NACHHALTIGES WIRTSCHAFTEN
Wer die Umwelt schützen will, muss auch in die Menschen investieren
Ein Begriff eint die Nation: Nachhaltigkeit. Alle politischen Parteien machen sich den Begriff zu eigen, desgleichen Wirtschaftsunternehmen von A wie ABB bis Z wie ZF. Die Verbraucherzentralen fordern nachhaltigen Konsum, die Umweltverbände nachhaltigen Konsumverzicht, die Industrie nachhaltiges Wachstum, die Gewerkschaften nachhaltige Lohnerhöhungen. Sonntagsreden, Parlamentsanträge und Eingaben um Forschungsgelder sollten den Terminus am besten mehrmals bemühen, wenn ihnen denn Aussicht auf Erfolg beschieden sein soll. "Nachhaltigkeit klingt so natürlich, so biologisch, so ökologisch", schrieb unlängst Hubert Markl, der ehemalige Präsident der Max-Planck-Gesellschaft:"Da unklar genug ist, was es eigentlich bedeuten soll, können sich von Wirtschaft und Wissenschaft bis zu Politik und Kirchentagen alle darauf einigen."Da wüsste man schon gerne, was das für eine mitreißende Idee ist, die lokal und global befördert werden soll.
Mit der Nachhaltigkeit ist es wie mit dem lieben Gott: Keiner weiß so genau, was er sich darunter vorzustellen hat, aber alle sind sich einig, dass man nicht darauf verzichten sollte. Der Begriff ist so besehen eine Leerformel für das Wahre, Schöne und Gute - ein Heilsversprechen, gegen das erst einmal nichts einzuwenden ist, weil es ein positiv-nebulöses und somit konsensfähiges Ziel vorgibt. So war das ja auch mit der Idee der "sozialen Marktwirtschaft", die in ähnlicher Weise eine sinnstiftende Funktion erfüllte - und mit der das Land gut gefahren ist. In beiden Begriffen steckt das Ausgleichende, das Konsensuale, das Maßvolle und Dauerhafte, das dem deutschen Wesen offenbar besonders entgegen kommt. Und das nicht erst seit heute: "Für augenblicklichen Gewinn verkaufe ich die Zukunft nicht", wusste schon im 19. Jahrhundert der deutsche Technik-Pionier und Unternehmer Werner von Siemens, ohne dafür einen Ethik-Beauftragten oder einen Katalog mit Nachhaltigkeits-Indikatoren zu benötigen. In Zeiten der Finanzkrise, in denen Schulden mit noch mehr Schulden bekämpft werden, erscheint solch kluge Selbstbeschränkung plötzlich wieder sehr modern.
Der Begriff Nachhaltigkeit - und das ist die andere Seite der Medaille - transportiert für Viele auch die Sehnsucht, alles möge bleiben wie es ist. Die Angst vor Veränderung und ein tiefes Misstrauen gegen das Neue erscheinen uns ebenfalls in diesem Gewande. Nachhaltigkeit wird dann beispielsweise gegen neue Technologien und Globalisierung in Stellung gebracht. Doch das Festhalten am althergebrachten ist auf Dauer überhaupt nicht nachhaltig. Um die Ambivalenz des Begriffes zu verstehen, ist es hilfreich, sich seine Entstehungsgeschichte in Erinnerung zu rufen. Das Wort kommt ursprünglich aus dem Waldbau und meint dort, dass man nicht mehr Holz einschlagen solle als nachwächst oder aufgeforstet wird. Dies ist - um einem verbreiteten Missverständnis vorzubeugen - kein natürliches, sondern ein unnatürliches Prinzip. Die Natur selbst hat keine Ahnung von Nachhaltigkeit. Sie setzt auf ein anderes Erfolgsprinzip: die Evolution, also die permanente Veränderung. Wald dehnte sich im Verlauf der Erdgeschichte immer wieder aus oder schrumpfte, 98 Prozent aller jemals auf der Erde existenten Arten sind ausgestorben, bevor der Mensch überhaupt auf der Bildfläche erschien.
Die Krisen, in denen die Menschen an die Grenzen des Wachstums stießen, konnten bislang immer nur durch Veränderung, menschlichen Erfindungsgeist und Einsatz neuartiger Technik gelöst werden. Doch oft herrscht die Vorstellung: Man muss die vorhandenen Ressourcen nur gleichmäßig verteilen und ihren Verbrauch reduzieren, dann wird alles gut. Aber Ressourcen sind entweder endlich oder sie sind es nicht. Erdöl lässt sich nicht nachhaltig verbrennen. Grenzen ziehen genügt eben nicht, es müssen auch die Spielräume erweitert werden. Alte Ressourcen werden irgendwann überflüssig und neue treten auf den Plan, die wir möglicherweise noch gar nicht kennen. Hubert Markl formulierte das in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" so: "Wer wirklich für mehr Nachhaltigkeit sorgen will, muss vor allem dafür Sorge tragen, dass - und zwar nachhaltig - der sich schnell globalisierenden Wirtschaft in unseren hochentwickelten Volkswirtschaften genügend forschende Naturwissenschaftler und Ingenieure zur Verfügung stehen werden." Und er fügt hinzu: "Denn der wichtigste, der tatsächlich völlig unentbehrliche nachwachsende Rohstoff ist der vernünftige Mensch selbst." Dass die Prioritäten häufig nicht ganz optimal gesetzt werden, mag folgendes Beispiel veranschaulichen: Auf vielen deutschen Schuldächern wurden im Namen der Nachhaltigkeit für viele Millionen Euro Solarzellen installiert. Das ist schön, doch Solarzellen sind eine teure Form, um regenerative Energie zu erzeugen. Unter dem Schuldach fallen derweil Stunden aus, es herrscht Mangel an Lehrern und vielfach auch an modernen Lehrmitteln. Die wichtigste und langfristig auch effizienteste - also im wahrsten Sinne des Wortes nachhaltige - Ressource wird somit vernachlässigt: die Köpfe unserer Kinder.
Innerhalb eines Schulgebäudes zeigen sich so die beiden Pole, zwischen denen sich die Diskussion um die Nachhaltigkeit bewegt: Einerseits eine eher statische Vorstellung von Nachhaltigkeit, bei der man Zukunft in erster Linie als Energiesparvariante der Gegenwart sieht. Sie ist aus diesem Grund eher auf Bestandswahrung fixiert. Die dynamische und evolutionäre Herangehensweise setzt hingegen auf Bestandserweiterung, die durch den Erfindungsgeist der künftigen Generationen möglich wird. Es könnte ja unter dem Schuldach ein kleiner Einstein heranwachsen, dem etwas noch viel besseres als Solarzellen einfällt. Das ist zugegeben die optimistischere Variante. Für junge Menschen dürfte sie allerdings auch die attraktivere sein.
Der Autor ist Publizist und war bis
1993 Chefredakteur der Zeitschrift "natur".