HRE-AUSSCHUSS
Der ganz große Skandal wurde nicht aufgedeckt. Eine Konsequenz deutet sich dennoch an: Die Bankenaufsicht muss reformiert werden
Diese Rechnung ist noch offen. Einfach versanden kann der Konflikt zwischen Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) und seinem Staatssekretär Jörg Asmussen einerseits und Jochen Sanio, dem Chef der Bankaufsicht Bafin, andererseits wohl nicht.
Den Untersuchungsausschuss, der die Vorgänge um die mit rund 90 Milliarden Euro öffentlichen Garantien gestützte Hypo Real Estate (HRE) durchleuchten soll, hat Sanio mit markigen Worten über die desolate Lage des Instituts schon vor dessen dramatischer Rettung mit Steuergeldern im Herbst 2008 überrascht: Bereits seit der Übernahme der mit einem riskanten Geschäftsmodell hantierenden irischen Bank Depfa im Herbst 2007 habe die HRE in der "Falle" gesessen, in der "Todeszone" agiert, das HRE-Finanzierungskonzept sei ein Schneeballsystem gewesen, mangels Kompetenzen habe die Bafin aber nur "nebenan" gesessen und nicht eingreifen können.
Kein Wunder, dass Volker Wissing (FDP), Axel Troost (Die Linke) und Gerhard Schick (Grüne) am 19. und 20. August Steinbrück, Asmussen und Jens Weidmann, dem Wirtschaftsberater von Kanzlerin Angela Merkel, als letzten Zeugen im Ausschuss Sanios knallige Thesen vorhielten, Wissing zitierte auch den Verriss der HRE als "Saustall": Der Bafin-Präsident gilt der Opposition als Kronzeuge für ihre Kritik, die Regierung hätte über die Gefährdung der Bank schon vor der Pleite von Lehman Brothers Mitte September 2008 als auslösendem Faktor des Beinahe-Kollaps der HRE unterrichtet sein und deshalb aktiv werden müssen. Troost hielt dem Finanzressort vor, gleichwohl von der bedrohlichen Lage der HRE "keine Ahnung" gehabt zu haben, Schick bemängelt eine Verletzung der "Sorgfaltspflichten".
Steinbrück und Asmussen konterten kühl, ihnen gegenüber habe sich Sanio derart nie geäußert. Der SPD-Minister: "Wenn der Bafin-Präsident der Meinung war, dass die Lage der HRE so schlecht ist, dann hätte ich von ihm erwartet, dass er dies auch deutlich macht." Hat Sanio also ein frühzeitiges Eingreifen des Staates bei der HRE und damit eine zumindest geringere Belastung der öffentlichen Hand verhindert? Oder erinnern sich Steinbrück und Asmussen nicht mehr so recht? Die Klärung dieser Fragen ist zentral für den Untersuchungsausschuss. Man darf gespannt sein, wie dessen Sachstandsbericht ausfallen wird, der in der Woche vor der Wahl veröffentlicht werden soll.
Der Konflikt zwischen Steinbrück und Sanio ist brisant, beleuchtet aber auch die wahrscheinlich bedeutsamste Erkenntnis aus der Vernehmung von 38 Zeugen in 22 Sitzungen: Die Bankenaufsicht muss reformiert werden. Ansonsten erscheint die Arbeit des Gremiums wenig spektakulär. Ein dicker Skandal oder gravierende Fehler der Regierung wurden nicht aufgedeckt. Die einst von der Opposition lautstark erhobene Forderung nach Asmussens Entlassung erklang am Schluss recht leise.
Insofern kann sich SPD-Obfrau Nina Hauer, die oft mit eher rhetorischen Fragen an die Zeugen Steinbrücks Ministerium zu verteidigen suchte, entspannt zurücklehnen. Zwischenzeitlich schien es so, als wolle die Union um Obmann Leo Dautzenberg dem SPD-geführten Ressort wegen vermuteter Unprofessionalität am Zeug flicken. Doch diese Kritik ist verblasst, seitdem Weidmann betont hat, Ministerium und Kanzleramt hätten ihr Vorgehen stets "abgestimmt". Dies gelte nicht zuletzt für das erste "Rettungswochenende" Ende September 2008, als Regierung und private Banken ein 35-Milliarden-Euro-Paket zur Stabilisierung der strauchelnden HRE schnürten. Dass der Finanzsektor 8,5 Milliarden Euro beisteuerte, verbuchen Steinbrück, Asmussen und Weidmann als Erfolg.
Für das Publikum war es zweifelsohne interessant, Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann dabei zuzuhören, wie er die Dramatik dieses Pokers schilderte: Als es eigentlich "schon vorbei" war und das Aus der HRE besiegelt schien, sei dann nach Mitternacht doch noch aus Berlin von Merkel telefonisch das Ja zu Staatshilfen gekommen. Das 35-Milliarden-Paket war im Übrigen bald Makulatur: Rasch kamen 15 Milliarden hinzu. Inzwischen sind es rund 90 Milliarden Euro, der Staat hat bei der HRE das Sagen und der Liquiditätsbedarf steigt weiter, wie sich in der vergangenen Woche zeigte.
Wurden also die mit Verve gestarteten oppositionellen Herausforderer ausgeknockt? So denn doch nicht. Hinter dem Debakel der HRE steht die Schieflage der Depfa. Die irische Tochter praktizierte ein waghalsiges Geschäftsmodell: Langfristige Engagements bei der Staatsfinanzierung wurden bewerkstelligt, indem riesige Summen kurzfristig auf dem Kapitalmarkt aufgenommen wurden - was lange Zeit profitabel florierte. Dann ging Lehman pleite, weil die US-Regierung eine Stützung ablehnte, für Steinbrück die "teuerste Fehlentscheidung des 21. Jahrhunderts". Der Interbankenmarkt trocknete aus, die Depfa bekam kein Geld mehr.
Vor Sanio erläuterten auch Fachleute von Bundesbank und Bafin, dass die Depfa und damit die HRE-Mutter schon seit Frühjahr 2008 mit massiven Liquiditätsproblemen zu kämpfen hatte. Die Opposition konfrontierte Steinbrück, Asmussen und die anderen Zeugen immer wieder mit diesen bedenklichen Erkenntnissen. Ob er denn wisse, dass die HRE seit März 2008 der Bafin täglich über die Liquiditätslage berichten musste, fragte Wissing den Minister. Gerhard Schick verwies darauf, dass die Liquidität der HRE bereits lange vor dem Lehman-Fiasko nur auf kurze Sicht gewährleistet gewesen sei: Dies hätte das Ministerium alarmieren müssen. Troost monierte, dass keine Risikoszenarien durchgespielt worden seien, weshalb Berlin auf das HRE-Fiasko unzureichend vorbereitet gewesen sei.
Das Regierungslager lies sich freilich nicht aus der Ruhe bringen: Das Desaster der HRE sei allein durch die Lahmlegung des Interbankenmarkts nach dem Ende von Lehman verursacht worden. Trotz aller Probleme sei die Liquidität der HRE bis September gesichert gewesen. Deren Situation, so Steinbrück, sei "angespannt, aber beherrschbar" gewesen. So bilanzierten die Berichte der Bafin an das Ministerium die Lage der Bank. Auf die "undenkbare" Lehman-Pleite sei niemand vorbereitet gewesen, sagte der Minister: "Das hätte bis zu diesem Zeitpunkt in keinem Planspiel vorkommen können."
Dieser Streit zwischen Opposition und Regierung wiederholt sich während vieler Sitzungen. Es ist eine Frage der politischen Bewertung, ob die frühzeitig zu beobachtenden Kalamitäten von HRE und Depfa für den Absturz nach dem Aus für Lehman eine Rolle spielten oder nicht. Und ob Berlin deshalb schon vorher hätte tätig werden müssen. Auch das "Rettungswochenende" dürften Union und SPD sowie FDP, Linke und Grüne im Sachstandsbericht kontrovers beurteilen: Haben Merkel, Steinbrück, Asmussen und Weidmann im Interesse der Steuerzahler professionell das Beste aus der verfahrenen Lage gemacht - oder ließ man sich von den Banken über den Tisch ziehen? Berlin habe "knüppelhart" verhandelt, sagte Klaus-Peter Müller, damals Präsident des Bundesverbands deutscher Banken.
Jenseits des Parteienstreits aber wird als zentrale Erkenntnis des Ausschusses das Plädoyer für eine Verbesserung der Bankenaufsicht auf der Tagesordnung bleiben. Selbst Vertreter des Finanzsektors wie etwa Müller verlangen mehr Kompetenzen für die Kontrolleure. Als Kern einer Reform zeichnet sich die Forderung ab, die Bafin solle künftig auch Geschäftsmodelle von Banken durchleuchten und eventuell mit Auflagen versehen oder gar untersagen können. Auch für Steinbrück ist eine solche Regelung "mehr als diskussionswürdig". Und in der Tat: Hätte es das riskante Konzept der Depfa nicht gegeben, wäre das HRE-Debakel wohl weniger schlimm ausgefallen. Mehr Macht für die Bafin: Eine Aufgabe für den nächsten Bundestag.