EU-ERWEITERUNG
Im Europaparlament werden die Fortschritte der Kandidaten unterschiedlich bewertet
Ein lästiges aber leider unvermeidliches Thema scheint die EU-Erweiterung für nationale Regierungsvertreter und EU-Parlamentarier derzeit zu sein. In der EU beginnt der Wahlkampf. Und bei den Bürgern steht die Idee, dem unübersichtlich gewordenen Europa der 27 Mitgliedsstaaten noch weitere hinzuzufügen, nicht hoch im Kurs. Kein Wunder, dass die Debatte am 12. März in Straßburg ohne jeden Enthusiasmus geführt wurde. Die Abgeordneten schienen die Aufgabe, den Entwicklungsstand von Kroatien, Mazedonien und der Türkei zu bewerten, möglichst rasch hinter sich bringen zu wollen.
Dabei verteilten sie sehr unterschiedliche Noten an die zwei EU-Beitrittskandidaten Kroatien und Türkei ebenso wie an Mazedonien, das auf einen Termin für den Beginn der Verhandlungen wartet.
Der tschechische Ratspräsident Alexandr Vondra lobte die Fortschritte Kroatiens. Für 22 der 35 aufgelisteten Politikbereiche hätten bereits Verhandlungen begonnen. Sieben dieser Kapitel seien bereits provisorisch abgeschlossen worden. Sehr viel langsamer gehe es mit der Türkei voran. Allmählich werde es zur Gewohnheit, nur zwei Kapitel pro Halbjahr zu öffnen, kritisierte Vondra.
Mazedonien hingegen sei auf einem guten Weg und könne bald damit rechnen, ein Datum für den Beginn von Beitrittsverhandlungen zu erhalten. Griechenlands Blockadehaltung gegenüber dem Nachbarland Mazedonien war bei der Debatte kein Thema. Athen fürchtet, dass Skopje Gebietsansprüche auf die nördlichste griechische Provinz erheben könnte, wo eine mazedonische Minderheit lebt. Seine Zustimmung zu Mazedoniens Nato- und EU-Beitritt macht Athen davon abhängig, dass sich das Nachbarland einen anderen Namen gibt. Mazedonien gebe es nur einmal - und zwar als nördlichste Provinz Griechenlands. Beim Bukarester Nato-Gipfel vor einem Jahr legte das Land ein Veto gegen den Beitritt Mazedoniens ein. In der EU agiert Griechenland ähnlich unversöhnlich, aber weniger offen.
Ärger unter Nachbarn gibt es auch zwischen Slowenien und Kroatien. Seit 1991, als beide Länder ihre Selbständigkeit von der Republik Jugoslawien erklärten, streiten sie sich um den Grenzverlauf. Besonders umkämpft ist ein kleines Stück Adriaküste nahe der slowenischen Stadt Piran. Während Kroatien die Hälfte der Bucht von Piran beansprucht, will Slowenien die gesamte Bucht für sich. Beide Länder akzeptierten Anfang letzter Woche einen Vermittlungsvorschlag der EU-Kommission. Der ehemalige finnische Präsident Martti Ahtisaari, der schon im Kosovo als Vermittler tätig war, soll den Streit schlichten. Allerdings erwartet Slowenien von diesen Gesprächen eine endgültige Lösung, während Kroatien sie nur als Vorbereitung für einen Schiedsspruch des Internationalen Gerichtshofes in Den Haag betrachtet.
Der für den Kroatienbericht verantwortliche sozialistische Berichterstatter Hannes Swoboda kritisierte, das Parlament sei in die Lösung des Konflikts nicht einbezogen worden. Erweiterungskommissar Olli Rehn habe eine Vermittlung vorgeschlagen, die "nicht so fair gegenüber Kroatien" sei.
Swoboda will, dass die Beitrittsverhandlungen weitergehen, während die Ahtisaari-Gruppe Gespräche mit beiden Parteien aufnimmt. Gleichzeitig solle aber auch der Internationale Gerichtshof eingeschaltet werden. Durch den Grenzstreit mit Slowenien sei der Zeitplan nicht mehr zu halten. Ursprünglich sollten die Beitrittsverhandlungen Ende 2009 abgeschlossen sein und Kroatien spätestens 2011 in die Union aufgenommen werden. Swoboda lobte die kroatischen Wirtschaftsreformen, vor allem die geplante Privatisierung der Werften. "Das wird schmerzlich sein, aber die Reformen sind notwendig", sagte er. Zagreb müsse noch enger mit dem Internationalen Gerichtshof für das ehemalige Jugoslawien zusammenarbeiten.
Der CSU-Abgeordnete Bernd Posselt appellierte an den Rat, die Blockade gegenüber Kroatien aus der Welt zu schaffen. "Kroatien könnte morgen der EU beitreten", erklärte Posselt. Ähnlich argumentierte seine Fraktionskollegin Doris Pack. Griechenland und Slowenien sollten sich an ihren eigenen Beitritt zur EU erinnern, den auch kein Nachbarland verzögert oder verhindert habe. Sie sollten sich "europäisch und fair" verhalten, forderte die CDU-Abgeordnete.
Den EU-Beitritt der Türkei hingegen möchten die deutschen Konservativen am liebsten verhindern. Die CSU-Europaabgeordnete Gabriele Stauner forderte in einer Presseerklärung "den sofortigen Abbruch der Beitrittsverhandlungen in beiderseitigem Interesse". Wenn die Türkei den neuen EU-Mitgliedern Osteuropas gleichgestellt werde, habe sie Anspruch auf EU-Zahlungen von 45 Milliarden Euro im Jahr. "Zum Vergleich: Der Gesamthaushalt der EU im Jahr 2009 beläuft sich auf 133 Milliarden Euro. Der Hauptteil der Zahlungen an die Türkei wäre vom EU-Zahlmeister Deutschland aufzubringen", rechnete Stauner den anderen Abgeordneten vor.
Auch in Ländern, wo man Deutschlands Nettozahler-Problemen wenig Verständnis entgegenbringt, wächst die Kritik am mangelnden Fortschrittswillen der Politiker in Ankara. Die holländische Berichterstatterin für die Türkei, Ria Oomen-Ruijten, sagte, ihr Bericht habe nur eine klare Botschaft: "Im dritten aufeinander folgenden Jahr ist politisch zu wenig geschehen. Bei der Rechtsstaatlichkeit, der Meinungsfreiheit muss mehr passieren. Die Türkei muss sich nicht modernisieren, um uns einen Gefallen zu tun.