Im Nachfolgenden ist der Wortlaut des Offenen Briefes abgedruckt:
Sehr geehrte Frau Ministerin,
der Ausschuss für Gesundheit hat sich seit mehreren Jahren, so auch in dieser Legislaturperiode, im Rahmen der Selbstbefassung mit der Problematik der durch Blut und Blutprodukte HCV-infizierter Patientinnen und Patienten beschäftigt.
Wie Ihnen bekannt ist, wurden in den Jahren 1978/1979 in der DDR mehrere tausend Frauen bei einer gesetzlich vorgeschriebenen Anti-D-Immunprophylaxe zum Schutz neugeborener Kinder mit dem Hepatitis-C-Virus (HCV) infiziert. Nach dem Einigungsvertrag wurden die bisherigen Leistungen des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten (GüK) der DDR zunächst weitergewährt und analog der Behandlung von Impfschäden auf eine Versorgung nach dem Bundesseuchengesetz (BSeuchG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) umgestellt. Dem Wortlaut nach umfasste die Regelung nur die in der DDR bereits anerkannten Fälle. Im Einvernehmen von Bund und Ländern erhielten auch diejenigen, deren Infektion erst später anerkannt, bemerkt worden oder erfolgt ist (Neufälle), die bezeichneten Leistungen nach dem Bundesseuchengesetz. Die Regelung wurde durch das zum 1. Januar 2000 in Kraft getretene Gesetz über die Hilfe durch Anti-D-Immunprophylaxe mit dem Hepatitis-C-Virus infizierte Personen (Anti-D-Hilfegesetz, AntiDHG) ersetzt. Das AntiDHG stellt eine eigenständige Rechtsgrundlage dar und ist nicht Bestandteil des sozialen Entschädigungsrechts im Sinne des § 5 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch.
Seit Inkrafttreten des AntiDHG sind vielfach Probleme in Bezug auf die Umsetzung in den Ländern und Schilderungen der Betroffenen über ihre als unbefriedigend empfundene Situation an die Mitglieder des Ausschusses herangetragen worden. Insbesondere das Problem der unterschiedlichen Einstufung der Erwerbsfähigkeit durch die verantwortlichen Landesbehörden ist ein immer wiederkehrender Kritikpunkt, es würde durch die verantwortlichen Landesbehörden die Nichtnachweisbarkeit der Viren als Beweis für die Heilung der HCV-Infektionen herangezogen und folglich würden vorhandene Krankheiten nicht bei der Bemessung der MdE berücksichtigt.
Ein zweiter Problemkreis betrifft in den 1980er Jahren durch Blutprodukte HCV-infizierte Personen. Hier wurden lebensnotwendige Medikamente verabreicht, die z. T. mit HIV und mit HCV kontaminiert waren. Für diejenigen, die in Folge mit HIV infiziert wurden, wurde 1995 das HIV-Hilfegesetz geschaffen. Für diejenigen, die mit HCV infiziert wurden, gibt es bis heute keine Hilferegelung. Die Betroffenen verlangen seit Jahren auch für ihre Angelegenheit eine humanitäre Hilfe bzw. eine Entschädigungslösung.
In seiner 82. Sitzung am 23. April 2008 hat mich der Ausschuss für Gesundheit beauftragt, Sie mit diesem offenen Brief über die nachfolgend dargestellten Meinungen der Fraktionen im Ausschuss zur Problematik der Entschädigung der durch Blut und Blutprodukte HCV-infizierten Menschen im Ausschuss zu unterrichten.
Die Mitglieder der Fraktionen der CDU/CSU und SPD im Ausschuss, d. h. die Mehrheit der Mitglieder im Ausschuss, vertreten auf Ausschussdrucksache 16(14)0338 folgende Auffassung:
I. 1. HCV-Infektionen durch Blutprodukte:
a. Die Infektionen mit dem Hepatitis-C-Virus (HCV), die durch die Anwendung von Blut und Blutprodukten ausgelöst wurden, haben vor allem die Gruppe der Hämophilen betroffen, die auf Grund ihrer Erkrankung regelmäßig auf die Gabe von Blutplasmaprodukten angewiesen sind. Aber auch andere Patienten sind durch Blut oder Blutprodukte mit dem HCV infiziert worden. Diese Infektionsgeschehen sind tragische, aber letztlich zum damaligen Zeitpunkt unvermeidbare Ereignisse gewesen.
b. Die Bundesregierung hat dem Deutschen Bundestag wiederholt (zuletzt mit der Antwort auf eine Kleine Anfrage auf Bundestagsdrucksache 16/6934) mitgeteilt, dass aus ihrer Sicht eine staatliche Verantwortung für die HCV-Infektionen, die haftungsrechtlich relevant wäre oder eine Verpflichtung zu einer Entschädigung auslösen würde, nicht gegeben ist. Dies ist durch Gerichtsentscheidungen bestätigt worden, in denen Amtshaftungsansprüche gegen die Bundesrepublik Deutschland im Hinblick auf die Infektionsgeschehen unter anderem wegen mangelnden Kausalitätsnachweises verneint wurden.
c. Die Bundesregierung hat gleichwohl wiederholt mit den Unternehmen der pharmazeutischen Industrie, den Blutspendediensten des Deutschen Roten Kreuzes und den Ländern über eine gemeinsame Initiative für eine humanitäre Hilfe für durch Blutprodukte HCV-infizierte Personen gesprochen. Diese Initiative ist bei den genannten Partnern auf Ablehnung gestoßen.
2. Anti-D-Hilfegesetz:
a. Das zum 1. Januar 2000 in Kraft getretene Gesetz über die Hilfe für durch Anti-D-Immunprophylaxe mit dem Hepatitis-C-Virus infizierten Personen (AntiDHG) wird von den Ländern Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen als Auftragsverwaltung im Sinne von Artikel 104a Abs. 3 Grundgesetz ausgeführt. Zur Ausübung der Bundesaufsicht lädt das Bundesministerium für Gesundheit regelmäßig zu Gesprächen mit den Ländern, teilweise auch unter Beteiligung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, ein, evaluiert im Rahmen dieses Erfahrungsaustauschs das Anti-D-Hilfegesetz und stellt eine einheitliche Durchführung des Gesetzes sicher, indem Darstellungen zu möglicherweise ungleichen Behandlungsweisen in den Ländern immer wieder aufgegriffen werden. Das letzte Gespräch fand am 20. November 2007 statt.
b. Seit dem Inkrafttreten des Anti-D-Hilfegesetzes sind vom 1. Januar 2000 bis 31. Dezember 2006 Einmal- und Rentenzahlungen in Höhe von ca. 21 Mio. Euro ausgezahlt worden. In diesem Jahr sieht der Bundeshaushalt eine Summe von 1,9 Mio. Euro vor. Daneben erhalten die Betroffenen Krankenbehandlung auf Kosten der Länder in Höhe von zuletzt jährlich ca. 700.000 Euro.
c. Handlungsbedarf des Gesetzgebers besteht nicht; auch der Bundesrechnungshof sieht derzeit keinen Handlungsbedarf für eine Finanzkontrolle.
II. Die Mitglieder der Fraktionen der CDU/CSU und SPD anerkennen die Bemühungen der Bundesregierung um eine humanitäre Hilfe für durch Blutprodukte HCV-infizierte Personen.
Sie teilen die Auffassung der Bundesregierung, dass eine humanitäre Hilfe nur als Gemeinschaftsinitiative in Betracht kommt.
III. Die Mitglieder der Fraktionen der CDU/CSU und SPD anerkennen im Hinblick auf das Anti-D-Hilfegesetz, dass die Bundesregierung Probleme bei der einheitlichen Anwendung des Anti-D-Hilfegesetzes mit den Betroffenen erörtert und auf eine einheitliche Anwendung durch die Länder hinwirkt.
IV.Die Mitglieder der Fraktionen der CDU/CSU und SPD fordern die Bundesregierung auf,
1. HCV-Infektionen durch Blutprodukte:
in einem Gespräch mit den betroffenen Patientenverbänden die Gründe, aus denen eine finanzielle Entschädigung nicht in Betracht kommt, zu erläutern.
2. Anti-D-Hilfegesetz:
auch zukünftig für eine einheitliche Anwendung des Anti-D-Hilfegesetzes Sorge zu tragen.
Die Mitglieder der Fraktion der FDP im Ausschuss legen in Ausschussdrucksache 16(14)0376 Wert auf die nachfolgende Feststellung:
Die Gesundheitspolitiker der FDP-Bundestagsfraktion bedauern sehr, dass es im Rahmen der lebensnotwendigen Therapie von überwiegend an Hämophilie erkrankten Patientinnen und Patienten durch die Anwendung von mit HCV-Viren verseuchtem Blut bzw. Blutprodukten zu HCV-Infektionen gekommen ist. Je nach Ausprägungsgrad der Krankheit ist für die Betroffenen hieraus zum Teil großes Leid entstanden und sie müssen zahlreiche Einschränkungen ihres Lebens in Kauf nehmen.
Die immer wieder diskutierte Frage, ob diese Infektionen zum damaligen Zeitpunkt hätten vermieden werden können, darf nicht anhand der heute vorhandenen Erkenntnisse beurteilt werden, sondern muss die damalige Situation und die damaligen Erkenntnisse berücksichtigen. Eine staatliche Verantwortung, die zu haftungsrechtlichen Entschädigungsansprüchen führen würde, ist nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums nicht gegeben. Gerichtsverfahren haben in dieser Hinsicht nichts anderes ergeben.
Der 3. Untersuchungsausschuss in der 12. Legislaturperiode „HIV-Infektionen durch Blut und Blutprodukte“ hat in seinem Schlussbericht im Gegensatz zu den HIV-Infizierten für die HCV-Infizierten keine konkreten Forderungen für eine Entschädigung oder humanitäre Hilfen aufgestellt. Aus Anteilnahme an dem Schicksal der Betroffenen ist dennoch auch auf Betreiben der FDP wiederholt der Versuch unternommen worden, in Analogie zu dem HIV-Hilfefonds zusammen mit den pharmazeutischen Unternehmen, den Blutspendediensten des Deutschen Roten Kreuzes und den Ländern zu einer einvernehmlichen Lösung im Sinne der Betroffenen zu kommen. Dies ist jedoch leider nicht gelungen. Es ist auch nicht zu erwarten, dass sich an dieser Haltung im Hinblick auf die Beurteilung der Situation etwas ändern wird. Insofern würde man mit der neuerlichen Aufforderung, in entsprechende Gespräche einzutreten, falsche Hoffnungen wecken.
Die Bundesregierung ist aufgefordert, die vorhandenen sozialpolitischen Instrumente daraufhin zu überprüfen, ob sie die notwendige Unterstützung schwer erkrankter HCV-Infizierter in ausreichendem Maße gewährleisten.
Die Mitglieder der Fraktion DIE LINKE. im Ausschuss vertreten in Bezug auf das Anti-D-Hilfegesetz auf Ausschussdrucksache 16(14)0334 folgende Meinung:
I. Die Mitglieder der Fraktion DIE LINKE. stellen fest:
Die Anti-D-Betroffenenverbände kritisieren Teile der Umsetzung des AntiDHG heftig. Die Betroffenen führen an, dass die „Anhaltspunkte für die gutachterliche Tätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz“ (in Folge „Anhaltspunkte“ genannt) durch die Versorgungsämter, ihre beauftragten Gutachter und auch von einigen Sozialgerichten so angewendet würden, dass berechtige Forderungen nicht durchgesetzt werden könnten.
a) Dies betrifft zum einen das Kriterium der Viruslast. Bei einer nicht messbaren Viruskonzentration im Blut (Nachweisgrenze ist etwa 50 Kopien/ml) schließen die Versorgungsämter das Vorliegen von Folgeerkrankungen der Anti-D-Prophylaxe aus. Infolgedessen wird den Frauen der Anspruch auf eine Anerkennung der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) für eine monatliche Rente verwehrt oder MdE-Rückstufungen vorgenommen. Laut einer Langzeitstudie an einer großen homogenen Kohorte irischer Patientinnen, die sich 1977 durch verseuchtes Anti-D-Immunglobulin mit dem Hepatitis-C-Virus infizierten (Gut 2001; 49: 423-430), bestehen Folgekrankheiten auch bei Viruselimination weiter, und die Viruslast gibt nicht die Stärke der klinischen Symptome wieder. Es scheint daher fraglich, ob das Kriterium der Viruslast als Argument geeignet ist, die Infektion, die klinischen Auswirkungen und damit die Minderung der Erwerbsfähigkeit auszuschließen bzw. herab zu stufen. Dennoch findet dies nach Angabe der Betroffenenverbände in vielen Fällen statt.
b) Die Kritik der Betroffenen an der Anwendung des AntiDHG betrifft auch die Nichtberücksichtigung extrahepatischer Manifestationen infolge einer HCV-Infektion durch die Versorgungsämter. Es sei schwierig, dass diese als Folge der Infektion von den Versorgungsämtern anerkannt werden. In den Anhaltspunkten werden nur wenige Beispiele von extrahepatischen Manifestationen aufgezeigt.
c) Das Rundschreiben des BMAS vom 31.07.2001 zu den „Voraussetzungen einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse bei anerkannten chronischen Leiden“ wird nach den Informationen der Betroffenen nur unzureichend berücksichtigt.
d) Es gibt eine Studie des Robert-Koch-Instituts von 1996/97, die sich mit einer Koinfektion der betroffenen Frauen mit dem Hepatitis-G-Virus (HGV) beschäftigte. Die Betroffenen haben jedoch nie von einer staatlichen Stelle eine Information über diese Koinfektion erhalten. Es ist derzeit wissenschaftlich nicht geklärt, welche Auswirkungen eine HGV-Infektion hat.
e) Die Bundesregierung hat mit den Betroffenen über die Probleme bei der Umsetzung des AntiDHG gesprochen. Die Betroffenen sind jedoch unzufrieden mit dem Umstand, dass auch trotz eigener Vorarbeit bislang keine schriftliche Fixierung seitens der Bundesregierung über die Ergebnisse des Gesprächs vorliegt, auf die sich die Betroffenen berufen könnten. Nach Auffassung der Betroffenen war zum Beispiel ein Rundschreiben des BMAS an die Länder mit Hinweisen zur korrekten Umsetzung des AntiDHG zugesagt gewesen.
f) Die Betroffenen haben den Eindruck, dass als eines ihrer Hauptprobleme seitens der Bundesregierung die bundesweite Einheitlichkeit der Anwendung des AntiDHG durch die Länder angesehen wird. Jedoch ist nicht die Einheitlichkeit der Anwendung nach Auffassung der Betroffenen das Problem, sondern die unter a) bis e) genannten Punkte.
II. Die Mitglieder der Fraktion DIE LINKE. erkennen die Bemühungen der Bundesregierung, sich in einem Gespräch mit den Betroffenen auseinanderzusetzen, an.
III. Die Mitglieder der Fraktion DIE LINKE. fordern die Bundesregierung auf,
a) die von den Betroffenen in ihrer Stellungnahme vom 28.06.2007 und in dem Gespräch mit der Bundesregierung am 20.11.2007 geltend gemachten Mängel in Bezug auf die Umsetzung des AntiDHG und der Regelungen, auf die das Gesetz verweist, einzeln zu überprüfen,
b) die festgestellten Mängel durch Rundschreiben, Ergänzung der Anhaltspunkte sowie andere geeignete Maßnahmen zu beseitigen,
c) die Länder darauf hinzuweisen, dass der anspruchsbegründende Nachweis der HCV-Infektion über die im AntiDHG genannten Chargennummern erbracht ist, dass somit für diesen betroffenen Personenkreis neue Nachweise der Infektion nicht gefordert werden müssen bzw. entbehrlich sind,
d) den Betroffenen eine schriftliche Stellungnahme über den im gemeinsamen Gespräch erzielten Konsens zukommen zu lassen und
e) über den Fortschritt der in a), b) und c) genannten Maßnahmen dem Ausschuss für Gesundheit zu berichten.
In Bezug auf HCV-Infektionen durch Blutprodukte stellen die Mitglieder der Fraktion DIE LINKE. auf Ausschussdrucksache 16(14)0333 fest:
I. a) Sie bedauern die HCV-Infektionen, die durch die Anwendung von Blut und Blutprodukten ausgelöst wurden. Diese Infektionen betrafen unter anderem die in den 1970er und 1980er Jahren behandelten Hämophilen, die auf die Gabe von aus Blut gewonnenen lebensnotwendigen Medikamenten angewiesen waren.
b) Die Gefahr einer Infektion war seit Mitte der 1970er Jahre bekannt (1975 Prof. Dr. Schimpf). Seit 1977 stand ein inaktiviertes (HCV-sicheres) Präparat für die Behandlung der Hämophilie B zur Verfügung, und seit 1981 gab es ein inaktiviertes Präparat für die Hämophilie A.
c) Der Untersuchungsbericht (BT-Drs. 12/8591) hat folgende Erkenntnisse zu Tage gefördert: Nichtinaktivierte Faktor-IX-Präparate waren ab 01.10.1980 nicht mehr verkehrsfähig i. S. v. § 5 AMG, sind aber dennoch Patientinnen und Patienten verabreicht worden. Ab der Jahreswende 1981/82 waren konventionelle nichtinaktivierte Faktor VIII-Präparate nur noch statthaft, solange risikoärmere Alternativen im Einzelfall nicht zur Verfügung standen. Alle Beteiligten hätten auf die ausreichende Verfügbarkeit in kürzestmöglicher Zeit mit Nachdruck hinwirken müssen. Ab Spätherbst 1983 waren konventionelle Faktor-VIII-Präparate nicht mehr verkehrsfähig i. S. v. § 5 AMG.
d) Die Hämophilieverbände hatten frühzeitig dazu aufgerufen, auf die neuen Medikamente umzustellen. Die Umstellung erfolgte jedoch nicht bei allen Behandlern zügig, sondern fand laut Untersuchungsbericht teils erst 1987 statt.
e) Eine abschließende gerichtliche Klärung der Frage der Amthaftung steht noch aus. Das Landgericht Berlin hat in seinem Urteil (23 O 156/03) vom 03.03.2004 zwar eine Amtshaftung nicht bejaht, aber auch nicht ausgeschlossen. Im Ergebnis wurde diese Frage offen gelassen. Ungeachtet dessen gibt es Hinweise, das Urteil hätte bei erfolgter Revision nicht aufrechterhalten werden können. Laut eines Gutachtens der Rechtsanwälte Inge Hornischer und Christoph Kremer (Frankfurt a. M.) hätte das Gericht gemäß ständiger Rechtsprechung des BGH zur Beurteilung der medizinischen Fachfragen auch externen medizinischen Sachverstand heranziehen müssen, was nicht erfolgt ist. „Urteile, die gegen dieses ‚Gründlichkeitsgebot’ verstoßen, werden vom zuständigen VI. Zivilsenat des BGH im Revisionsverfahren quasi ‚automatisch’ aufgehoben“, so das Gutachten.
f) In vielen anderen Staaten gibt es für diese und ähnliche Personengruppen Entschädigungsregelungen. Das gilt etwa für Irland, Großbritannien, Italien, Spanien, Schweden und Ungarn. In diesem Jahr ist auch Japan hinzugekommen. Dort hat die Regierung ihre Verantwortung für die Infektionen ausdrücklich anerkannt, bei den Betroffenen um Entschuldigung gebeten und eine Einmalzahlung von bis zu etwa 250.000 Euro beschlossen.
II. Die Mitglieder der Fraktion DIE LINKE. fordern die Bundesregierung daher auf,
a) unabhängig von juristischen Erwägungen einer Amtshaftung eine zivilisatorisch angemessene humanitäre Entschädigungslösung für die Betroffenen zu schaffen,
b) zu versuchen, unter Nutzung politischer und rechtlicher Handhaben eine gerechte Beteiligung der Pharmaindustrie, der Blutspendedienste und der Behandler an der notfalls auch vom Bund alleine zu finanzierenden Entschädigungsregelung zu erreichen und
c) den Ausschuss für Gesundheit über den Fortschritt der in a) und b) genannten Maßnahmen zu informieren.
Die Mitglieder der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Ausschuss vertreten auf Ausschussdrucksache 16(14)0343 folgende Position:
I. a) Die Mitglieder der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bedauern, dass durch die therapeutische Anwendung verseuchter Blutprodukte bei an Hämophilie erkrankten Patientinnen und Patienten HCV-Infektionen verursacht wurden.
b) Die zwischen 1979 und 1989 aufgetretenen Infektionen waren, anders als die Bundesregierung in ihrer Antwort (BT-Drs. 16/6934) auf die Kleine Anfrage auf BT-Drs. 16/6695 behauptet, keineswegs ein unvermeidbares Ereignis. Vielmehr war das Risiko, durch Blutprodukte menschlichen Ursprungs eine Hepatitis zu übertragen, dem damaligen Bundesgesundheitsamt seit Ende der 1960er/Anfang der 1970er Jahre bekannt. Seit 1976 war die Anwendung virusinaktivierender Verfahren zur Behandlung der Hämophilie B möglich, seit 1981 für die Hämophilie A (vgl. Schlussbericht des Untersuchungsausschusses „HIV-Infektionen durch Blut und Blutprodukte“, BT-Drs. 12/8591).
c) Spätestens seit 1983, mit dem Vorliegen eines positiven klinischen Erfahrungsberichtes zu virusinaktivierten Produkten zur Behandlung der Hämophilie A, hätten dem Schlussbericht des Untersuchungsausschusses zu „HIV-Infektionen durch Blut und Blutprodukte“ zufolge nicht inaktivierte Präparate zur Behandlung der Hämophilie A als bedenkliche Arzneimittel im Sinne des § 5 Abs. 2 Arzneimittelgesetz gelten und somit ihre Verkehrsfähigkeit verlieren müssen.
d) Das damalige Bundesgesundheitsamt hatte dem Schlussbericht zufolge die Zulassungen dieser nicht mehr verkehrsfähigen Produkte weder ruhen lassen noch aufgehoben. Das Bundesgesundheitsamt hatte auch keine anderen, das Infektionsrisiko wesentlich mindernde Maßnahmen eingeleitet wie etwa die Auflage für pharmazeutische Unternehmen, ihre Präparate innerhalb einer bestimmten Frist einem Inaktivierungsverfahren zu unterziehen. Vielmehr wurden noch bis 1985 weitere nicht inaktivierte Präparate zugelassen. Die Inaktivierung wurde erst 1989 zur Auflage gemacht (vgl. BT-Drs. 16/6934).
e) Vor diesem Hintergrund teilen die Mitglieder der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Einschätzung des Untersuchungsausschusses „HIV-Infektionen durch Blut und Blutprodukte“, nach der das Fehlen jeglicher Reaktionen seitens des damaligen Bundesgesundheitsamtes auf die Gefahr der Hepatitisinfektionen als Versäumnis zu werten sei. Durch ein mit seinen Amtspflichten im Einklang stehendes rechtzeitiges und dem Risiko angemessenes Handeln hätte das Bundesgesundheitsamt einen Großteil der Patientinnen und Patienten vor der Infektion mit Hepatitis-C-Viren bewahren können (vgl. Schlussbericht des Untersuchungsausschusses „HIV-Infektionen durch Blut und Blutprodukte“, BT-Drs. 12/8591).
II. Die Mitglieder der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordern die Bundesregierung auf, auf eine humanitär orientierte Entschädigungslösung für mit HCV infizierten Blutern hinzuwirken, die vergleichbar mit dem HIV-Hilfegesetz eine Beteiligung des Bundes, der Länder, der pharmazeutischen Unternehmen und der Blutspendedienste vorsieht.
Im Namen aller Mitglieder des Ausschusses für Gesundheit bitte ich Sie, die dargestellten Meinungen der Fraktionen im Ausschuss im weiteren Umgang der Bundesregierung mit dieser schwierigen Problematik zu berücksichtigen.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Martina Bunge