INDIEN
Nach den Terroranschlägen von Bombay wächst der Druck auf die Regierung
Vor gähnend leeren Bänken sprach Indiens Innenminister Palaniappan Chidambaram am 17. Dezember im Parlament über Terrorbekämpfung. Kaum mehr als 78 von über 580 Volksvertretern waren zur Stelle, um eine neue Strategie nach dem schwersten Anschlag zu beraten, den das Land bislang erlebt hat. Drei Tage hatten Attentäter Bombay in Atem gehalten, als sie zwei Luxushotels und ein jüdisches Gemeindezentrum besetzten. Über 180 Menschen waren dabei ums Leben gekommen, darunter 28 Ausländer.
Das Desinteresse der Parlamentarier in Neu Delhi kommt nicht von ungefähr: Es ist nicht das erste Mal, dass sich Indien spezielle Anti-Terrorgesetze gibt. Ein ähnlich konzipiertes Maßnahmenbündel wurde 2004 nach nur zwei Jahren abgeschafft, weil es massivem Rechtsmissbrauch Vorschub leistete, ohne die Bekämpfung des Terrorismus zu verbessern. Anti-Terror-Gesetze waren auch nach einer Bombenserie in Bombay 1993 erlassen worden und wurden bald wieder aufgehoben. Noch immer sind aus dieser Zeit offiziell mindestens 142 Menschen ohne rechtmäßíge Verurteilung in Haft. So verwundert nicht, dass das Parlament wenig Zeit für das Terror-Thema fand. Das im Hau-Ruck-Verfahren mit Blick auf die Parlamentswahlen 2009 zusammengezimmerte Gesetzespaket ist, kaum verabschiedet, erneut wegen seiner massiven Einschränkung der Bürgerrechte in der Kritik.
Die USA hätten nach dem 11. September 2001 ein Jahr lang über Anti-Terror-Gesetze beraten, kritisierten Journalisten den legislativen Schnellschuss. "Man kann es nicht einmal als alten Wein in neuen Schläuchen bezeichnen", spottete die Wirtschaftszeitung "Mint".
Seit Tagen schon liegen die Nerven blank bei Indiens Regierung. Sie beschuldigt "Elemente aus Pakistan", das Blutbad in Bombay verübt zu haben. Täglich gilt es mehr Hinweise darauf, dass die Drahtzieher im Nachbarland sitzen. Der einzige von der Polizei gefangene Terrorist soll gestanden haben, der militanten Islamistenorganisation Lashkar e Toiba anzugehören. Auch die USA und Großbritannien haben erklärt, es gebe starke Anhaltspunkte in diese Richtung. Doch der Fingerzeig auf Pakistan bringt Indien in Not. Denn Lashkar e Toiba, die "Armee der Reinen", ist in Indien keine Unbekannte. Ein Anschlag auf das indische Parlament 2001 geht auf das Konto der Gruppe. Die Organisation, die im Kaschmir-Aufstand gegen Indien ihre Sporen verdient hat, soll auch gute Verbindungen zu Al Qaida und den Taliban unterhalten. Zudem wurde sie zeitweilig von Rängen des mächtigen pakistanischen Geheimdienstes ISI gefördert.
Ahmed Rashid, ein Journalist aus Pakistan und Autor zahlreicher Bücher über islamistischen Terror, glaubt, dass die Anschläge von Al Qaida geplant und von Lashkar verübt wurden. "Al Qaida will die Spannungen zwischen Indien und Pakistan so verschärfen, dass Pakistan Truppen von der afghanischen an die indische Grenze verlegt. Das würde Al Qaida freie Hand im Grenzgebiet zu Afghanistan geben."
Pakistans neue Regierung hat versprochen, ernst zu machen mit der Bekämpfung der Terroristen im eigenen Land. Im September zerstörten Islamisten das Marriott-Hotel in Islamabad - mehr als 50 Menschen starben. Präsident Asif Ali Zardari schwor, das "Krebsgeschür des Terrors" auszurotten. Doch kaum einer glaubt, dass diese Entscheidung in seiner Hand liegt. Mehr als die Hälfte seiner Geschichte stand Pakistan unter Militärherrschaft. Das hat tiefe Spuren hinterlassen: Die neue, demokratisch gewählte Regierung in Islamabad kann keine Politik am Sicherheitsapparat vorbei machen. Jahrzehntelang hat dieser islamistische Terrorgruppen aufgepäppelt, um politischen Einfluss in den Nachbarländern, besonders in Indien und Afghanistan, zu gewinnen. Teile des Geheimdienstes und des Militärs wollen ungern auf diese Option verzichten.
Pakistans Armeechef Asfaq Kayani hat erst vor gut zwei Monaten den ISI-Chef austauschen lassen. Der jetzige Chefspion, Ahmed Shuja Pasha, gilt wie Kayani als USA-freundlich und hat viel Erfahrung mit der Bekämpfung von Taliban und Al Qaida. Seine Ernennung gilt als Zeichen dafür, dass der ISI seine traditionelle Ausrichtung, den Kaschmir-Kampf gegen Indien, verändert. Das ist offenbar nicht nach Jedermanns Geschmack. Teile des Apparats scheinen unwillig, ihren Fokus weg von Indien zu bewegen. Das Massaker vom Bombay könnte ein Zeichen für einen Richtungskampf im ISI und im Militär sein. Die Attentatserie düpiert die zivile Regierung und den bislang als loyal zur Regierung auftretenden Militärchef. Die Kräfte, die hinter dem Anschlag stecken, wollen vor allem eines: die alte Feindschaft zwischen Indien und Pakistan pflegen.
In dieses Bild passt auch das Attentat auf die indische Botschaft in Afghanistan Anfang August, in das der ISI verwickelt sein soll. Das zeigt, wie brandgefährlich ein solcher Richtungskampf für die ganze Region werden könnte. "Eine zivile Regierung in Pakistan ist noch nie gut für Indien gewesen", betonte der ehemalige indische Botschafter in Pakistan, G. Parthasarathy, in der "Mail Today": "Wenn dort eine Militärregierung an der Macht ist, hat das den Vorteil, dass man wenigstens mit den Leuten redet, die das Land regieren".
Indien steckt in einer Zwickmühle: Immer stärker wird der Druck im eigenen Land, eine härtere Gangart gegenüber Islamabad einzuschlagen. Die Regierung steht mitten im Wahlkampf und muss nach zahlreichen Pannen während und vor dem Attentat um ihr politisches Überleben fürchten. "Eine Provokation von solcher Stärke hat es bislang noch nicht gegeben", sagt Paul Kapur, ein Südasien-Experte, der im amerikanischen Stanford lehrt.
Auf der anderen Seiten machen die USA Druck, damit der fragile Friedensprozess zwischen Indien und Pakistan weiter geht. Indien scheint im Moment entschlossen, dem Terror weniger durch einen neue Konfrontation mit Pakistan, sondern durch Stolz und Zurückhaltung die Stirn zu bieten. Groß prangt die rote Kuppel des von den Terroristen schwer beschädigten Taj Mahal Hotels in Bombay auf ganzseitigen Zeitungsanzeigen, darunter steht voller Pathos: "Ich habe mich behauptet, als menschliche Geschichte sich entwob in seinem zeitlosen Lauf von Gelächter und Tränen, Mut und Feigheit. Gut und Böse. Ich werde obsiegen."