Die Sitzung am Donnerstag im Überblick
Der Jahreswirtschaftsbericht der
Bundesregierung für 2009 (
16/11650) und das Jahresgutachten 2008/2009 des
Sachverständigenrates zur Begutachtung der
gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (
16/10985) standen im Mittelpunkt der ersten
Debatte am Donnerstag. Dabei ging es auch um die
Konjunkturprognosen für das laufende Jahr. Der Bundestag
überwies beide Vorlagen zur federführenden Beratung an
den Wirtschaftsausschuss.
"Brücke zu mehr Wachstum und
Beschäftigung"
Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) sagte, Deutschland befinde sich zwar in der „schwersten Krise in der Geschichte der Bundesrepublik“, doch mit dem gerade aufgelegten Konjunkturpaket könne die Politik eine „Brücke“ hin zu wieder mehr Wachstum und Beschäftigung bauen. Die darin beschlossenen Maßnahmen gingen weit über „sektorale Hilfe hinaus“ und könnten die „negative Erwartungsspirale“ durchbrechen.
Die Opposition mahnte jedoch grundsätzliche, strukturelle
Veränderungen an und kritisierte, die Maßnahmen des
Konjunkturpakets seien nicht weit reichend genug und zudem falsch
ausgerichtet.
Mindestarbeitsbedingungen
Danach setzte sich das Parlament mit den Mindestarbeitsbedingungen auseinander. Zur Debatte standen zwei Gesetzentwürfe der Bundesregierung und ein Antrag der Linksfraktion ( 16/1878), die einen "sozial gerechten Mindestlohn" forderte. Den Antrag lehnte der Bundestag mit großer Mehrheit ab.
Den Entwurf der Bundesregierung zur Änderung des Gesetzes
über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen (
16/10485) nahm das Parlament in namentlicher Abstimmung mit 401
Ja- bei 109 Nein-Stimmen sowie 30 Enthaltungen an.
Dem Gesetzentwurf über zwingende Arbeitsbedingungen für
grenzüberschreitend entsandte und für
regelmäßig im Inland beschäftigte Arbeitnehmer und
Arbeitnehmerinnen (
16/10486) stimmten 398 Abgeordnete zu, 108
lehnten ihn ab und 50 enthielten sich. In beiden Fällen
votierten Union und SPD gegen FDP und Linke bei Enthaltung von
Bündnis 90/Die Grünen. Keine Mehrheit fanden
Änderungsanträge von Bündnis 90/Die Grünen (
16/11675,
16/11676) zu beiden Gesetzen.
"Bemerkenswerter Fortschritt"
In der Debatte nannte Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD) die Änderungen einen "bemerkenswerten Fortschritt". Durch sie hätten mehr Menschen Aussicht auf einen gerechteren Lohn. Er verteidigte die Gesetze gegen Kritik, der Staat griffe in die Tarifaufautonomie ein: "Wenn die Tarifpartner nicht für Regeln sorgen, muss sie eben der demokratische Staat schaffen."
Heinrich Kolb (FDP) dagegen monierte, angesichts der
Wirtschaftskrise seien gesetzliche Mindestlöhne "noch nie so
falsch wie jetzt" gewesen. Dr. Gregor Gysi (Die Linke) forderte
über die geplanten Änderungen hinaus einen
flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn. Die vorliegenden
Gesetze seien nur "Flickschusterei", denen seine Fraktion nie
zustimmen werde.
Auch Bündnis 90/(Die Grünen schlossen sich dieser Kritik
an: Die Beschränkung auf nur sechs weitere Branchen, die in
das Arbeitnehmer-Entsendgesetz aufgenommen werden sollen, sei
"falsch und ungerecht", sagte Brigitte Pothmer. Eine wichtige
Chance, einen für alle Branchen geltenden Mindestlohn zu
schaffen, sei verpasst worden: "Mindestlohn steht drauf, wo leider
sehr wenig Mindestlohn drin ist."
Aktuelle Stunde zu "faulen Wertpapieren"
Die Linke hatte die Aktuelle Stunde zum Thema "Konsequenzen aus der Existenz weiterer fauler Wertpapiere bei deutschen Banken im Umfang von Hunderten Milliarden Euro" beantragt. Hintergrund waren Berichte, die sich auf Umfrageergebnisse von Bundesbank und Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht stützten, wonach die deutschen Banken erst einen Bruchteil ihrer „faulen“ Wertpapiere abgeschrieben haben. Den Großteil ihrer „toxischen“ Wertpapiere im Volumen von knapp unter 300 Milliarden Euro sollen sie noch besitzen.
Die Linksfraktion nutzte die Aussprache, um das Handeln der
Bundesregierung in der Finanzkrise und ihr Auftreten gegenüber
den Banken zu kritisieren: Der Bankenrettungsschirm sei eine
„Fehlkonstruktion“, sagte Gesine Lötzsch.
Außerdem habe die Regierung die Zeit noch nicht genutzt, ein
Bankenspekulationsgesetz zu erarbeiten.
„Das ist grob fahrlässig“, so die Abgeordnete.
Jeden Tag tauchten neue „faule Kredite“ auf, und die
Öffentlichkeit habe ein Recht darauf zu erfahren, wie viele
davon noch in den „Tresoren der Banken lagerten“. Jetzt
müsse Schluss sein mit der „Kuschelpädagogik der
Regierung gegenüber den Banken“, verlangte
Lötzsch.
"Chaos im Soffin"
Otto Bernhardt (CDU/CSU) hielt dagegen, dass aber niemand mit Sicherheit heute bestimmen könne, was morgen ein „faules Papier“ sei. Lothar Binding (SPD) nannte zudem die Vorstellung, „jegliche Spekulation“ zu unterbinden, „naiv“.
Dr. Gerhard Schick (Bündnis 90/ Die Grünen)
bemängelte, mit der Einrichtung des Sonderfonds zur
Stabilisierung der Finanzmärkte (Soffin) sei der Regierung bis
jetzt nicht gelungen, eine Stabilisierung zu erreichen. Dort
herrsche „Plan C, das Chaos“, so der Abgeordnete im
Hinblick auf die Rücktritte von zwei von drei Mitgliedern des
Soffin-Lenkungsausschusses. Florian Toncar (FDP) hatte zuvor
ebenfalls „handlungsfähige Strukturen“ dort
eingefordert.
Energiekosten
Abgelehnt hat der Bundestag nach rund einstündiger Debatte zwei Anträge der Linksfraktion zu den Energiekosten. Darin hatte die Fraktion zum einen eine Überarbeitung des Energiewirtschaftsgesetzes verlangt. Energieversorger sollen künftig dazu verpflichtet werden, unter anderem Sozialtarife für einkommensschwache Haushalte anzubieten ( 16/10510). Außerdem hatte die Fraktion verlangt, die Übertragungsnetze des Eon-Tochterunternehmens Eon Netz zu verstaatlichen ( 16/8494).
In erster Lesung befasste sich das Parlament mit einem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen ( 16/11645), die Biogaseinspeisung und Wärmeeinsparung angesichts des Gasstreits zwischen Russland und der Ukraine voranzubringen. Der Ausschuss wurde zur weiteren Beratung an den Wirtschaftsausschuss überwiesen.
Mitarbeiterkapitalbeteiligungsgesetz angenommen
Im Anschluss daran stimmte der Bundestag dem Entwurf eines Mitarbeiterkapitalbeteiligungsgesetzes ( 16/10531) zu, mit dem die Bundesregierung zum einen mehr Beteiligung von Mitarbeitern an Unternehmen fördern, zum anderen die Eigenkapitalbasis der Firmen selbst verbessern will.
„So wird Mitarbeiterbeteiligung deutlich attraktiver“,
sagte Klaus Brandner, Parlamentarischer Staatssekretär im
Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Bald würde
eine Million Mitarbeiter mehr „direkt oder indirekt“ an
ihren Unternehmen teilhaben.
Grüne vermissen Insolvenzsicherung
Die FDP hatte den Regierungsentwurf kritisiert und einen eigenen Antrag eingereicht ( 16/9337), der jedoch nun im Bundestag abgelehnt wurde. Hauptforderung der FDP war, die Trennung zwischen betrieblicher Altersvorsorge und Mitarbeiterbeteiligung aufzuheben und für beide Formen gleiche Förderregeln festzulegen. „Sonst kannibalisiert sich die betriebliche Altersvorsorge“, warnte Frank Schäffler (FDP) in der Debatte. Die Unternehmer könnten „einen Euro eben nur einmal umdrehen“.
Auch Thea Dückert (Bündnis 90/ Die Grünen)
kritisierte, das Gesetz sei „gut gemeint, aber nicht gut
gemacht“. Nicht gut, weil es zum einen das sinnvolle
Instrument der Mitarbeiterbeiterbeteiligung „reduziere auf
ein Finanzanlageinstrument“, zum anderen, weil es Mitarbeiter
„in Anlageformen locke, die schlechtere Renditen“
hätten als andere. Zum anderen fehlte jegliche Sicherung
für den Fall einer Insolvenz, bemängelte
Dückert.
Herbert Schui (Die Linke) nannte das Gesetz einen
„ausgekochten Trick“. Um eine wirkliche Beteiligung der
Mitarbeiter gehe es darin nicht. Das „einzig Gute“ sei
die vorgesehene „geringe Erhöhung der Sparzulage“,
sagte der Abgeordnete und forderte stattdessen eine
„stärkere Mitbestimmung der Belegschaften“ in
Unternehmen.
Änderung des IWF-Übereinkommens angenommen
Am frühen Abend stimmten die Abgeordneten über ein Vertragsgesetz ab, das Änderungen im Übereinkommen über den Internationalen Währungsfonds (IWF) in deutsches Recht umsetzen soll ( 16/10535). Die Neuerungen betreffen eine Stärkung der Stimmrechte der Mitgliedsländer und eine Erweiterung der Anlagebefugnisse des Fonds. Das Gesetz wurde mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen gegen die Stimmen der Linksfraktion angenommen.
Unterstützung von Contergan-Geschädigten
Darüber hinaus nahm der Bundestag gemeinsame Anträge von CDU/CSU, SPD und FDP (16/11223) und einen CDU/CSU und SPD ( 16/8754) zur künftigen Unterstützung von Contergan-Geschädigten an. Abgelehnt wurde ein Antrag von Bündnis 90/Die Grünen ( 16/8748) für einen "umfassenden Ansatz beim Umgang mit den Folgen des Contergan-Medizinskandals".
Oppositionsanträge zum Personenbeförderungsgesetz
abgelehnt
Abgelehnt hat das Parlament zwei Anträge der Opposition zur Novellierung des Personenbeförderungsgesetzes. Die FDP forderte die Bundesregierung auf, Wettbewerb mit der Deutschen Bahn im Personenfernverkehr zuzulassen ( 16/384). Bündnis 90/Die Grünen verlangten zudem, den liniengebundenen Fernbusverkehr zu ermöglichen ( 16/842). Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung hatte bereits die Ablehnung empfohlen ( 16/3905).
Weitere Tagesordnungspunkte
Der Bundestag verabschiedete unter anderem einen Koalitionsantrag zum Wassertourismus ( 16/10593, 16/11303) und stimmte über mehrere Anträge aus den Fraktionen zur Gleichstellung von Frauen in Wissenschaft und Forschung ab ( 16/9756, 16/9604, 16/8742, 16/5898, 16/8753).