Der Zypernkonflikt ist beinahe ein halbes Jahrhundert alt; Weihnachten 2008 jährte er sich zum 46. Mal. Seit 1964, also seit 45 Jahren, unterhält die UNO eine Peacekeeping Force (UNFICYP) auf der Insel. Nach den Überwachungsmissionen in Israel/Palästina (UNTSO) und Indien/Pakistan (UNMOGIP) ist dies der drittlängste Einsatz von UN-Blauhelmen und der älteste Konflikt in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Da er seit 1974 kaum Stoff für Schlagzeilen lieferte, wurde er zu einem jener etablierten Konflikte, deren Ursachen und Existenz weitgehend in Vergessenheit gerieten. Kurzfristig Aufmerksamkeit erregten allenfalls hin und wieder neue Verhandlungen. Angesichts dieser Situation erscheint ein Blick in die Vergangenheit sinnvoll. 1
1878 wurde Zypern im Gefolge des Berliner Kongresses im Juni/Juli des selben Jahres 2 eine Art britisches Protektorat. 1914 annektierte Großbritannien die Insel. Im Friedensvertrag von Lausanne am Ende des griechisch-türkischen Kriegs von 1919 bis 1922 erkannte die Türkei die britische Annexion an und leistete formellen Verzicht auf Zypern. 1925 wurde Zypern Kronkolonie.
Seit der Jahrhundertwende verstärkte sich unter den griechischen Zyprioten der Wunsch nach Anschluss - Enosis - an Griechenland. Die Menschen hofften, dass die britische Regierung in einem Akt von Großmut - ähnlich wie im Fall der Ionischen Inseln 1864 - Zypern an das Mutterland abtreten würde. Aber diese glaubte, aus militärischen Gründen (Sicherung der Life Line durchs Mittelmeer) nicht auf Zypern verzichten zu können. 1931 schlug sich der Enosis-Wunsch zum ersten Mal sichtbar in größeren Unruhen nieder. Die Kolonialmacht unterdrückte diese und regierte die Insel bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs diktatorisch. Die griechische Regierung verhielt sich gegenüber dem griechisch-zypriotischen Wunsch nach Enosis äußerst zurückhaltend; die britische Schutzmacht sollte nicht verärgert werden. Im Zweiten Weltkrieg spielte Zypern keine Rolle, aber nach Ausbruch des Kalten Krieges und der Gründung der NATO und der CENTO (Central Treaty Organization oder Bagdad-Pakt) erlangte Zypern als Royal-Air-Force-Stützpunkt für Atombomber und Ausgangspunkt für Spionageflüge (U2) große Bedeutung. Vor diesem Hintergrund stand für London fest, dass Zypern als Ganzes britische Basis bleiben müsse.
1950 hielt die orthodoxe Kirche Zyperns ein inoffizielles Plebiszit über die Enosis ab. Im Ergebnis stand eine überwältigende Mehrheit für die Vereinigung mit Griechenland, was aber von der britischen Regierung ignoriert wurde. Der neugewählte Erzbischof Zyperns Makarios III. gab sich damit nicht zufrieden und zwang die Regierung Griechenlands unter Ministerpräsident Alexandros Papagos mit der Drohung zum Handeln, den Fall Zyperns vor die UNO zu bringen. Als Papagos zu verstehen gab, dass er beabsichtige, die Zypernfrage vor die UNO zu bringen, konterte der britische Premierminister Anthony Eden mit der Feststellung, Zypern sei auch eine Angelegenheit der Türkei. London versuchte, die griechischen Ambitionen durch türkische zu neutralisieren, also die Mutterländer gegeneinander auszuspielen. Die Türkei reagierte umgehend auf die britische Offerte: Falls sich am Status von Zypern etwas ändere, sei der Friedensvertrag von Lausanne hinfällig, und Zypern müsse an die Türkei zurückgegeben werde. Durch das britische taktische Manöver wurde Ankara zum Mitspieler im Poker um Zypern; zugleich löste London mit dieser Taktik einen neuen griechisch-türkischen Konflikt aus. Aber Großbritannien betrieb seine divide et impera-Politik nicht nur gegenüber Athen und Ankara, sondern spielte nun auch die Volksgruppen auf Zypern gegeneinander aus.
1955 begann der Kampf der griechisch-zypriotischen Untergrundorganisation EOKA (Nationale Organisation zypriotischer Kämpfer) unter dem ehemaligen griechischen Offizier Georgios Grivas, der auf Zypern geboren war; der politische Führer der EOKA war Makarios. Die türkischen Zyprioten misstrauten den Enosis-Bestrebungen, denn sie fürchteten, dass der Anschluss an Griechenland zu Diskriminierungen führen könnte. Sie wollten den Status quo aufrecht erhalten und wandten sich daher verstärkt Großbritannien zu. Dies gab der britischen Regierung die Möglichkeit, Inselgriechen gegen Inseltürken auszuspielen. Um eigene Kräfte zu sparen, stellte sie zur Bekämpfung der EOKA eine Polizeispezialeinheit aus türkischen Zyprioten auf, deren Einsatz zwangsläufig zur Konfrontation mit der EOKA führte. Mit britischer Duldung baute der türkische Generalstab ebenfalls eine bewaffnete Untergrundorganisation (zunächst VOLKAN, später TMT, die türkisch-zypriotische Gegenorganisation zur EOKA) auf. Militärischer Führer war stets ein türkischer Offizier; der politische Führer war Rauf Denktaş, seither der Repräsentant der türkischen Militärs auf Zypern. Die politischen Ziele der türkischen Seite wandelten sich während des Konflikts vom anfänglichen Wunsch nach Beibehaltung des Status quo zur Teilung der Insel, türkisch Taksim.
1958 kam es zu ersten Zusammenstößen zwischen der TMT und der EOKA. Zugleich bemühten sich beide Organisationen, funktionierende Kooperationsmodelle der beiden Volksgruppen zu zerstören. So ermordeten TMT-Anhänger zwei türkisch-zypriotische Führer der linken Gewerkschaften und terrorisierten Mitglieder des linken Gewerkschaftsbundes. Ein von der türkischen Regierung inszenierter Anschlag auf das Pressebüro des türkischen Konsulats in Nikosia ließ die Unruhen in einem Maße eskalieren, dass von bürgerkriegsähnlichen Zuständen gesprochen werden darf. Zugleich begann aber auch innerhalb der Volksgruppen ein Kampf gegen "Abweichler".
Das Ausspielen der Mutterländer löste 1956 den griechisch-türkischen Minoritätenkonflikt aus, zu dessen Opfer die Istanbuler Griechen wurden. Es entwickelte sich so etwas wie ein System kommunizierender Röhren: Wann immer Unruhen auf Zypern ausbrachen, kam es zu Unterdrückungsmaßnahmen gegen die Griechen Istanbuls. Die britische Kolonialpolitik des divide and rule löste letztendlich jene beiden anderen Konflikte aus, die bis heute die Region plagen.
Das gescheiterte Suez-Abenteuer der Briten von 1956 ließ den strategischen Wert Zyperns schrumpfen. Der neue britische Premier Harold Macmillan war beweglicher. Hinzu kam Druck aus den USA, die durch die ständigen Streitereien zwischen den NATO-Verbündeten Griechenland und Türkei die Südostflanke der NATO gefährdet sahen. Dies und die veränderte strategische Lage ließen die britische Regierung einlenken. Diese erkannte, dass militärische Stützpunkte in Zypern für die Präsenz im östlichen Mittelmeer ausreichen würden. 1959 veranlasste sie Griechen und Türken, sich in Zürich an einen Runden Tisch zu setzen und eine Lösung auszuhandeln.
Bei der bei den Gesprächen in Zürich und etwas später in London gefundenen Lösung handelte es sich jedoch um eine Scheinlösung, diente diese doch hauptsächlich der Beilegung des Konfliktes zwischen den NATO-Verbündeten und den Interessen der NATO. Die Briten konnten weiterhin durch ihre Basen präsent bleiben; Griechenland und die Türkei wurden zusammen mit Großbritannien Garantiemächte des neuen unabhängigen Staates Zypern. Sie durften Truppenkontingente auf der Insel unterhalten. Für die Zyprioten, die an den Verhandlungen nicht beteiligt waren, hatten die Abkommen jedoch einige schwerwiegende Schönheitsfehler: Die Ergebnisse wurde ihnen oktroyiert; die innerzypriotischen Konflikte waren nicht ausgeräumt, sondern im Gegenteil verschärft worden: Von nun an drohte bei jedem Volksgruppenkonflikt auf Zypern der Zusammenstoß der Mutterländer, was wiederum den Konflikt anheizte.
Makarios hatte erkannt, dass es nur die Alternative Teilung oder Unabhängigkeit gab. Da aber die Masse der griechischen Zyprioten nach wie vor die Enosis wollte, legte er wider besseren Wissens immer wieder Lippenbekenntnisse zu dieser ab. Auch die Führung der türkischen Volksgruppe war gespalten: Die Gemäßigten setzen sich für Kooperation und ein unabhängiges Zypern ein, die Radikalen wollten die Teilung (Taksim). Hinzu kam, dass Makarios die von der Verfassung vorgesehene faktische Gleichberechtigung der beiden Volksgruppen ablehnte; angesichts des Verhältnisses der Bevölkerungsteile von 80:18 strebte er nach einer privilegierten Partnerschaft für die Minorität. Dies war für die türkischen Zyprioten allein schon aus psychologischen Gründen inakzeptabel, schließlich hatten sie 80 Jahre zuvor die Insel beherrscht. Die nach großen Anstrengungen erarbeitete hochkomplizierte Verfassung konnte nicht funktionieren; ihr fehlte die entscheidende Voraussetzung: das gute Einvernehmen der Volksgruppen.
Der Konflikt brach 1963 offen aus, als Makarios 13 Verfassungsänderungen, darunter die Abschaffung des absoluten Vetorechts des türkischen Vizepräsidenten, durchsetzen wollte, ohne der anderen Seite Kompensationen anzubieten. Diesen Vorstoß bereits als Verfassungsbruch oder Aufkündigung der staatlichen Gemeinschaft zu bezeichnen, wie dies von türkischer Seite immer wieder zu hören ist, scheint allerdings weit übertrieben: Auch die britische Regierung war für eine Verfassungsrevision, wenn auch vermutlich auf einem diplomatischeren Weg. Makarios' unkluger Vorstoß stürzte Zypern in eine schwere Staatskrise.
Die Türkei verordnete der türkisch-zypriotischen Führung einen harten Kurs, was zu einem Eskalationsprozess von Provokationen und Gegenprovokationen führte, bei dem die Extremisten beider Seiten alles taten, um den Konflikt anzuheizen. Beide Seiten entwickelten wilde Pläne zur Durchsetzung ihrer Ziele, darunter auf griechischer Seite den so genannten Akritas-Plan, der allerdings keinen Genozid vorsah, wie immer wieder behauptet worden ist. Die Ausschreitungen zu Weihnachten 1963 eskalierten rasch und nahmen solche Ausmaße an, dass sie als innerzypriotischer Bürgerkrieg zu charakterisieren sind. Dabei tat sich besonders die Terroristengruppe von Nikos Sampson hervor, der sich selbst den Ruf eines besonders üblen "Türkenkillers" erwarb. Bei den Ausschreitungen agierten auf griechischer Seite unterschiedliche terroristische Gruppierungen, die zum Teil aus der alten EOKA hervorgegangen waren. Zwischen Dezember 1963 und dem Ende der Auseinandersetzung im Sommer 1964 verloren 350 türkische und 200 griechische Zyprioten ihr Leben.
Die blutige Auseinandersetzung lieferte dem Teilungsgedanken neue Nahrung. Anfangs kam es aus Angst vor Übergriffen der griechischen Extremisten spontan zum Auszug türkischer Zyprioten aus den gemischt besiedelten Orten. Aber schon bald wurde dieser Exodus durch die Führung der türkischen Volksgruppe instrumentalisiert und zu einer systematisch betriebenen Politik. Zögernden brachte die TMT mit "geeigneten" Mitteln bei, welches der richtige Weg sei. Im Nachhinein wird klar, dass hier ein politischer Kurs gesteuert wurde, der längerfristig auf die Teilung der Insel zielte. Die politisch unkluge Reaktion der griechisch-zypriotischen Führung, Blockaderinge um die türkisch-zypriotischen Enklaven zu legen und so die Bewohner von lebenswichtigen Ressourcen abzuschneiden, verschärfte noch die Tendenz zur Teilung. Für viele türkische Zyprioten sind die damaligen Übergriffe traumatische Erlebnisse, die ein Zusammenleben mit ihren griechischen Landsleuten nahezu unmöglich machen. Denktaş verwandte die Erinnerungen an den Schrecken von 1963 als Hauptargument, um eine Lösung auf der Basis der Rückkehr zum Status quo ante abzulehnen.
Die Jahre 1963 bis 1964 waren entscheidend für die Entwicklung des Zypernproblems. Die innerzypriotische Konfrontation sprang auf die Mutterländer über. In Istanbul kam es erneut zu Ausschreitungen gegen die griechische Minorität. Als im Dezember 1963 ein direkter griechisch-türkischer Zusammenstoß drohte, mischte sich US-Präsident Lyndon B. Johnson ein und verhinderte durch die so genannte Ball-Mission den Ausbruch eines Krieges zwischen Griechenland und der Türkei. Wenig später schlug die amerikanische Regierung in Abstimmung mit der britischen die Entsendung einer Friedenstruppe aus NATO-Kontingenten vor, darunter auch Einheiten der Bundeswehr. Makarios wusste, dass mit der NATO auch der militante Antikommunismus auf die Insel gelangen würde. Das hätte - wie in Griechenland - zu einem Verbot der kommunistischen Partei (AKEL) geführt, auf deren parlamentarische Duldung sich Makarios seit einiger Zeit stützte. Er lehnte daher das Angebot ab und wandte sich an die Sowjets. Der russische Ministerpräsident Nikita Chruschtschow, dem ein der NATO angehörendes Zypern ein Dorn im Auge gewesen wäre, mischte sich bereitwillig ein. Das Resultat war die Entsendung einer UNO-Friedenstruppe: der UNFICYP.
Bevor die UNFICYP-Truppen in größerer Zahl eintrafen, eskalierte der Konflikt auf Zypern erneut. Ende Mai 1964 befahl der türkische Staatspräsident Ismet Inönü eine militärische Invasion Zyperns für Anfang Juni. Nur durch massiven Druck in der Form eines Drohbriefes konnte Johnson die Invasion im letzten Moment abwenden. Der harsche Ton dieses Briefes verärgerte Inönü jedoch derart, dass er die türkische Außenpolitik auf einen Kurs größerer Unabhängigkeit von den USA brachte. Wie weit der Entfremdungsprozess ging, zeigt die Tatsache, dass die Türkei eine Art Flirt mit Moskau begann, der weitreichende Folgen hatte: Die türkische Regierung legte das Meerengenabkommen von Montreux von 1936 so liberal aus, dass es den Sowjets möglich war, eine Flotte ins Mittelmeer zu bringen, die den NATO-Strategen als so genannte Eskadra jahrelang Probleme bereitete.
Der Ärger mit Makarios veranlasste die Amerikaner zur erneuten Einmischung. In enger Kooperation mit den Briten entwickelte der ehemalige Außenminister Dean Rusk verschiedene Pläne für die Lösung des Zypernproblems, denen allen eines gemeinsam war: Die staatliche Existenz Zyperns sollte beseitigt, Zypern Griechenland angeschlossen werden und die Türken territoriale Kompensationen von Griechenland erhalten. Dieses Konzept ging unter der Bezeichnung doppelte Enosis in die Geschichte ein. Die Türkei war prinzipiell einverstanden, nur der damalige griechische Premierminister Georgios Papandreou hatte Skrupel, Zypern eine solche Lösung zu oktroyieren. Das verstimmte die Regierung der USA und hatte letztendlich weit reichende Folgen für die griechische Innenpolitik.
Obwohl die Türkei auf die Invasion verzichtet hatte, griff die türkische Luftwaffe in die erneut aufflackernden Kämpfe bei Kokkina in der Tillyria-Region ein und belegte griechisch-zypriotische Dörfer mit Napalmbomben. Als die Sowjetunion sich einmischte, reagierte die griechische Regierung nervös: Im Gespräch mit Amerikanern und Briten wurde jene Konzeption entwickelt, die unter der Bezeichnung "Enosis per Putsch" in die Geschichte einging: Es war geplant, dass Griechenland auf Zypern einen Staatsstreich organisieren, Makarios aus dem Weg räumen und im Anschluss daran sofort den Anschluss Zyperns an Griechenland proklamieren sollte. Die Amerikaner und Briten, so der Plan, würden die Türkei von übereilten Reaktionen abhalten. Sobald die Lage sich beruhigte, würde sich die griechische mit der türkischen Regierung über Kompensationen einigen. Zwar kam es aus verschiedenen Gründen 1964 nicht zur Ausführung dieses Plans, aber es war jene Blaupause entwickelt worden, welche die griechischen Militärs 1974 unter völlig anderen außenpolitischen Gegebenheiten zu realisieren versuchten. Als die Pläne der Amerikaner scheiterten, zog sich die Regierung der USA vorläufig aus der aktiven Zypernpolitik zurück.
Die Errichtung der Diktatur in Griechenland am 21. April 1967 hatte für Zypern zwei wichtige Folgen: Erstens wurden durch den außenpolitischen Dilettantismus der Militärs die diplomatische Position Griechenlands und seine militärische Präsenz auf Zypern geschwächt. Die Vorstellung, beim Anschluss der Insel an Griechenland werde die Diktatur importiert, führte bei vielen Zyprioten zu einer starken Abkühlung des Wunsches nach Enosis; es setze ein Prozess der Entfremdung ein. Makarios trug dem Rechnung, indem er seine Politik der Blockfreiheit verstärkte und auf Distanz zu Griechenland ging. Allerdings beging er einen Fehler, indem er das Verhältnis zu den türkischen Zyprioten nicht zugleich normalisierte und etwa die Blockadepolitik aufgab.
Makarios' Politik der Blockfreiheit provozierte - zweitens - die griechische Militärjunta, die erkannte, dass durch diese Politik die Enosis in weite Ferne rückte und Nikosia sich der Kontrolle durch das "nationale Zentrum" Athen entzog. Um Makarios zu stoppen, gab die Junta den Befehl, seine Position zu unterminieren. Grivas-Anhänger der radikalsten Art (der griechisch-zypriotischen paramilitärischen Organisation EOKA B) schmiedeten mehrere Komplotte gegen Makarios. Ihr Ziel war der Sturz von Makarios, wenn nötig durch Mord, zugleich provozierten sie die türkischen Zyprioten. Als bei den zypriotischen Parlamentswahlen 1970 die KP Zyperns (AKEL) massive Wahlgewinne erzielte, kam es in den USA zu irrationalen Reaktionen: Zypern wurde mit Kuba verglichen und Makarios als ein Castro im Priesterrock bezeichnet. Die Geheimdienste Griechenlands und der USA begannen, ihre Anstrengungen zum Sturz von Makarios zu koordinieren.
Der Yom Kippur-Krieg in Nahost vom Oktober 1973 verdeutlichte erneut die strategische Bedeutung Zyperns. Etwa zur gleichen Zeit rebellierten die Studenten des Athener Polytechnikums, Diktator Georgios Papadopoulos stürzte, und der Chef der Militärpolizei Dimitrios Ioannidis wurde neuer Diktator Griechenlands. Der Studentenaufstand hatte gezeigt, dass die Tage der Junta gezählt waren. Ioannidis brauchte also, um seine Position zu festigen, dringend einen Erfolg, und diesen glaubte er, ausgerechnet auf dem Feld der Zypernpolitik erringen zu können. Er beschloss, den Plan "Enosis per Putsch" von 1964 durchzuführen.
Der Athener Geheimdienst erhielt von Ioannidis den Auftrag, einen Staatsstreich gegen Makarios vorzubereiten, und die noch von Grivas während der Diktatur ins Leben gerufene Terroristengruppe, die EOKA B, steigerte ihre Aktivität. Am 15. Juli 1970 begann der Staatsstreich mit einem Attentat auf Makarios, das fehlschlug. Damit war der Putsch eigentlich gescheitert, aber die Putschisten gaben nicht auf. Da sie keinen vorzeigbaren Kollaborateur fanden, ernannten sie den als "Türkenkiller" berüchtigten Nikos Sampson zum Präsidenten. Dies musste die türkische Seite aufs Höchste provozieren, aber die Aufregung über Sampson war bei näherer Betrachtung nur ein bequemer Vorwand - die türkische Invasion war schließlich seit 1964 von langer Hand vorbereitet worden.
Die Türkei ging mit größter Vorsicht ans Werk. Ministerpräsident Bülent Ecevit wusste, dass US-Präsident Richard Nixon wegen des Watergate-Skandals praktisch handlungsunfähig war und Außenminister Henry Kissinger nichts gegen die Beseitigung eines Krisenherds einzuwenden hatte. Um sich keinen Ärger mit der Garantiemacht Großbritannien einzuhandeln, informierte Ecevit die britische Regierung. Es wurde ihm bedeutete, dass man selbst nicht intervenieren werde, aber nichts gegen eine unilaterale Aktion habe. Am 20. Juli 1973 erfolgte die Landung türkischer Streitkräfte bei Kyreneia. Ein Brückenkopf wurde gebildet und in den folgenden Tagen ausgeweitet. Am 23. Juli stürzte in Athen die Militärjunta. Einen Tag später kehrte der frühere Premier Kostas Karamanlis aus dem Pariser Exil nach Griechenland zurück und übernahm erneut das Amt des Premierministers. Um bei einem möglichen Krieg mit der Türkei über die griechischen Streitkräfte verfügen zu können, trat Griechenland an diesem Tag aus dem militärischen Teil der NATO aus. Dies war ein schwerwiegender Fehler, denn die NATO war bereit, vermittelnd einzugreifen. Am 25. Juli 1973 begannen Verhandlungen aller Beteiligten in Genf. Diese waren auch für die türkischen Militärs notwendig, denn die türkische Militärlogistik hatte den militärischen Erfordernissen nicht nachkommen können.
Diese erste Phase des unilateralen militärischen Eingreifens mittels einer Invasion der türkischen Streitkräfte durch das Interventionsrecht zur Wiederherstellung des Status quo ante wird von einigen für gerechtfertigt halten, da die andere Garantiemacht nicht bereit gewesen sei, ihren Verpflichtungen nachzukommen. Es lässt sich in der Tat darüber diskutieren, ob die Invasion gerechtfertigt war. Hätte Ecevit sich mit der Wiederherstellung des Status quo ante zufrieden gegeben, hätte er sich als großer Staatsmann erwiesen. Durch Mäßigung hätte er sein Land an Europa herangeführt. Statt dessen türmte er Hindernisse auf dem Weg der Türkei nach Europa auf, und die Militärs in Ankara konnten der Versuchung nicht widerstehen und befahlen am 14. August 1973 die Fortsetzung der Invasion. Bis zum 16. August besetzte die türkische Armee knapp 40 Prozent der Insel. Sie rückte bewusst langsam vor, um den griechischen Zyprioten die Möglichkeit zur Flucht zu geben. Wo diese nicht freiwillig gingen, wurde mit Gewalt nachgeholfen. Es kam es zu Massenexekutionen Hunderter von Zivilisten und Kriegsgefangener, Vergewaltigungen und Misshandlungen. Es gab viele Tote (980 auf der griechischen Seite). Insgesamt wurden etwas über 170 000 griechische Zyprioten vertrieben. 3 Die Vertreibungen im Norden der Insel durch die türkische Armee provozierten im Süden der Insel vereinzelt heftige Reaktionen. Viele türkische Zyprioten verließen ihre Wohnorte und setzten sich nach Norden ab oder flohen in die britischen Stützpunkte. Festgehalten werden muss in diesem Zusammenhang, dass es im Süden der Insel keine offizielle Vertreibungspolitik gab, vielmehr spielten die Angst vor griechischem Terror und die türkische Aufforderung zur Flucht in den Norden zusammen. Die Motive der Bevölkerungsbewegung sind also nicht gleichzusetzen. Am Ende war die Insel geteilt und die ethnische "Flurbereinigung" vollzogen. 4
Als nach einiger Zeit Bilanz gezogen wurde, stellte sich heraus, dass etwa 1 500 griechische Zyprioten vermisst wurden. In einigen Fällen erfuhren ihre Angehörigen, dass sie lebend in die Hände der türkischen Streitkräfte gefallen und viele in die Türkei verbracht worden waren. In den folgenden 23 Jahren bemühten sich die Familien der Verschwundenen vergeblich, etwas über ihren weiteren Verbleib herauszufinden. Im Frühjahr 1996 enthüllte Rauf Denktaş in einem Interview die halbe Wahrheit: Die türkische Armee habe 1974 die beim Vormarsch hinderlichen Gefangenen türkisch-zypriotischen paramilitärischen Einheiten übergeben, und diese hätten die Gefangenen getötet. Diese Behauptung dürfte jedoch so nicht richtig sein, denn von vielen Vermissten gab es noch geraume Zeit später Lebenszeichen; Denktaş versuchte ganz offensichtlich, Ankara zu exkulpieren. 5
Als die zweite Phase der Invasion begann, waren die Briten bereit, ihre inzwischen verstärkten, auf Zypern stationierten Truppen der UNFICYP zu unterstellen, um die vorrückenden türkischen Streitkräfte zu stoppen. Die britische Regierung informierte Kissinger darüber, doch dieser lehnte den britischen Vorschlag ab: Das Zypernproblem sollte auf diese Weise ein für alle Mal beseitigt werden. Die zweite Phase der türkischen Invasion war durch nichts, auch nicht durch juristische Spitzfindigkeiten, zu rechtfertigen, da die Ursachen, die zur ersten Phase geführt hatten, beseitigt waren: Die Militärdiktatur in Griechenland war kollabiert, eine demokratische Regierung installiert, und auf Zypern war der Putsch in sich zusammengebrochen; die zweite Phase war ein Akt gewaltsamer Expansion.
Der Zypernkonflikt entstand als ein von der Kolonialmacht Großbritannien provozierter Konflikt. Der Kalte Krieg und seine Hauptakteure, Sowjets und Amerikaner, verschärften ihn. Die irredentistischen Bestrebungen nationalistischer Politiker Athens heizten ihn an, und die expansionistischen Bestrebungen der Türkei und der griechischen Junta führten ihn zum negativen Höhepunkt. Extremistische Zyprioten in beiden Volksgruppen beteiligten sich und stürzten ihr Land in die Katastrophe. Internationale Organisationen erwiesen sich als zu schwach, um den Konflikt zu stoppen. Einseitige Schuldzuweisungen sind fehl am Platz. Die Ursachen des Desasters sind komplexer Natur. Seine Opfer waren die einfachen Leute beider Volksgruppen, die friedlich miteinander lebten.
1 Die Darstellung
folgt Heinz Richter, Geschichte der Insel Zypern 1878 - 1977,
Bände I - IV, Ruhpolding 2004 - 2009; vgl. auch:
www.rutzen-verlag.de.
2 Auf dem Berliner Kongress handelten
Vertreter der europäischen Großmächte Deutsches
Reich, Österreich-Ungarn, Frankreich, Vereinigtes
Königreich, Italien und Russisches Reich sowie des Osmanischen
Reiches eine neue Friedensordnung für Südosteuropa
aus.
3 Vgl. Council of Europe - European
Commission of Human Rights, Apllications Nos. 6780/74 and 6950/75
Cyprus Against Turkey. Report of the Commission, Vols I and II and
Appendices I-XIV (Strasbourg: Council of Europe, 1976), Passim; H.
Richter (Anm.1), Band V, Kapitel 18 passim.
4 Vgl. H. Richter, ebd., Kapitel 21
passim.
5 Vgl. Interview eines ehemaligen
Soldaten der Invasionsarmee namens Attila Olgaç, der
berichtete, dass er 1974 einen 19-jährigen kriegsgefangenen
Nationalgardisten und weitere neun Menschen erschossen habe: Shock
revelations, in: Cyprus Weekly vom 23. Januar 2009, S.1.