Wolfgang Thierse eröffnet die
Ausstellung © DBT
WILLE, MACHT UND WANDEL
FOTO- UND VIDEO-INSTALLATIONEN
VON HERLINDE KOELBL
Herlinde Koelbl hat für die Ausstellungsräume des
Deutschen Bundestages mit einer doppelseitigen Fotowand und zwei
Video-Installationen eine Ausstellung konzipiert, die den
Zusammenhang von Politik und Macht im Selbstverständnis von
Politikern und Wirtschaftsführern nachspürt. Diese
Installationen stellen eine Zusammenfassung und Erweiterung
früherer Projekte - vor allem der berühmten Fotofolge
"Spuren der Macht" - dar, eröffnen aber gleichzeitig
inhaltlich und formal neue Perspektiven. So stellt Herlinde Koelbl
erstmals Video-Interviews vor, die sie während der Sitzungen
zu den Porträt-Aufnahmen von "Spuren der Macht" aufgenommen
hatte. In diesen Interviews befragt sie Politiker und
Wirtschaftsführer nach ihrem Verständnis von Macht und
nach dem Willen, diese auszuüben und zu behalten. In einer
zweiten Video-Installation lässt sie die politische Elite
Stellung nehmen zu der Frage "Was ist Deutsch?"
Bildzusammenschnitt von Joseph Fischer
© Herlinde Koelbl
Die Fotografin vollzieht seit jeher in ihrem Werk eine spannende
Gratwanderung zwischen Dokumentation und gestalterischem Konzept.
In der Fotofolge "Spuren der Macht" hatte sie über Jahre
hinweg vielversprechende Jungpolitiker (Gerhard Schröder,
Angela Merkel, Joschka Fischer, Monika Hohlmeier, Heide Simonis,
Irmgard Schwätzer, Friedbert Pflüger) fotografisch
porträtiert. Eine bemerkenswerte Tiefe verdankt die Studie
zwei Umständen: Zum einen wussten die Porträtierten, dass
eine Veröffentlichung erst Jahre später erfolgen
würde. Sie konnten sich also ungezwungener, offener und damit
ehrlicher zeigen als für den medialen Tagesgebrauch vielleicht
nahe liegend. Zum zweiten wurden die Porträt-Sitzungen
vertieft durch Gespräche über so existentielle Themen wie
deren Selbsteinschätzung, ihr Verhältnis zur Familie, zum
Glauben, ihre Wünsche und Hoffnungen. Auch diese
Gespräche wiederholten sich über die folgenden Jahre und
offenbaren die Veränderungen in der Lebensperspektive im Sinne
des Untertitels der Langzeitstudie: "Die Veränderung des
Menschen durch das Amt." Mit großer Intensität hat
Herlinde Koelbl in diesen Interview-Folgen die spannungsreiche
Frage nach dem Preis der Macht und nach ihrer ethischen Fundierung
aufgeworfen. Erliegen die Politiker der "Droge Wichtigkeit", deren
Suchtcharakter insbesondere denen bewusst wird, die ihr politisches
Amt verlieren? Oder besitzen die Akteure auch noch ein Leben
außerhalb der Politik, beziehen sie den Verlust des Amtes in
ihre Lebensplanung ein?
Bildzusammenschnitt von Angela Merkel
© Herlinde Koelbl
Verdirbt also Politik den Charakter, wie ein verbreitetes
abfälliges Urteil über Politik und Politiker lautet?
Gustav Radbruch (1878-1949), Justizminister in der Weimarer
Republik und einer der bedeutendsten Rechtsphilosophen seiner Zeit,
korrigierte dieses gängige Vorurteil durch die Feststellung:
"Nein. Politik erprobt den Charakter."
Die Besucher der Ausstellung von Herlinde Koelbl haben Gelegenheit,
diese Fragen nach dem Selbstverständnis demokratischer
Politiker und nach der sittlichen Gebundenheit der Macht an den
Porträts der Akteure abzulesen und zu überdenken. Das
Nachdenken über die Macht, den Willen und vor allem den
Wandel, der über Macht und Willen der Akteure waltet, kann an
keinem geeigneteren Ort angeregt werden als in einer Ausstellung im
Parlament, im Deutschen Bundestag.
Bildzusammenschnitt von Gerhard Schröder
© Herlinde Koelbl
Die Ausstellung ist vom
30. September bis
zum 11. November 2005 im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus des
Deutschen Bundestages zu sehen. Sie kann ohne Voranmeldung
gegen Vorlage des Personalausweises über die
Spree-Uferpromenade (Schiffbauerdamm, 10117 Berlin) gegenüber
dem Reichstagsgebäude besichtigt werden.
Öffnungszeiten:
Di bis So 13-19 Uhr Herausgeber:
Deutscher Bundestag, Sekretariat des Kunstbeirates und Referat
Öffentlichkeitsarbeit, Platz der Republik 1, 11011
Berlin
Text: Andreas Kaernbach, Kurator der Kunstsammlung des Deutschen
Bundestages
Fotos: Herlinde Koelbl, München
© Herlinde Koelbl