ISRAEL
Parlamentspräsidentin Dalia Itzik zum 60. Jahrestag der Staatsgründung
Nach der Unterzeichnung des Luxemburger Abkommens 1952 und der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und Deutschland 1965 konnte niemand die weitere Entwicklung voraussehen. Niemand konnte ahnen, dass echte freundschaftliche Beziehungen wachsen würden, wenn man bedenkt, vor welch schrecklichem Hintergrund diese Beziehungen einmal standen.
Die Vorstellung an sich, dass der auf der Asche des Holocausts gegründete jüdische Staat in den Dialog mit Deutschland treten würde, war für viele Menschen eine Horrorvorstellung. Den Holocaust-Überlebenden, die in Israel lebten, fiel es schwer, die Beziehungen zum "anderen Deutschland", wie es der erste israelische Premierminister David Ben Gurion nannte, zu akzeptieren.
Aber schon damals zeigte sich, dass die Beziehungen zwischen den Völkern nicht nur auf gefühlsmäßigen Erwägungen beruhen konnten. Ungeachtet des schmerzlichen Erbes der Vergangenheit und angesichts der sich verändernden Wirklichkeit war uns klar, dass Feindschaft zwischen den Völkern nicht in alle Ewigkeit fortbestehen durfte.
Deutschland und Israel haben gemeinsame Werte und Interessen. Beide Staaten stützen sich auf die Grundlagen der Demokratie, schützen die Freiheit ihrer Bürger und gehen entschlossen gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit vor.
Deutschland ist heute der größte Freund Israels in Europa. Es ist neben den USA das einzige Land der Welt, das Israel auf sicherheitspolitischer, militärischer und wirtschaftlicher Ebene hilft.
Wir wollen auch in Zukunft Brücken bauen. Wir glauben, dass Menschen und Länder sich verändern können. Ich freue mich besonders, dass die Jugend die Brücke zwischen unseren beiden Ländern baut. Die gegenseitigen Besuche von Jugendgruppen und die daraus entstehenden lang andauernden Kontakte zwischen den Menschen schaffen ein festes Band der Freundschaft, des Verständnisses und der Sühne.
Der Staat Israel wurde drei Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs gegründet. Unter den Staatsgründern waren die Überlebenden der Todeslager sowie die Kämpfer, die aus den zerstörten Ghettos und den Wäldern hervorkamen, und die Flüchtlinge - die einzigen Überlebenden der einstmals größten jüdischen Gemeinschaft in Europa.
Wir bauten einen Staat im Land unserer Ahnen auf - an der Wiege unserer Geschichte. Wir bauten einen jüdischen Staat auf, um nicht länger als Staatenlose leben zu müssen und um uns vor unseren Feinden zu schützen. Wir taten dies aus einem Gefühl der Verantwortung gegenüber den sechs Millionen Opfern des Holocausts und den zukünftigen Generationen heraus.
Israel musste von Anfang an um sein Überleben kämpfen, obwohl es seine Hand zum Frieden ausstreckte. Die Armeen unserer arabischen Nachbarn versuchten sofort, unseren Staat zu zerstören. Wir gewannen diesen Krieg, aber ihm folgten weitere schwierige und grausame Kriege. Das Blut unserer Jugend wurde für die Bewahrung unserer Unabhängigkeit vergossen.
Allmählich erkannten unsere Feinde, dass Israel militärisch nicht zu besiegen ist und fanden sich nach und nach mit unserer Existenz ab. Ägypten war das erste Land, das ein Friedensabkommen mit Israel unterzeichnete. Später folgte das haschemitische Königreich Jordanien, unser wichtigster Nachbar im Osten.
Wir befinden uns mitten im Dialog mit der gewählten Palästinensischen Autonomiebehörde und versuchen, auf der Grundlage des Friedenswunsches beider Parteien und der Anerkennung der Zwei-Staaten-Lösung, zu einer Einigung zu kommen. Die Menschen in Deutschland wissen aus eigener Erfahrung, dass es nicht leicht ist, die Feinde von gestern zu Partnern von morgen zu machen.
Israel hat die Aufrichtigkeit seiner Absichten durch territoriale Zugeständnisse bewiesen. Vor drei Jahren räumten wir blühende Städte und Dörfer im Gazastreifen und gaben das Land den Palästinensern. Unmittelbar danach riss die Hamas die Macht im Gazastreifen mit Gewalt an sich und begann damit, täglich Raketen und Granaten auf israelische Städte und Dörfer jenseits der Grenze zu feuern.
Israel ist für die Sicherheit seines Volkes verantwortlich und deshalb verpflichtet, sich zu verteidigen und Leib und Leben und das Eigentum der Menschen zu schützen. Kein Land würde tatenlos zusehen, wenn sich Kinder auf ihrem Schulweg nicht sicher auf der Straße bewegen könnten und eine einfache Fahrt zum Supermarkt lebensgefährlich wäre.
Gleichzeitig kämpfen wir gegen einen extremistischen islamischen Terrorismus, der keine Grenzen kennt. Dieser Krieg richtet sich nicht nur gegen Israel. Er richtet sich gegen die gesamte freie Welt.
In diesem Zusammenhang dankt Israel Deutschland sehr für seine Bemühungen um die Freilassung der entführten und immer noch gefangen gehaltenen israelischen Kinder. Dies habe ich anlässlich der Sondersitzung zu Ehren von Bundeskanzlerin Merkel in der Knesset zum Ausdruck gebracht. Die Bemühungen Deutschlands sind für uns ein großer Trost.
Ungeachtet der Probleme und der Arbeit, die noch vor uns liegt, ist der Staat Israel im Rückblick auf die vergangenen 60 Jahre eine außergewöhnliche Erfolgsgeschichte.
Wir haben eine blühende Wirtschaft, wichtige technologische und wissenschaftliche Errungenschaften, eine fortschrittliche Landwirtschaft, ein gutes Bildungssystem und fruchtbare Beziehungen zu den meisten Ländern der Welt, und wir haben im Laufe der Jahre mehrere Millionen Einwanderer in unsere Gesellschaft integriert. Wir haben eine schlagkräftige Armee, die für uns die beste Überlebensgarantie in dieser gefährlichen Region ist. Und wir haben eine stabile Gesellschaft, die sich in Zeiten des Krieges und Terrors als außergewöhnlich widerstandsfähig erwiesen hat.
Der große Philosoph Martin Buber hat einmal gesagt, dass die Sorge das Geheimnis des Überlebens der Juden ist. Wir haben allen Grund, uns Sorgen zu machen.
Die fanatische politische Führung des Iran setzt alles daran, einen radikalen islamischen Block im ganzen Nahen Osten zu schaffen.
Mit dem erklärten Ziel, den Staat Israel zu vernichten, versucht der Iran alles, um zu einer Atommacht zu werden. Der iranische Präsident hat uns in dem Glauben, dass die Welt, die während des gesamten Holocausts schwieg, auch jetzt schweigen wird, zu seiner Zielscheibe gemacht.
Man muss aber daran erinnern, dass die atomare Bedrohung durch den Iran nicht nur Israel, sondern auch die Länder Europas und die gesamte Welt trifft. Wir begrüßen ausdrücklich Deutschlands entschlossene Haltung gegenüber der atomaren Aufrüstung des Iran.
Im 60. Jahr seit seiner Gründung ist der Staat Israel stolz darauf, zu den stabilen Demokratien der Welt zu zählen.
Das israelische Volk ist voller Energie und will auch in Zukunft einen wichtigen Beitrag zur Welt der Technologie, der Medizin und der Kultur und in allen Bereichen des menschlichen Fortschritts und der menschlichen Vorstellungskraft leisten.
Wir werden uns auch in Zukunft für eine bessere Welt für uns und unsere Nachbarn und die gesamte Menschheit einsetzen.
Die Autorin, geboren 1952 in Jerusalem,
ist seit 2006 Präsidentin des
israelischen Parlaments, der Knesset.
Übersetzung: Thomas Santelmann