heute mehr oder weniger akzeptiert als früher?
Das kommt darauf an. Die Deutschen haben hier noch immer einen sehr guten Ruf. Zugleich ist die EZ viel internationaler geworden. Es gibt viele Projekte, die von der Europäischen Union finanziert werden, die man nicht mehr einem bestimmten Land zuschreiben kann. Manchmal bin ich etwas erschrocken darüber, wie schnell wir unseren "Bonus" als Deutsche über Bord werfen.
Könnte Deutschland selbstbewusster auftreten?
Auf jeden Fall könnte das gute Image der Deutschen in Indien politisch mehr gepflegt werden. Es gibt ja eine historisch gewachsene Zusammenarbeit. Wir haben hier keine Kolonialgeschichte, das ist ein Vorteil. Allerdings bringt es das gute Image der Deutschen auch mit sich, dass man hundertprozentige Leistung von uns erwartet, vor allem wenn es um Technik geht.
Sie sind für Südasien zuständig - mit Ausnahme von Indien eine politisch sehr instabile Region. Welche Folgen hat das für die Entwicklungszusammenarbeit?
Das ist ein sehr wichtiges Thema. Früher haben sich einige Leute über Institutionen wie den zivilen Friedensdienst eher lustig gemacht. Heute wissen wir, dass man in Regionen, die politisch und sozial sehr stark polarisiert sind, erst einmal bestimmte Strukturen schaffen muss, bevor man mit der Arbeit anfangen kann. Ohne eine gewisse Kreativität ist Entwicklung nicht möglich.
Das klingt ein bisschen abstrakt...
Wir müssen uns um Themen wie soziale Ausgrenzung, Kasten, die Rechte der Frauen und so weiter kümmern, wenn wir etwas erreichen wollen. Vor allem müssen wir unsere eigene Rolle dabei reflektieren, damit wir nicht mehr Schaden anrichten als Nutzen.
Ist die Entwicklungszusammenarbeit selbstkritischer geworden?
Ja, ich denke schon. Seit der Paris-Deklaration von 2005, in der es um die Effektivität der Entwicklungshilfe geht, hat auf europäischer Ebene ein Umdenken stattgefunden. Die Eigenverantwortlichkeit der Partnerländer ist ein wichtiges Thema geworden, ebenso die Budgethilfe. Es ist zwar umstritten, den Regierungen der Nehmerländer direkte finanzielle Hilfen zu geben. Aber es ist eine wichtige Änderung. Zugleich ist jedoch auch die Verunsicherung gewachsen. Es gibt nicht mehr das eine Konzept, in dem steht: "Da wollen wir hin." Die Ziele müssen immer wieder mit den Partnerländern neu ausgehandelt werden. Sie müssen selbst ihren Weg finden.
Was halten Sie für das wichtigste Thema in Zukunft?
Inhaltlich sind es noch immer die Klassiker: Grundbedürfnisse wie Zugang zu Wasser, Ernährung und Bildung sollten im Zentrum der EZ stehen. Darüber hinaus meine ich, dass der freiwillige Sektor immer wichtiger wird. Viele Dinge laufen nur, wenn die Leute vor Ort sich dafür einsetzen. Um ein Beispiel zu geben: Man kann Altenpflege kommerziell organisieren - oder man kann versuchen, auf Gemeindeebene ein Modell zu schaffen, in dem die Leute sich füreinander einsetzen. Ich persönlich halte die innere Motivation der Beteiligten für besonders wichtig. Insbesondere, wenn es um "Hilfe zur Selbsthilfe" geht.
Das Interview führte Britta Petersen.
Bernhard Höper, 53, arbeitet seit 20 Jahren in der Entwicklungszusammenarbeit. Er war in unter anderem in Tansania und auf den Philippinen tätig, bevor er 2007 Leiter des Regionalbüros Südasien der Welthungerhilfe in Indien wurde.