NORDKOREA
Nach der Parlamentswahl wird Kim Jong-Ils Nachfolge diskutiert
Nordkorea hat ein neues Parlament gewählt. Sein "geliebter Führer" Kim Jong-Il errang hundert Prozent der Stimmen - das wohl am wenigsten überraschende Ergebnis in der Geschichte des Wählens. Der Urnengang zur 12. Obersten Volksversammlung ist und bleibt eine Farce in dem stalinistischen Staat. Die von der regierenden Arbeiterpartei handverlesenen Kandidaten werden jedes Mal vom Wahlvolk lediglich abgenickt. Es gibt keine Opposition, keine Gegenkandidaten und die Wahlbeteiligung lag auch diesmal wieder bei fast 100 Prozent. Kein Wunder - nicht zur Wahl zu erscheinen gilt als Staatsvergehen.
Ein seit jeher unangefochtenes Parlament mit dem omnipotenten, gottgleichen Führer Kim Jong-Il an der Spitze ist nichts Neues. Neu sind allerdings einige Namen auf der Liste der Abgeordneten, die inzwischen in Pjöngjang bekannt gegeben wurden. Da die Mitglieder der Obersten Volksversammlung (SPA) seit jeher Schlüsselpositionen in Partei, Regierung und Armee besetzen, kann das Ergebnis vom 8. März immerhin Hinweise auf Veränderungen in der Machtstruktur geben. Nordkoreas Parlamentswahlen sind zwar weder frei noch fair. Doch die Ergebnisse gewähren Einblicke in die personellen Präferenzen der Führerschaft. Sie sind das einzige Guckloch in die Geheimnisse nordkoreanischer Politik.
Koreaexperten werden nun versuchen, aus der langen Mitgliederliste der Obersten Volksversammlung (immerhin 687 Sitze) eine neue Führungselite herauszulesen. Beobachter versuchen, im Kaffeesatz zu lesen und greifen nach jedem Strohhalm von Informationsbruchstücken, der eventuell Aufschluss über die künftige Richtung der nordkoreanischen Politik geben könnten. Es gibt keine Fakten, nur Spekulationen und Theorien. Die Oberste Volksversammlung ist auf dem Papier die höchste Institution der Staatsmacht in Nordkorea. Laut Verfassung hat aber das SPA-Präsidium (der ständige Ausschuß) die Autorität zur Legislative inne, wenn das Parlament selbst keine Sitzung hat. Und dies ist die meiste Zeit der Fall: Die Oberste Volksversammlung hält in der Regel nur zwei Sitzungen pro Jahr ab, und diese dauern auch nur wenige Tage - kein Parlament weltweit tritt noch seltener zusammen.
Die wahre Macht in dem verarmten, isolierten Staat lag bisher in den Händen des offiziell 67-jährigen Kim-Jong-Il und einer Handvoll altgedienter Kader der Arbeiterpartei. Der "ewige Sohn der ewigen Sonne" bleibt künftig weiter an der Spitze des kommunistischen Regimes. Der 1,61 Meter kleine Staatschef mit der hochtoupierten Dauerwelle, den Plateausohlen und dem immer gleichen grauen, über dem Bäuchlein ein wenig spannenden Blousonjäckchen hat, so will uns die nordkoreanische Propaganda glauben machen, seine Gesundheit und sein Land fest im Griff. Man will um jeden Preis die stetig zunehmenden Gerüchte aus der Welt schaffen, daß Kim Jong-Il womöglich zu krank ist, um zu regieren. Im vergangenen August hat der "geliebte Führer" einen Schlaganfall erlitten und war lange Zeit von der Bildfläche verschwunden. Deswegen war die Wahl wohl auch verschoben worden (die Verfassung erlaubt ein Ausdehnen der fünfjährigen Legislaturperiode). In den letzten Wochen aber hatten Nordkoreas Propagandamühlen eine beeindruckende Folge von Fotos eines kerngesunden Kim Jong-Il in verschiedenen staatstragenden Posen produziert, um die Gerüchte zu zerstreuen.
Und so fragen sich die Analysten und Geheimdienste angesichts der jüngst so übertrieben zur Schau gestellten Präsenz Kims: Ist irgendetwas faul in Pjöngjang? Ist der innere Zirkel um Kim Jong-Il wirklich so loyal und geeint? Oder tobt längst ein riskanter Machtkampf hinter dem eisernen Vorhang? Das Regime aber präsentiert der Außenwelt ein anderes Bild: Nie war Kim Jong-Il, so will man uns glauben machen, beschäftigter, nie hatte er einen festeren Griff um die Macht, nie war er besser vorbereitet, der feindlichen Welt entgegenzutreten - und im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte seinen Nachfolger heranzuzüchten.
Experten hatten im Vorfeld der Wahl erwartet, daß auf den neuen Abgeordnetenlisten ein Name erscheint: Kim Jong-un, der dritte Sohn des Diktators. Der jüngste Sohn soll seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten sein. Der wahrscheinlich etwa 25-Jährige gilt als Lieblingskind Kim Jong-Ils und hat bis 1998 inkognito an der Internationalen Schule von Bern in der Schweiz studiert. Von den drei Söhnen soll Jong-un die stärksten Führungsqualitäten haben. Dass einer der drei Söhne Kims das Zepter in die Hand nehmen wird, ist nur eine Theorie, die jüngst geschürt wurde, weil die nordkoreanische Staatspresse verstärkt mit Begriffen wie "Blutlinie" und dem "revolutionären Erbe" um sich warf. Andere Analysten glauben, daß die neue große Schlüsselfigur Kim Jong-Ils Schwager Chang Sung-taek ist. Chang steht dem Militär sehr nahe. Die Experten sind sich aber in einer Sache einig: der Einfluß der Armee scheint in den letzten Monaten deutlich gewachsen zu sein.
Die erste Aufgabe des neuen Parlamentes wird nun sein, Vater Kim als Vorsitzenden der Nationalen Verteidigungskommission wiederzuwählen - damit kontrolliert er dann weiterhin die 1,1 Millionen Mann starke Armee. Seine Wiederwahl an die Spitze dieser Truppe wird womöglich, so vermuten Analysten, mit dem Test einer neuen Interkontinentalrakete gefeiert. Diese Taepodong-2 könnte theoretisch Alaska und Hawaii erreichen. Pjöngjang stößt seit einer Weile eine kriegerische Drohung nach der anderen aus. Seit Anfang März rechnet man täglich mit dem Raketentest. Anfang der Woche hatte Nordkorea zudem indirekt angedroht, südkoreanische Zivilflugzeuge in seinem Luftraum abzuschießen. Die jüngsten gemeinsamen Truppenübungen der US- und südkoreanischen Streitkräfte betrachtet das Regime als Angriffsvorbereitung. Oder Pjöngjang brauchte einen Vorwand, den Luftraum für seinen Raketentest zu klären.
Sorge macht den Experten weniger das militärische Zähnefletschen aus Pjöngjang. Die Frage nach Kim Jong-Ils Gesundheit ist es, die den Beobachtern Kopfzerbrechen bereitet. Auf Fotos vom Sonntag, die ihn bei der Wahl zeigen, scheint er deutlich älter und dünner als früher. Wie sehr er noch in die Regierungsgeschäfte involviert ist, weiß niemand im Ausland genau. Und noch immer hat er offiziell keinen Nachfolger ernannt. Sollte Kim Jong-Il plötzlich sterben, hinterließe er ein gefährliches Machtvakuum. Und jede Krise in Nordkoreas Führungsspitze wird die Spannungen in der Region verstärken.