BINNENMARKT
Der Abbau von Handelshürden soll für neuen Schwung sorgen und den Verkauf von Produkten in andere Länder erleichtern
So fröhlich und harmonisch hat man Europaparlamentarier, Ratsvertreter und EU-Kommission selten miteinander umgehen sehen. In nur 364 Tagen, wie der finnische konservative Berichterstatter Alexander Stubbs stolz vermerkte, einigten sie sich auf eine Binnenmarktreform, die der EU 1,8 Prozent Wachstum bescheren soll. "Es handelt sich um die wichtigste gesetzgeberische Initiative meiner Amtszeit und wahrscheinlich der ganzen Barroso-Kommission", schwärmte EU-Industriekommissar Günter Verheugen nach der Debatte in Straßburg. Das sei "die bedeutendste Binnenmarktreform seit den Delorspaketen von 1992 und wohl der wichtigste Beitrag zur Lissabonstrategie, der Wachstums- und Beschäftigungsoffensive der Union." Das Paket aus zwei Verordnungen und einem Beschluss setzt das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung von Zulassungen um, das theoretisch schon seit 1992 gilt. Es beinhaltet, dass ein Produkt, das in einem Mitgliedsland zugelassen wurde, auch in die anderen EU-Länder importiert werden darf. Doch in einer Umfrage der EU-Kommission gaben 35 Prozent der befragten Unternehmen an, Probleme mit technischen Vorschriften in einem anderen EU-Land zu haben. Jedes zweite Unternehmen erklärte, es habe sein Produkt verändern müssen, um es exportieren zu dürfen.
Mehr als 300 Mal zogen betroffene Unternehmen vor den Europäischen Gerichtshof, um ihr Recht auf freien Warenverkehr im Binnenmarkt durchzusetzen. Der entschied meist zugunsten der Kläger. Doch viele kleine und mittlere Unternehmen können sich kein langwieriges und teures Verfahren leisten. Nun haben sie einen Anspruch darauf, dass die Behörden des Importlandes innerhalb von 20 bis 60 Tagen eine Entscheidung treffen. Weisen sie ein Produkt ab, liegt die Beweislast künftig bei ihnen.
Ein Viertel des Warenumsatzes in der EU entfällt nach Berechnungen der EU-Kommission auf diesen "nichtharmonisierten Bereich". Damit sind Produkte wie Fahrräder oder Baugerüste gemeint, für die es keine einheitlichen EU-Standards gibt. Sie bringen 500 Milliarden Euro Umsatz pro Jahr. Nach Überzeugung der Kommission könnte es deutlich mehr sein, wenn die bürokratischen Hürden endlich wegfallen.
Die zweite Verordnung, für die der deutsche PDS-Berichterstatter André Brie verantwortlich zeichnet, befasst sich mit den restlichen 75 Prozent des Warenverkehrs, dem harmonisierten Bereich. Damit sind Güter wie Spielzeug, Medikamente oder Kosmetika gemeint, für die es einheitliche Mindeststandards in der EU gibt. Die Schwachstelle liegt nicht bei den Qualitätsanforderungen, sondern bei der Kontrolle der importierten Waren. Spätestens 2010 müssen alle Mitgliedstaaten starke Marktkontrollbehörden aufgebaut haben, die Informationen der Prüfstellen und des Zolls bündeln und den raschen Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten sicherstellen. Diese Instanzen müssen öffentlich-rechtlichen Charakter haben, "Kommerzialisierung und Profitorientierung ist ihnen untersagt", wie Brie betonte. Doch einige Hersteller verlagern den Standort nicht nur wegen geringerer Löhne sondern auch wegen geringerer Sicherheitsanforderungen, die die Kosten senken. Künftig werden Hersteller, Importeure und Händler für Schäden zur Verantwortung gezogen.
Beflügelt vom Schwung der ganz großen Koalition in Sachen Binnenmarkt wollen sich die EU-Gesetzgeber gleich an weitere Verbesserungen machen. Derzeit wird die Spielzeugrichtlinie überarbeitet. Das von 1988 stammende Gesetz wird der Technikrevolution im Kinderzimmer und den Produktionsverlagerungen nach Asien nicht mehr gerecht. Allerdings betonten mehrere Redner bei der Parlamentsdebatte am 18. Februar, dass die Schuld nicht allein bei den chinesischen Herstellern gesucht werden könne. Prozentual gesehen sei deren Spielzeug nicht öfter mit gefährlichen Stoffen belastet oder technisch fehlerhaft als das der europäischen Konkurrenz.
Als nächstes sollen die Warenkennzeichen überarbeitet werden. Probleme gibt es mit dem CE-Kennzeichen (für Conformité Europeenne), das von vielen Verbrauchern als Gütesiegel missverstanden wird. Es handelt sich aber um ein Zeichen, das die Übereinstimmung des Produkts mit europäischen Gesetzen und Normen garantiert.
Industriekommissar Verheugen versprach den Europaparlamentariern, dass die Kommission schon bald Reformvorschläge unterbreiten werde. Zunächst soll in einer Studie geklärt werden, ob das CE-Zeichen den Bedürfnissen der Verbraucher gerecht wird und welche Kosten durch zusätzliche Siegel entstehen würden. "CE bedeutet ja nur, dass das Produkt mit allen bestehenden Vorschriften übereinstimmt. Der Verbraucher kann damit nur etwas anfangen, wenn er die Vorschriften kennt", räumte Verheugen ein. Den Verbraucher interessiere aber, ob ein Produkt sicher sei. "Das gesamte System muss auf den Prüfstand. Die Kommission ist da völlig offen. Wäre ein zusätzliches Zeichen sinnvoll?" Bis diese Frage entschieden ist, sollen nationale Gütesiegel erlaubt bleiben. Gerade den deutschen Abgeordneten war wichtig, dass das bewährte und europaweit bekannte GS-Zeichen zunächst weiter verliehen werden darf.