Öffentliche Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales
In zwei öffentlichen Anhörungen befasste sich der Ausschuss für Arbeit und Soziales am Montag, dem 5. Mai 2008, mit einem Antrag der Linksfraktion zur Umwandlung der gesetzlichen Rente von einer Arbeitnehmer- zu einer Erwerbstätigenversicherung ( 16/6440) sowie mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Rentenanpassung 2008 ( 16/8744).
In der ersten Anhörung stieß der Antrag der Linksfraktion bei einigen Experten auf grundsätzliche Zustimmung. Der Leiter für Entwicklungsfragen in der Altervorsorge bei der Deutschen Rentenversicherung Bund Reinhold Thiede sagte, für eine solche Weiterentwicklung spreche der deutliche Anstieg der Zahl der Selbstständigen in den vergangenen Jahren.
Ohne eine entsprechende Anpassung des Alterssicherungssystems,
so Thiede, wäre insbesondere der Kreis der so genannten
Soloselbstständigen einem relativ hohen Altersarmutsrisiko
ausgesetzt. Ein Argument für eine
Erwerbstätigenversicherung sei ferner, dass die
Erwerbsbiographien immer unsteter würden: Immer mehr Menschen
wechselten in ihrem Leben von abhängigen
Beschäftigungsverhältnissen in Phasen
selbstständiger Beschäftigung.
Thiede plädierte - im Unterschied zur Linksfraktion - dafür, die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung auf alle bislang nicht gesicherten Erwerbstätigen auszudehnen. Dagegen bestehe etwa für die in den Berufsständischen Versorgungswerken pflichtversicherten freien Berufe sowie für Beamte kein zusätzlicher Schutzbedarf. Ähnlich positionierte sich auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB). Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) gab zu bedenken, dass bei einer Erwerbstätigenversicherung die zusätzlichen Beitragseinnahmen in den ersten Jahrzehnten für Leistungsausweitungen der jetzigen Rentner verwendet würden und "nicht dem Umstand Rechnung getragen wird, dass den zusätzlichen Beiträgen auch spätere Leistungsansprüche gegenüberstehen".
Die Forderung der Linksfraktion nach Rücknahme beschlossener Dämpfungsfaktoren, sowie ihre Anträge zur Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze ( 16/7038) und zur grundsätzlichen Überprüfung der Wirkungen der Riester-Rente ( 16/8495) stieß bei den Sachverständigen weitgehend auf Ablehnung. Thiede erläuterte, würde man alle Dämpfungsfaktoren streichen, würde das im Jahr 2030 zu einer Beitragssatzsteigerung von 3,2 Prozentpunkten führen. Damit liege der Beitragssatz im Jahr 2030 voraussichtlich bei 25,2 Prozent.
Keinen gesetzlichen Regelungsbedarf sah der BDA-Experte Gert Nachtigal bei der Anrechnung von Einkommen aus privater und betrieblicher Altersvorsorge. Diese sollten "weiter in voller Höhe auf die Grundsicherung im Alter angerechnet werden", betonte Nachtigal. Er führte aus, dass eine vollständige oder teilweise Nichtanrechnung, wie sie die FDP-Fraktion in einem Antrag zur attraktiveren Gestaltung privater Altersvorsorge für Geringverdiener vorschlägt ( 16/7177), das Nachrangigkeitsprinzip der Grundsicherung aufweiche.
Geplante Rentenerhöhung erntet harsche Kritik
In der zweiten Anhörung des Auschusses ging es am Montag um die Pläne der Großen Koalition für eine außerplanmäßige Rentenerhöhung in diesem und im kommenden Jahr. Diese stoßen bei Sachverständigen auf zum Teil harsche Kritik. Der Geschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Alexander Gunkel, bemängelte, der geplante Eingriff in die Rentenformel öffne einer "Rentenpolitik nach Wahlterminen und Kassenlage Tür und Tor". Zumindest sollte der Gesetzgeber darauf verzichten, für 2009 eine zusätzliche Rentenerhöhung zu beschließen. Gunkel sagte, die geplante Sonder-Rentenanhebung 2009 hätte zur Folge, "dass die Renten im kommenden Jahr sogar stärker steigen als die zugrundeliegenden Löhne und Gehälter".
Der Wirtschafts- und Sozialstatistiker Professor Eckart Bomsdorf von der Universität Köln bemerkte zu den Koalitionsplänen: "Bestellt wird jetzt, bezahlt wird später." Belastet würden in den Jahren 2011 und 2012 im Wesentlichen die Beitragzahler.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) begrüßte zwar grundsätzlich, dass der Riesterfaktor ausgesetzt werden soll. Allerdings werde der Trend, dass die Rentenbeträge von Rentenzugangsjahr zu Rentenzugangsjahr sinken, "nicht gebremst". Der DGB-Rentenexperte Ingo Nürnberger sagte: "Man kann die Kosten der Alterung der Gesellschaft nicht wegreformieren." Mit den bisherigen Dämpfungsfaktoren würden lediglich die Arbeitgeber von diesen Kosten entlastet.
Für den Sozialverband Deutschland (SoVD) wies dessen Referent Ragnar Hoenig darauf hin, dass die Kaufkraft der Renten von 2004 bis einschließlich 2008 aufgrund der Inflation um mehr als acht Prozent gesunken sei. Der SoVD begrüße daher "nachdrücklich", dass mit den Vorschlägen der Koalition zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder das Leistungsziel der gesetzlichen Rentenversicherung und nicht allein die Beitragssatzstabilität im Vordergrund stehe. Gleichwohl müsse der Riester-Faktor auch nach 2009 vollständig ausgesetzt werden, so Hoenig. Dafür spreche auch, dass der Verbreitungsgrad der Riester-Rente es nicht rechtfertige, alle Rentner mit einem Rentenabschlag zu belasten.
Der Präsident der Deutschen Rentenversicherung, Herbert Rische, regte an, gegebenenfalls die Rentenformel zu vereinfachen und diese klarer darzustellen. Es gebe "kaum jemanden, der die Rentenformel wirklich versteht", sagte Rische. Er fügte hinzu, er gehe davon aus, dass die Deutsche Rentenversicherung die Pläne der Koalition pünktlich zum geplanten Termin 1. Juli 2008 umsetzen könne.