ELEKTROMOBILITÄT
In den Verkehr ohne Abgase werden viele Hoffnungen gesetzt
Im Jahr 1899 dominierten Elektroautos die Straßen New Yorks. Sie galten als sicher und elegant, hatten jedoch einen Nachteil: Man kam nicht allzu weit mit ihnen. Darauf jedoch kam es den ersten Autofahrern - die Landpartien und komfortable Reisen unternehmen wollten - gerade an, und so verdrängten die Benzinautos, kaum, dass sie verfügbar waren, die Elektrowagen. Doch derzeit scheint alles darauf zu deuten, dass die surrenden Gefährte ein Comeback erleben könnten: Zwischen 2010 und 2013 wollen fast alle Hersteller anfangen, Elektroautos zu bauen - in großen Stückzahlen. Kein Feinstaub, kein Kohlendioxyd, kein Ölverbrauch. Kein Wunder also, dass Politiker große Hoffnungen an die Technik knüpfen: Nach den USA, Großbritannien, Frankreich, Japan und China hat jetzt auch die deutsche Regierung beschlossen, Strom im Tank zu fördern und dazu am 19. August den "Nationalen Entwicklungsplan Elektromobilität" beschlossen. 500 Millionen Euro aus dem Konjunkturpaket II sollen investiert werden.
Die Elektromobilität sei der "Traum vom Individualverkehr ohne Abgase", sagte Bundeswirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CDU) bei der Vorstellung des Entwicklungsplanes, ergänzte aber zugleich: "Vor dem Traum stehen Realitäten". Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) konstatierte: "Wir stehen vor einer Zeitenwende".
Bis dahin könnte es allerdings doch noch eine Weile dauern. Denn, so Claudia Kemfert, Energieexpertin vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) weiß: "So schnell wird der Umstieg nicht gelingen." 30 Jahre dürften ins Land gehen, eher ein großer Teil der alten Wagen gegen CO2-freie Fahrzeuge ausgetauscht ist. In dieser Zeit müssen Ladestationen und neue Ablesesysteme installiert, Batterien und neue Autos entwickelt und auf den Markt gebracht werden. Entsprechend eilig hat es die Bundesregierung nun: 2020 soll das Land zum Leitmarkt für Elektromobilität werden. Damit das überhaupt klappen kann, muss die Politik mit Automobilindustrie, Chemie und Energieversorgern an einem Strang ziehen. Das ehrgeizige Ziel: Das Elektroauto soll nicht nur unabhängig vom Öl machen, sondern es soll auch alternativen Energien zum Durchbruch verhelfen. Denn seine Batterien sollen hauptsächlich mit überschüssigem Strom aus Windkraftanlagen. Die Batterien der Elektroautos könnten hier nicht nur Entlastung schaffen - bleibt der Wind einmal aus, könnten die Energieversorger sogar auf die Batterien zur Stützung der Netze zurückgreifen. Der Entwicklungsplan hat daher zwei Schwerpunkte: Zum einen soll die in Deutschland weitgehend vernachlässigte Batterieforschung gefördert werden. Das Ziel: Den Preis für eine Kilowattstunde gespeicherten Strom von derzeit rund 1000 Euro auf 300 bis 500 Euro zu drücken und die Reichweite der Batterien zu erhöhen. Zum anderen sollen die Autos ins Stromnetz eingebunden werden. Dafür brauchen sie vollkommen neue Stromzähler, die Energieversorger nicht nur ablesen, sondern auch ansteuern können. In gewissen Grenzen würden RWE, Eon, Vattenfall und EnBW, aber auch die Stadtwerke dann - abhängig vom jeweils produzierten Windstrom - selbst bestimmen, wann die Akkus geladen werden und wann nicht. 500 Millionen Euro für diese Ziele erscheinen wenig vor dem Hintergrund, dass für die diesjährige Abwrackprämie Milliarden zur Verfügung standen.
Immerhin aber fließen auch andere Gelder in die Elektromobilität: So hat das Bundesforschungsministerium etwa 60 Millionen Euro für die Entwicklung von Lithium-Ionen Batterien bereit gestellt - im Gegenzug bringt die Industrie 360 Millionen Euro auf. Auch in anderen Bereichen wie bei der Entwicklung von Energiemanagementsystemen und bei Programmen zur Einbindung von Elektroautos ans Stromnetz soll es einen Finanzierungsmix von Bund und Industrie geben. Insgesamt sollen für die Entwicklung der Elektromobilität insgesamt gut 1,5 Milliarden Euro ausgegeben werden können.
Anders als heute wird man deshalb als Autokäufer im Jahr 2020 bei den Elektroautos zumindest zwischen einer ganzen Reihe verschiedener Modelle auswählen können. Doch soll sich das Elektroauto schnell durchsetzen, müsste die Bundesregierung den ersten Käufern wahrscheinlich noch finanziell unter die Arme greifen: Die Batterien für die Elektroautos sind mit einem Preis zwischen 10.000 und 15.000 Euro derzeit noch so teuer, dass zum Beispiel der kompakte iMiev von Mitsubishi zunächst rund 34.000 Euro kosten wird. In Japan soll der Käufer dieses Wagens von der Regierung umgerechnet 11.000 Euro als Zulage erhalten. Wohnt er in Tokio, will die Regionalverwaltung noch einmal 4.000 Euro drauflegen. Damit müsste der Käufer kaum mehr zahlen als für einen gut ausgestatteten Kompaktwagen. Mitsubishi plant, ab 2010 30.000 iMiev-Elektroautos im ersten Jahr zu verkaufen. Renault hofft sogar 2012 rund 100.000 Wagen verkaufen zu können.
In Deutschland sollen nach den Plänen der Bundesregierung bis 2020 eine Million Elektroautos auf den Straßen surren. Über Subventionen für Autokäufer soll erst nach der Bundestagswahl entschieden werden. Für ein Markteinführungsprogramm für Elektrofahrzeuge sprach sich auch die Vorsitzende des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft Hildegard Müller aus: Sie sei überzeugt, sagte Müller, dass "Elektromobilität auf lange Sicht einen sinnvollen und wichtigen Beitrag für eine nachhaltige Mobilität leisten kann". Elektrofahrzeuge mit Batterien böten zudem die Option, für eine bessere Integration der zunehmenden Einspeisungen aus erneuerbaren Energien. Der Verkehrsclub Deutschland (VCD) kritisierte den nationalen Entwicklungsplan Elektromobilität hingegen als zu unkonkret. "Die Bundesregierung weckt mit ihrem Entwicklungsplan falsche Erwartungen beim Verbraucher", sagte Werner Korn vom Bundesverband des VCD. Die Automobilindustrie, so der VCD, biete derzeit kein einziges elektrisch betriebenes Serienfahrzeug an.
In Deutschland rollen zur Zeit rund 50 Millionen PKW über den Asphalt. Jedes Jahr werden mehr als drei Millionen Fahrzeuge neu zugelassen. Elektroautos wären da nur ein Tropfen auf dem heißen Stein: Selbst wenn alles wie geplant laufen würde, machten sie nur knapp zwei Prozent des erwarteten Fahrzeugbestands in zehn Jahren aus. Zudem würden die meisten Elektrowagen Stadtautos sein - wie zu Beginn des automobilen Zeitalters. Die fahren aber nur kurze Strecken, es ließe sich also vergleichsweise wenig Benzin oder Diesel durch Strom ersetzen.
Ohne einen Masterplan wird sich das Elektroauto auf dem Markt daher kaum schnell durchsetzen, ist Weert Canzler vom Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) überzeugt. "Aber man könnte es mit dem Öffentlichen Nahverkehr verknüpfen," schlägt der Verkehrsexperte vor. Elektrifizierte Carsharing-Flotten, deren Autos ein Bus- oder Bahnfahrer mit einem Fahrschein benutzen könnte, wären ein idealer Einsatzort für die ersten Elektrowagen.Mobilitätskonzepte, die Autofahrer dazu animieren, den Wagen stehen zu lassen und stattdessen zu Fuß, mit dem Fahrrad, der Bahn oder dem Bus zum Ziel zu gelangen, könnten dem Klima tatsächlich mehr helfen als der Versuch, möglichst viele Elektroautos zu verkaufen. Doch bis heute hat sich keine Technik durchgesetzt, die mit dem Auto konkurrieren und Menschen kohlendioxydfrei zum Ziel befördern könnte.
"Mobilität ist Verkehr, und Verkehr ist das Auto", fasst Karl Otto Schallaböck vom Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie die Entwicklung zusammen. Und aufgrund des wachsenden Verkehrs - zu dem aber auch der LKW-Verkehr zählt - steigt der Anteil am CO2-Ausstoß. Derzeit liegt er bei 20 Prozent des Gesamtausstoßes. Um diesen Anteil zu senken, müsste die Politik viel mehr tun, als auf das Elektroauto zu hoffen, ist Karl Otto Schallaböck überzeugt: "Wir bräuchten gesetzliche Obergrenzen für den Verbrauch von Neuwagen - das würden schneller den Kohlendioxydausstoß senken." Und ist sich sicher: "Ein Tempolimit auf Autobahnen würde in den nächsten Jahren 50 mal mehr bringen als Elektroautos."
Der Autor ist Wissenschaftsjournalist in Köln.