libanon
Drei Jahre nach dem »Beiruter Frühling« steckt das Land in tiefer Krise - die Wahl des Präsidenten ist nicht in Sicht
Kurz vor der französischen Botschaft ist kein Durchkommen mehr. Gitter blockieren die Straße, ein paar Schritte dahinter wacht ein Panzer über die Unversehrtheit der diplomatischen Vertretung der Grande Nation. Höchste Sicherheitsstufe herrscht hier, mitten im Zentrum der libanesischen Hauptstadt: Erst vergangene Woche mussten die französischen Kulturinstitute in Tripoli und Saida wegen Anschlagsgefahr ihre Türen schließen, und auch in Beirut kommen Besucher des an das Botschaftsgelände angrenzenden Centre Culturel Français nur nach aufwändigen Kontrollen zu ihren Sprachkursen.
Überall im Libanon ist die Spannung dieser Tage mit Händen zu greifen; an den wichtigsten Kreuzungen des Landes stehen Armeefahrzeuge. Seit drei Monaten hat die Zedernrepublik keinen Präsidenten mehr, und auch der 15. Anlauf, an diesem Dienstag einen Nachfolger für den im November vergangenen Jahres zurückgetretenen Emile Lahoud zu wählen, dürfte scheitern.
Denn alle Versuche, die von Parlamentspräsident Nabih Berri, dem Generalsekretär der Hisbollah, Hassan Nasrallah, und dem Vorsitzenden der Freien Patriotischen Bewegung (FPM), Michel Aoun, geführte Opposition zu einem Kompromiss mit der Regierungsmehrheit zu bewegen, sind bislang fehlgeschlagen. Weder Amr Moussa, der Generalsekretär der Arabischen Liga, noch Frankreichs Außenminister Bernard Kouchner fanden die Zauberformel: Diese müsste nach den Vorstellungen der von Syrien und dem Iran unterstützten Opposition das Vetorecht für ihre Minister in einer nach erfolgter Präsidentenwahl zu bildenden "Regierung der nationalen Einheit" enthalten - eine Forderung, die Premier Fuad Siniora und seine Verbündeten ablehnen.
In den vergangenen Wochen kam es zudem fast täglich zu bewaffneten Zusammenstößen rivalisierender Regierungs- und Oppositionsanhänger. Auch unweit der französischen Botschaft: Mehr als ein Dutzend Verletzte forderten Straßenschlachten im gemischten sunnitisch-schiitischen Stadtteil Ras al-Nabaa Mitte des Monats. Schon in den Tagen zuvor waren hier Gefolgsleute des wichtigsten sunnitischen Politikers des Landes, Saad Hariri, mit schiitischen Unterstützern von Parlamentspräsident Nabih Berri, der der nach der Hisbollah größten schiitischen Partei, Amal, vorsteht, an- einander geraten.
Wie die französische Botschaft liegt auch Ras al Nabaa nahe der Green Line, der einstigen Frontlinie während des Bürgerkrieges zwischen 1975 und 1990. Noch heute sind viele Gebäude in der Gegend von Einschusslöchern übersät. Mit den Bildern von Berri oder Hariri gezierte Häuserwände liegen oft in ein und derselben Straße - und markieren die neue Konfrontationslinie. Eine Anwohnerin, die die Ausschreitungen von ihrem Balkon aus miterlebte, bemerkte danach entsetzt: "Es war Krieg. Sie wollten sich wirklich umbringen." Eine an der nahe gelegenen Université St. Joseph tätige Dozentin nimmt seit den Unruhen umständliche Umwege in Kauf, um nicht durch die gemischten Konfliktviertel fahren zu müssen.
Doch die gibt es trotz konfessionell weitgehend homogener Stadtteile - während des Bürgerkrieges flohen viele Christen in den Osten Beiruts, Muslime in den Westen - weiterhin. Politikwissenschaftler und Soziologen rechnen deshalb damit, dass es auch in den kommenden Monaten entlang dieser Schnittstellen zu Krawallen kommen wird wie am letzten Januar-Sonntag, als Hisbollah- und Amal-Anhänger im Südbeiruter Viertel Mar Mikhael aus Protest gegen die Strompolitik der Regierung Autoreifen anzündeten und Soldaten angriffen, ehe sich die Armee zur Wehr setzte. Sieben Tote waren das Ergebnis. In den Medien ist seitdem vom "Schwarzen Sonntag" die Rede, der den Auftakt bildete zur neuen Serie an Gewalt. Die noch vor einem Jahr geäußerte Hoffnung, die Opposition würde auf derartige, schon im Januar 2007 mit sieben Toten gewaltsam verlaufene Protestaktionen verzichten, erwies sich als zeitlich begrenzt. Das Spiel mit dem Feuer bleibt Grundkonstante der libanesischen Politik.
Beunruhigend ist zudem, dass bis heute keine Verantwortlichen für die inzwischen über zwanzig Anschläge verhaftet wurden, die das Land seit dem Mordversuch an Telekommunikationsminister Marwan Hamadeh im Oktober 2004 erschütterten. Allein seit vergangenem Dezember gingen vier Bomben hoch, die vorerst letzte traf Ende Januar Wissam Eid, eine Schlüsselfigur bei den Ermittlungen zum Anschlag auf den langjährigen Premierminister Rafiq Hariri, der gemeinsam mit 22 anderen Menschen im Februar 2005 bei einem Autobombenanschlag ums Leben kam. Auch elf kleinere Attacken auf Armeeposten in der Woche nach dem "Schwarzen Sonntag" konnten nicht aufgeklärt werden.
Das politische Kalkül hinter den Angriffen auf das Militär liegt auf der Hand: Je tiefer die Armee in den Schlagabtausch zwischen Regierungsmehrheit und Opposition hineingerät, desto geringer die Chancen für ihren Oberkommandierenden Michel Suleiman, als Präsident akzeptiert zu werden. Damit rückt die vom Generalsekretär der Arabischen Liga, Moussa, ebenso wie von Frankreichs Außenminister Kouchner unterstützte schnelle Wahl Suleimans in weite Ferne. Zwar stimmen beide Seiten im Prinzip darin überein, dass es sich bei dem katholischen Maroniten aus der nördlich von Beirut gelegenen Mittelmeergemeinde Am-shit um den geeigneten Kandidaten handele. Doch die Opposition weigert sich, Suleiman zu wählen, wenn nicht vorher Einigkeit über die Zusammensetzung des neu zu bildenden Kabinetts und die Verteilung wichtiger Staatsämter wie etwa des Postens an der Armeespitze erzielt wurde.
Galt Suleiman noch im vorigen Sommer als hisbollahnahe, so hat ihn seine überraschende Nominierung durch Mitglieder der Regierungsmehrheit in den Reihen der Nasrallah-Organisation suspekt gemacht. Hardlinern der "14. März"-Bewegung innerhalb der Regierungsmehrheit, benannt nach der größten Demonstration während des auf den Mord an Hariri folgenden kurzen "Beiruter Frühlings" der Demokratie, käme ein Abschied von Suleiman ebenfalls gelegen: So könnte am Ende doch noch einer ihrer Kandidaten die Nachfolge des verhassten Syrien-Gefolgsmanns Lahoud antreten.
Dessen Konterfei hängt bis heute in Gegenden, die von der Opposition dominiert werden, so etwa entlang der am "Schwarzen Sonntag" von den jungen Krawallmachern blockierten Flughafenstraße. Im Herbst 2004 hatte die damalige Protektoratsmacht im Libanon, Syrien, die Parlamentarier zur Annahme einer verfassungswidrigen Amtszeitverlängerung Lahouds gezwungen. Minister wie Hamadeh und der nur wenige Monate später ermordete Premierminister Hariri protestierten gegen diesen Schritt - die dem Attentat folgende Demokratiebewegung des "Beiruter Frühlings" führte im April 2005 zum Rückzug der 1976 in den Libanon einmarschierten syrischen Truppen.
Poster von Suleiman hingegen, die im vergangenen November in den von Hariri-Anhängern dominierten Stadtteilen angebracht wurden, sind inzwischen verschwunden - ein deutliches Zeichen, dass sich beide Seiten auf ein lange anhaltendes Machtvakuum an der Spitze des Staates einstellen. Das Kalkül dahinter ist klar: Bei einem Aussitzen der Krise bis zum Sommer 2009, wenn die Neuwahl des Parlaments ansteht, könnten Hisbollah und die von Michel Aoun geführte Freie Patriotische Bewegung die Zweidrittelmehrheit für die Wahl ihres eigenen Kandidaten erreichen. Der heißt immer noch Aoun, war von 1984 bis 1989 selbst Oberkommandierender der Armee und in der Endphase des Bürgerkriegs Premierminister einer christlich dominierten Parallelregierung.
Auch die von Hariri und Premierminister Siniora geführte Regierungsmehrheit profitiert letztlich davon, sich einer raschen Präsidenten zu widersetzen. Schließlich würde sie bei der folgenden Umbildung des Kabinetts Posten verlieren. Mehr als ein Patt mit der von Iran und Syrien unterstützten Opposition können die von der ehemaligen Protektoratsmacht Frankreich, den USA und den wichtigsten Verbündeten des Westens in der Region, Saudi-Arabien und Ägypten, antisyrischen Kräfte im Libanon also kaum erreichen.
Zwar demonstrierten mehr als 100.000 Anhänger Hariris, Ex-Präsident Amin Gemayels und Walid Jumblatts, des Vorsitzenden der Sozialistischen Fortschrittspartei (PSP), am dritten Todestag Hariris am 14. Februar Stärke, als sie auf dem Märtyrerplatz im Herzen der Hauptstadt die Kontinuität des "Beiruter Frühlings" von 2005 feierten. Aber nur wenige Kilometer südlich des Stadtzentrums fand zur gleichen Zeit die nicht minder gut besuchte Trauerfeier für den vor zwei Wochen in Damaskus bei einem Autobombenattentat umgekommenen Imad Mughniyah statt, Gründungsmitglied der Hisbollah und für zahlreiche terroristische Aktionen verantwortlich. Auch Irans Außenminister Manoucher war anwesend, als Nasrallah mit der Vernichtung Israels drohte - und dem südlichen Nachbarn einen "offenen Krieg" prophezeite.
Ob die Hisbollah nach dem verlustreichen, von ihr dennoch als "göttlicher Sieg" gefeierten Juli-Krieg von 2006 wirklich ein weiteres israelisches Massenbombardement in Kauf nehmen will, ist offen. Der "Beiruter Frühling" jedenfalls, im Libanon einfach nur als Unabhängigkeitsaufstand bezeichnet, ist längst vorbei - stattdessen ist der Zedernstaat von schleichendem Zerfall geprägt: Seit dem Rücktritt der schiitischen Minister im November 2006 erkennt die Opposition die Regierung nicht mehr an. Da Berri außerdem das Parlament geschlossen hält, können die Mehrheitsabgeordneten keine Gesetze verabschieden. Und einen Präsidenten gibt es auch nicht. Vom failing zum failed state ist es da nur ein kleiner Schritt.