Nur die Schiene erinnert noch an die Knieoperation vor vier Wochen, ansonsten ist Martin Gerster agil auf den Beinen. Gerade kommt der SPD-Politiker, der seit 2005 den Wahlkreis Biberach-Wangen im Bundestag vertritt, von der Reha zurück, die er eisern absolviert: Sechs Uhr aufstehen, sieben Uhr Krankengymnastik, zehn Uhr Bundestag. Der 37-Jährige zuckt die Schultern. Wer nicht nur Mitglied im Sportausschuss, sondern auch passionierter Fußballer und Radler ist, der will schnell wieder fit sein: "Zehn Minuten ohne Widerstand", die er derzeit auf dem Ergometer radeln darf, reichen ihm nicht. Doch Gerster nimmt es gelassen, Knieprobleme kennt er seit langem: Ein Kreuzbandriss hatte schon früh den Traum von einer Leistungssportlerkarriere platzen lassen.
Aus der Not macht Martin Gerster eine Tugend: Wenn er nicht mehr Fußballprofi werden kann, so will er wenigstens über Fußball schreiben: Als 16-Jähriger wird er freier Mitarbeiter der "Schwäbischen Zeitung". "Der SV Biberach stieg von der Landesliga zur Oberliga Baden-Württemberg auf und der Bedarf an Berichten war groß", erzählt er. Doch Gerster will mehr: "Es war immer die Kombination von Sport und Politik, die mich interessiert hat."
Noch vor dem Abitur tritt Gerster Anfang 1991 in die SPD ein. In der CDU-Hochburg Oberschwaben ist dies auch ein Akt des Protests: "Als Schülerzeitungsredakteur wurde man vor einem Interview mit dem Oberbürgermeister erstmal gefragt, ob man denn auch bei der CDU sei", erinnert sich Gerster. Selbst Politiker zu werden, ist für ihn erst jedoch keine Option: "Ich wollte Redakteur werden." Schon bald bekommt er dazu die Chance: Die private Hörfunkstation "Radio 7" sucht einen Volontär. Gerster kann dort das tun, was ihm liegt: über Sport und Politik berichten. "Ich habe damals die Region kennengelernt und viele der Entscheidungsträger interviewt", erzählt er. So wie Matthias Weisheit, den damaligen Biberacher Wahlkreisabgeordneten und Gersters späteren politischen Ziehvater. Es ist ein Zusammentreffen mit Folgen: Weisheit will Gerster 1994 für seinen Bundestagswahlkampf engagieren. Dieser hat gerade begonnen, Politikwissenschaft in Mainz zu studieren und ist verblüfft: "Ich hatte noch nie einen Wahlkampf organisiert!" Aber Gerster macht seine Sache gut und ist auch 1998 wieder im Team: Er moderiert eine Kundgebung mit dem damaligen Kanzlerkandidaten Gerhard Schröder - "vor 12.000 Leuten auf dem Ulmer Münsterplatz", wie Gerster nicht ohne Stolz hinzufügt. Spätestens da ist er vom ‚Virus Politik' infiziert: "Ich dachte, Wahlkampf ist doch das Tollste." Das wird der Grundstein seiner eigenen Karriere, ohne dass ihm dies zunächst bewusst ist: 1999 fliegt er in die USA, um beim "Democratic National Committee"und für die Kampagne "Hillary Clinton for Senate" als Wahlkampfhelfer zu arbeiten. "Es war unglaublich", schwärmt er in Erinnerung an ein Treffen mit der künftigen US-Außenministerin.
Zurück in Baden-Württemberg geht der Wahlkampf weiter: Die SPD-Kandidatin Ute Vogt will Erwin Teufel (CDU) als Ministerpräsidentin ablösen, Gerster soll helfen. Der Wechsel klappt aber nur für ihn: 2002 wird er Parlamentarischer Berater im Stuttgarter Landtag. Ein Jahr zuvor hat er schon den Vorsitz im SPD-Kreisverband Biberach übernommen. Eine eigene Kandidatur kann er sich jedoch nicht vorstellen - bis 2004 Matthias Weisheit stirbt, der Mann, "der mir die Tür zur Politik geöffnet hat". Während er noch zögert, ist für die Biberacher SPD klar: "Der Martin macht's!"
Heute ist ihm bewusst, dass er in der Politik richtig ist - auch, um sich als stellvertretender Sprecher der SPD-Arbeitsgruppe Rechtsextremismus für sein Herzensthema zu engagieren: "Sport kann vieles leisten, was wir gesellschaftlich sonst schwer schaffen, Integration etwa", sagt Gerster. Umso mehr ärgert es ihn, wenn Fußball von Rechtsextremen missbraucht wird. Das dürften die Verbände nicht zulassen. Genug Arbeit, auch für die nächste Wahlperiode. Eine Kandidatur schließt Gerster nicht aus. Nicht zuletzt auch, um wieder in der Bundestags-Elf kicken zu können - wenn sein Knie ausgeheilt ist.