Pendlerpauschale
Das Bundesverfassungsgericht hat die Entfernungspauschale gekippt. Über eine Neuregelung aber soll erst nach der Wahl entschieden werden
Für die einen war es schon immer klar, die anderen mussten erst auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts warten: Die weitgehende Abschaffung der Entfernungspauschale ist verfassungswidrig. Nach dem Urteil des Verfassungsgerichts vom 9. Dezember verletzt die seit 2007 geltende Regelung, wonach Fahrten zum Arbeitsplatz erst ab Kilometer 21 absetzbar sind, den Grundsatz der Gleichbehandlung. Millionen von Pendlern können vom Finanzamt mit Nachzahlungen rechnen.
Zum 1. Januar 2007 hatte der Gesetzgeber die Entfernungspauschale geändert. Seitdem können die ersten 20 Kilometer zwischen Wohnort und Arbeitsplatz nicht mehr steuerlich abgesetzt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil den Gesetzgeber nun verpflichtet, rückwirkend die Verfassungswidrigkeit zu beseitigen. Bis zu einer Neuregelung muss die Pauschale unbeschränkt ab dem ersten Kilometer gewährt werden.
Durch die Umgestaltung der Pendlerpauschale hatte sich der Staat Einsparungen von 2,5 Milliarden Euro jährlich erhofft. Diese Hoffnung erfüllte sich nicht. Im Gegenteil: Für die Jahre 2007 und auch 2008 sollen die Pendler ihr Geld zurückbekommen. Da die Finanzämter erst im kommenden Jahr mit der Rückzahlung beginnen können, steigen auch dann erst die Ausgaben.
Nach einem Bericht des Bundesfinanzministeriums an den Haushaltsausschuss kommen 2009 dafür Ausgaben von rund 5,44 Milliarden Euro auf den Staat zu. Der Bund hat davon 2,48 Milliarden Euro zu tragen, die Länder 2,19 Milliarden Euro und die Gemeinden 0,77 Milliarden Euro. Auch 2010 werden die Nachwirkungen der Nachzahlungen noch zu spüren sein. Dann rechnet das Finanzministerium mit Ausgaben von 3,01 Milliarden Euro. Davon müssen der Bund 1,39 Milliarden tragen, die Länder 1,23 Milliarden Euro und die Gemeinden 0,44 Milliarden Euro. Erst im Jahr 2011 soll sich wieder alles auf die alte Ausgabensumme von 2,5 Milliarden Euro pro Jahr stabilisieren. Wenn bis dahin nicht das Gesetz erneut geändert wird.
Das sieht aber zurzeit nicht so aus. Die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesfinanzministerium, Nicolette Kressl (SPD), sagte am 17. Dezember in einer aktuellen Stunde dazu: "Die Bundesregierung wird angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Situation keine Maßnahmen ergreifen, um die mit dem Urteil verbundenen Steuerausfälle an anderer Stelle zu kompensieren." Bis 2009 werde bei der alten Regelung geblieben, um dem zukünftigen Gesetzgeber nach der Wahl die Möglichkeit zu geben, 2010 oder später über die vorgeschriebene Neuregelung in Ruhe zu entscheiden. "Ich glaube, wir haben den richtigen Weg eingeschlagen", meinte Kressl.
Diesen Zeitplan bestätigte Otto Bernhardt (CDU/CSU). Nach seiner Auffassung kann auch für das Jahr 2010 keine neue Regelung getroffen werden. "Wir müssen uns jetzt überlegen, wie wir das rechtlich handhaben", sagte er. Dass die Bürger im kommenden Jahr rund 5 Milliarden Euro zurückerhalten würden, sei in derzeitiger wirtschaftlicher Situation "konjunkturpolitisch vernünftig". Bei 15 Millionen Pendlern erhalte jeder durchschnittlich 300 Euro. Für Reinhard Schultz (SPD) ist das Ganze ein Lehrstück dafür, wie sorgfältig man künftig mit der Steuergesetzgebung umgehen müsse. Man müsse sich darauf verständigen, dass die Mobilitätskosten, die Arbeitnehmer haben, künftig immer in irgendeiner Form berücksichtigt werden müssten.
Volker Wissing (FDP) wies darauf hin, dass die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts absehbar gewesen sei. Bereits im Gesetzgebungsverfahren hätten alle Sachverständige auf einen eklatanten Verstoß gegen das Grundgesetz hingewiesen. Deshalb habe die Wiedereinführung der Pendlerpauschale nichts mit einem Konjunkturprogramm zu tun. Es sei keine großzügige Geste der Bundesregierung, den Menschen für die Jahre 2007 bis 2009 insgesamt 7,5 Milliarden Euro zurückzugeben. "Es ist schlicht und einfach der Sieg der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler über die Finanzpolitik der großen Koalition", sagte er.
Für Barbara Höll von der Linksfraktion war die Abschaffung der Pendlerpauschale "von Anfang an Murks". Das Schlimme daran sei, dass "sehendes Auges verfassungswidrige Gesetze durch den Bundestag durchgedrückt" würden. Das Gericht habe klar herausgestellt, dass der Grundsatz der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit gelte. Dies sei umso nötiger gewesen, als die Große Koalition zunehmend Reiche und Vermögende entlasten würde.
Auch für Christine Scheel (Bündnis 90/Die Grünen) war das Gesetz von Anfang an nicht verfassungskonform. Es sei genügend Zeit gewesen, rechtzeitig eine vernünftige Lösung vorzulegen. Auch Scheel hält die Zurückzahlung der Pendlerpauschale nicht für ein Konjunkturprogramm. Jeder zweite Haushalt in Deutschland zahle keine Steuern und könne somit auch nicht von der Rückzahlung der Pendlerpauschale profitieren. Scheel setzte sich für eine unhängig vom Verkehrsmittel zu zahlende Mobilitätszulage ein. Denjenigen, die keine Lohnsteuer zahlen müssten, könnte diese Mobilitätszulage ausgezahlt werden.