Überall sitzen junge Männer mit langen Haaren. Dieser Einheitslook fällt als erstes auf, wenn man durch die Großraumbüros streift. Auf den Tischen stapeln sich neben den Tastaturen gelbe und grüne Plastikgewehre, an den Wänden hängen Figurenskizzen, Galerien von Monstern, die alle eine Ähnlichkeit mit Wirbellosen haben. Auf den Bildschirmen drehen sich bizarre Fantasiewelten, ein Mitarbeiter fummelt gerade an einem kopflosen braunen Wesen herum, das aussieht wie eine braune Socke. Hier ist es also, das Schlaraffenland für Computerfreaks.
"Es ist noch ein bisschen leer hier", sagt Bernd Beyreuther und schwenkt seinen Arm einmal quer durch den Raum. Der 39-Jährige ist einer der Gründer von "Radon Labs", einer der erfolgreichsten deutschen Computerspielfirmen. Sie sind erst vor einem halben Jahr hier in den sechsten Stock gegenüber vom Berliner Alexanderplatz gezogen, es war so viel zu tun, fürs Einrichten war einfach noch keine Zeit. "Aber immerhin haben wir unsere Spielekonsolen aufgebaut", fügt er hinzu, "unsere Leute müssen ja auch ausprobieren, was sie entwerfen".
"Unsere Leute", das sind 90 Mitarbeiter, Grafiker, Programmierer, Buchhalter, die ganze Bandbreite. Und das bekannteste, was sie derzeit entwerfen, ist die Welt von "Drakensang", ein Rollenspiel im Universum von "Das Schwarze Auge". Es ist eine friedliche, gemütliche Fantasy-Welt, alles versehen mit einem Hauch von Caspar David Friedrich-Romantik. Teil Zwei ist nun erschienen, ein Add-On ebenfalls, das Spiel ist ein Erfolg. "In dem Spiel fließen 20 Jahre Erfahrung zusammen", sagt Beyreuther, der an der Filmhochschule Potsdam Trickfilmzeichnen studierte, und schon immer "fiktive Welten beleben wollte".
Lange arbeiteten sie, wie in der Branche üblich, von Projekt zu Projekt; seit sie die Nachwehen der geplatzten New Economy zu spüren bekamen, haben sie sich breiter aufgestellt, entwerfen nun auch Pferdespiele, Spiele zu Fernsehserien, Lernspiele für Schulbuchverlage. Mittlerweile machen sie 3 bis 4 Millionen Euro Umsatz jährlich, 20 Projekte laufen parallel. Es gibt viel zu tun, das sieht man auch an Beyreuthers tiefen Augenringen. In der Zeit des Umbruchs wurde deutlich, dass ihrer Branche eine Interessenvertretung fehlte. Sie gründeten "G.A.M.E" mit, den heutigen Bundesverband der Computerspielentwickler. Die Szene professionalisierte sich, wurde ernster genommen.
Sie sind nichts weniger als Computerspiel-Pioniere, Beyreuther und seine Schulfreunde André Weißflog und André Blechschmidt, die Köpfe hinter "Radon Labs". Als Jungs haben sie angefangen, im Keller, zu Hause im Erzgebirge. Hier tüftelten und löteten die Jungs, bauten Spiele wie "Pac Man" nach. Die Bastel-Keller waren voller Radon, wegen des uranhaltigen Granitbodens der Gegend, daher auch der Name, "Radon Labs". "Man kann sagen, André Weißflog war der einzige, der in der DDR mit der Entwicklung von Computerspielen Geld verdiente", erzählt Beyreuther.
Ihrer Vorreiterrolle wurden sie im vergangenen Jahr erneut gerecht, sie heimsten gleich in zwei Kategorien den erstmals ausgelobten Deutschen Computerspielepreis ein; Kulturstaatsminister Bernd Neumann sagte damals, man sei überzeugt, dass dieser Preis den Wirtschaftsstandort Deutschland im Hinblick auf die Entwicklung kulturell und pädagogisch wertvoller Computerspiele fördere und nachhaltig stärke. Bernd Beyreuther kann ihm da nur recht geben: "Der Preis war für uns in dem einen Jahr schon enorm wertvoll. Er ist nicht nur ein Etikett, es ist etwas Handfestes. Banken, Investoren, alle können daran ablesen: Die taugen etwas."
Denn eine Ware wie ihre stellt Banken vor ein Problem: Ein Computerspiel ist ein virtuelles Produkt, Kredite gibt es dafür nicht. "Zum Glück ändert sich das mittlerweile", sagt Beyreuther. Dennoch: Ohne Mischfinanzierung geht es nicht, ein Teil sind öffentliche Mittel. Doch auch das war lange kompliziert, bekamen sie doch höchstens Förderungen für technologische Entwicklungen. Weil die Mitteldeutsche Medienförderung auch projektbezogene Standortpolitik betreibt, hat "Radon Labs" nun eine Zweigstelle in Halle: "Sonst hätten wir ,Drakensang' nicht realisieren können", macht Beyreuther klar. Er freut sich, dass inzwischen auch einige auf die Kreativwirtschaft spezialisierte Förderinstitutionen ihre Richtlinien erweitert haben, und nun nicht nur Filme finanzieren, sondern auch explizit Computerspiel-Projekte. Und er wünscht sich etwas, das nicht nur für seine Branche wichtig ist: "Schnelles Internet - für alle".