ZUKUNFT DER HILFE
Mehr Mitsprache, weniger Abhängigkeit - die armen Länder fordern eine neue Balance
Wer die Folgen der Weltwirtschaftskrise auf der Südhalbkugel sehen will, der sollte nach Naivasha fahren, bis vor kurzem noch eine im wahrsten Sinn des Wortes blühende Stadt in der Mitte Kenias. Aus den rund um den gleichnamigen See verteilten Gewächshäusern wird Europa das ganze Jahr über mit Schnittblumen versorgt. Doch seit Europäer um ihre Jobs bangen, ist auch die Lage in Naivasha nicht mehr rosig. Die Stadt ist voll mit Arbeitsuchenden, rund um den See sind Slums entstanden. "Die Farmen werden 500.000 Arbeiter entlassen müssen, wenn sich die Lage nicht grundsätzlich ändert", prognostiziert der Chef des Arbeitgeberverbandes, Hashit Shah. "Das ist jeder dritte Angestellte." Dass die Regierung den entlassenen Landarbeitern hilft, die Krise zu überstehen, ist unwahrscheinlich. Die Staatskasse ist leer, auch deshalb, weil erwartete Steuereinnahmen ausgeblieben sind. "Wir brauchen mehr Hilfen aus den Industrieländern", fordert Parlamentssprecher Kenneth Marende. Anders lasse sich die Krise nicht bewältigen.
Schon jetzt versorgen Hilfsorganisationen in Kenia die meisten Kranken, weil die öffentlichen Hospitäler weder Ärzte noch Medikamente und oft weder Strom noch fließend Wasser haben. Die Vereinten Nationen und karitative Organisationen führen Präventionsprogramme für Aids, Malaria oder Tuberkulose durch, außerdem sorgen sie für Essen in den überfüllten Schulen, Frischwasser und Toiletten für die Slumbewohner, Nahrungsmittel für die Hungernden in Dürregebieten. All das wird aus Hilfsgeldern finanziert. 400 Millionen Euro Hilfe laufen durch den Staatshaushalt, das sind gut fünf Prozent. Dazu kommen von Nichtregierungsorganisationen verwaltete Hilfsprojekte, die vom Haushalt nicht erfasst werden, deren Wert aber ein Mehrfaches beträgt. Zu den Effekten der Hilfe gehört nicht zuletzt die Beschäftigung: Zehntausende Kenianer arbeiten für Hilfsorganisationen oder werden indirekt von ihnen bezahlt. Die Angst davor wächst, was passieren wird, wenn der Norden seine Entwicklungshilfe wie erwartet kürzt - zumal die Überweisungen von Verwandten aus dem Ausland, Kenias wichtigste Devisenquelle, seit Beginn der Wirtschaftskrise drastisch zurückgehen. Manch ein kenianischer Gastarbeiter kommt gar arbeitslos nach Hause zurück.
In anderen afrikanischen Ländern, von denen die meisten zu den am wenigsten entwickelten Staaten (LDCs) gehören, ist die Lage nicht anders. Die Weltwirtschaftskrise hat die Debatte über Entwicklungshilfe weltweit neu entfacht.Es sind es die ärmsten Nationen, die in der Krise die Weltbank derart unter Druck gesetzt haben, dass eine Kommission unter der Leitung von Mexikos Ex-Präsident Ernesto Zedillo nun über weitreichende Reformen berät. "Es ist doch mehr als ironisch, dass die Länder, die am wenigsten von der Globalisierung profitiert haben, jetzt unter dem Kollaps der Weltwirtschaft am stärksten leiden sollen", wettert Donald Kaberuka, der streitbare Chef der Afrikanischen Entwicklungsbank. Auf den Prüfstand soll vor allem die Frage, wer über die Mittel- und Kreditvergabe entscheidet: Bislang sind dies vor allem Vertreter reicher Geberländer. Die Entwicklungsländer fordern, dass sich das ändern soll.
Vordergründig hat die Krise zur Folge, dass Staats- und Regierungschefs armer Staaten selbstbewusster auftreten als bisher. Manche fordern gar, alle Hilfen in Budgetzuschüsse umzuwandeln, damit sie selber über die richtige Verwendung entscheiden können. Viele zivilgesellschaftliche Gruppen vermuten hinter solchen Forderungen Eigeninteressen und Korruption. Dass die G20-Staaten, zu denen auch Schwellenländer wie Südafrika und Brasilien gehören, in der Krise gegenüber der G8 deutlich an Bedeutung gewonnen haben, ist ein anderes Zeichen dafür, dass Veränderungen gewünscht sind. Allein, strukturell hat sich für die armen Staaten bislang nichts geändert: Sie werden zu beiden Gremien allenfalls als stille Beobachter geladen. Einige, die in der Krise immer mehr Gehör finden, wollen deshalb einen anderen Weg gehen: "Stoppt die Entwicklungshilfe", fordert etwa der Kenianer James Shikwati, dessen Interregionales Ökonomisches Netzwerk für die sofortige Abschaffung aller Hilfen streitet. "Hilfe macht Afrika auf Dauer abhängig und redet den Menschen hier ein, dass sie ihre Probleme nicht selbst lösen können." Shikwati fordert einen Mentalitätswechsel: "Weg vom Betteln, hin zum Selbermachen", sagt der gelernte Volksschullehrer und Self-made-Ökonom.
Die Sambierin Dambisa Moyo, deren Buch "Dead Aid" zum Bestseller avanciert ist, wettert: "Hilfe führt zu Korruption, sie manifestiert Abhängigkeiten und nährt eine Bürokratie, die auf die Verwaltung des Status quo ausgerichtet ist." Hilfsgelder, sagt sie, hätten die Armen noch ärmer gemacht. Sie fordert mehr ausländische Direktinvestitionen und einen besseren Zugang Afrikas zu den Kapitalmärkten. "Was würde passieren?", fragt Moyo. "Würden Millionen sterben? Wohl kaum - die Armen sehen von den Hilfsmillionen ohnehin kaum etwas." Für Hungersnöte, Überschwemmungen und andere Naturkatastrophen fordert sie Ausnahmen.
Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Kritiker wie Moyo nicht nur nach Lösungen, sondern auch nach Schuldigen suchen. "Menschen wie Bono oder Bob Geldof bestimmen doch die Wahrnehmung Afrikas viel mehr als wir Afrikaner", kritisiert die kenianische Analystin Rasna Warah. Dem Westen wirft sie Paternalismus vor: "Wenn Afrika überhaupt einen Partner für seine Entwicklungshilfe braucht, dann China, das 2004 gut 700 Millionen Euro in Afrika investiert hat und den Handel auf gleicher Augenhöhe vorantreiben will." Nicht nur China, auch der Iran, Russland und die Türkei setzen seit Jahren auf Direktinvestitionen, die mit den Regierungen verhandelt werden. Ihre Folgen - neue Straßen, Prachtbauten oder Stadien - sind in den afrikanischen Ländern gut sichtbar, während der ständige Kampf um einen Rückgang von Malariaopfern oder die Versorgung von Aids-Waisen in den Slums unter Ausschluss der Öffentlichkeit abläuft.
Warah und auch Moyo ziehen daraus die Schlussfolgerung, dass diese Art der Hilfe effektiver ist. Für den US-Professor Jeffrey Sachs, Berater von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon, ein gefährlicher Trugschluss. "Richtige Hilfe schafft keine Kultur des Bettelns", sagt er. "Einem armen Kind ein Moskitonetz gegen Malaria oder einen Klassenraum mit einem Computer zur Verfügung zu stellen, garantiert das Überleben des Kindes und ebnet ihm Chancen, eines Tages auf seinen eigenen Füßen zu stehen."
Dass mitten in der Krise in Afrika, dem ärmsten Kontinent der Welt, ein Streit darüber tobt, wie der Westen in Zukunft helfen soll, ist nicht paradox, sondern gut. Wenn aus der Krise eine Chance werden soll, muss man bereit sein, neue Wege zu beschreiten. Welche das sind, sollte möglichst breit diskutiert werden - und zwar in Afrika. "Die Debatte wurde allzu lange durch Vertreter des Westens beherrscht, die die Afrikaner nur allzu oft als inkompetent und hilflos portraitierten", resümiert die ehemalige Entwicklungshilfeministerin der Niederlande, Eveline Herfkens, die inzwischen die Millenniumskampagne der Vereinten Nationen leitet. "Es ist höchste Zeit, den zugrundeliegenden Mythos der westlichen Überlegenheit anzugreifen, der da lautet: Wir lehren, ihr hört zu. Wir geben, ihr empfangt." Nur wenn die Afrikaner anstelle der Geber ihre eigene Entwicklungsstrategie entwürfen, so Herfkens, könnten sie Hilfsgelder produktiv nutzen. Eine Reform der Entwicklungshilfe hält sie für dringend notwendig.
Die Debatte ist im Gang - so heftig, wie es vor einem Jahr noch niemand für möglich gehalten hätte.
Der Autor arbeitet als freier Journalist in Nairobi.